Der Secret-Pack-Automat in Niederrieden steht neben einem Schuppen.
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Der Secret-Pack-Automat, an dem man Retouren-Pakete ziehen kann, in Niederrieden im Unterallgäu hat einen kleinen Trend ausgelöst.

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Trend Secret-Pack-Automat: Allgäuer auf Schnäppchen-Jagd

Eine Smart-Watch, Handtasche oder Schmuck – das sollen Besucher schon für 8,50 Euro aus einem sogenannten Secret-Pack-Automaten im Allgäu gezogen haben, ohne vorher zu wissen, was drin ist. Familie Keuters füllt den Automaten mit Retouren-Paketen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

In Niederrieden im Unterallgäu bilden sich seit Wochen immer wieder lange Schlangen. Vor allem am Wochenende fahren die Besucherinnen und Besucher teilweise über 100 Kilometer, um in den 1.500-Einwohner-Ort zu kommen. Ihr Ziel: der Secret-Pack-Automat von Familie Keuters. 8,50 Euro kostet ein Paket aus dem Automaten. Drin sein kann alles – vom Sexspielzeug über Kleidung bis zum USB-Kabel.

Päckchen wurden zurückgeschickt oder nicht zugestellt

Was genau in den Paketen ist, wissen nicht mal diejenigen, die den Automaten befüllen: Tatjana und Jürgen Keuters. Die Pakete sind ein Nebenprodukt des Online-Handels. Sie wurden entweder zurückgeschickt und nicht weiterverkauft oder konnten nicht zugestellt wurden, zum Beispiel wegen eines Adressfehlers.

Wo die beiden die Retouren herbekommen, bleibt ihr Betriebsgeheimnis. Genauso wie der Preis, den sie für die Paletten mit Retouren-Paketen, die sich in ihrem Lager stapeln, bezahlen. Jürgen Keuters verrät nur, dass es einen mittleren fünfstelligen Betrag kostet, sein Lager zu füllen.

Im Video: Was wir aus dem Automaten gezogen haben

BR-Korrespondentin Katharina Reichart, wie sie ein Paket aus der Klappe des Secret-Pack-Automaten in Niederrieden nimmt.
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Täglich werden Pakete aus dem Secret-Pack-Automaten im Allgäu gezogen.

Betreiber wollen eigene Tochter unterstützen

Die Idee mit dem Automaten hatte Tatjana Keuters Ende 2023. Davor hatten sie und ihr Mann den Inhalt solcher Pakete übers Internet verkauft. "Der Gedanke ist mir gegeben worden", sagt Tatjana.

Denn mit ihrem Automaten verfolgen die beiden ein ganz persönliches Ziel: Sie wollen ihre Tochter Bibiana unterstützen. Bibiana hat einen Gendefekt, spricht deshalb kaum und ist motorisch eingeschränkt. Aktuell ist Bibiana noch ein Kind – später einmal soll sie den Automaten aber trotz ihrer Einschränkungen selbst bedienen können und so ein selbstbestimmteres Leben haben.

Schon jetzt wollen die Keuters mit dem Geld, das durch den Automaten zusammenkommt, ihre Tochter unterstützen. Sie sparen für eine behindertengerechte Wohnung, "wo sie vielleicht keine Treppen steigen muss, wo alles auf sie angepasst ist", sagt Jürgen Keuters.

Automat hat eingeschränkte Öffnungszeiten

Dafür arbeiten Tatjana und Jürgen Keuters hart. Die Hauptarbeit macht das Befüllen des Automaten aus, teilweise mehrmals am Tag. Weil der Andrang so groß ist, haben die Keuters entschieden, dass sie den Automaten nur noch zwischen acht Uhr morgens und acht Uhr abends füllen. Die Info verbreiten sie über die Social-Media-Plattform TikTok – dort haben sie sich eine kleine Fan-Base aufgebaut. Trotzdem kommen die Schnäppchenjäger teilweise auch mitten in der Nacht, wählen dann enttäuscht die Service-Nummer auf dem Automaten und beschweren sich, dass keine Pakete da sind.

Secret Packs als Ausbruch aus dem Alltag

Warum die Secret Packs so gut ankommen, kann Marko Sarstedt erklären. Er ist Professor für Marketing an der LMU München. Seiner Meinung nach geht es darum, aus dem monotonen Alltag auszubrechen. Außerdem lockt der Überraschungseffekt und die "Spannung, etwas Unbekanntes zu entdecken".

Viele Käufer kommen deshalb auch immer wieder – einige wenige vielleicht auch zu oft. Ein Stammkunde erzählt, dass er schon mehr als 100 Pakete aus dem Automaten geholt hat. Für die meisten ist es aber ein harmloser und gelegentlicher Spaß, ähnlich wie der Kauf eines Lotterieloses. Für den Nachschub im Automaten sorgen dabei wir alle – mit unserem Konsumverhalten.

Vor allem Kleidungsstücke werden oft zurückgeschickt

Allein in Deutschland werden jährlich Millionen Pakete übers Netz bestellt. Wie viele davon als Retoure zurückgehen oder nicht zugestellt werden können, lässt sich nur erahnen. Das Forschungsinstitut EHI beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Auswirkungen des Online-Handels. In einer Studie zu Retouren aus dem Jahr 2023 kommen die Forscher zu dem Schluss, dass es stark auf die Branche ankommt, wie viel zurückgesendet wird. Am höchsten ist die Retouren-Quote demnach bei Bekleidung. Durchschnittlich wird mindestens jedes vierte Teil zurückgeschickt, in Einzelfällen sind es sogar drei von vier Kleidungsstücken.

Bei vielen Produkten lohnt sich der Weiterverkauf nicht

Nicht jedes dieser Produkte landet wieder im Verkauf. "Jede Retoure erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt am Ende im Müll landet", sagt Prof. Manuel Ostermeier. Er forscht mit seinem Team am Zentrum für Klimaresilienz der Uni Augsburg und beschäftigt sich unter anderem mit Nachhaltigkeit im Handel. Ob ein Produkt noch einmal im Verkauf lande, hänge vom Zustand und dem Wert der Ware ab, so Ostermeier. Mustern die Händler etwas aus, gelangt die Ware oft über Zwischenhändler ins Ausland. Ein weiteres Problem sei auch, dass für Ware aus dem Ausland der Rückversand oft zu teuer sei.

Paletten mit Retouren für ein paar Hundert Euro

Auch deshalb bieten Hunderte Händler im Internet Retouren-Ware an. Die Palette voll mit zurückgesendetem Spielzeug gibt es auf Anfrage schon ab ein paar Hundert Euro, eine Palette voll mit retournierten E-Scootern ab 1.000 Euro. In welchem Zustand die Ware ist, ist dabei oft nicht klar. Das Risiko tragen im Zweifelsfall diejenigen, die die Ware bei den Zwischenhändlern kaufen.

Dass überhaupt versucht wird, die Retouren-Ware weiterzuverkaufen, halten viele für einen Fortschritt. Noch vor einigen Jahren wurden die meisten Produkte aus Kostengründen verbrannt. Durch verschiedene Gesetze ist diese Zahl aber stark gesunken. Die Otto-Friedrich-Universität Bamberg hat 2021 errechnet, dass noch rund 1,3 Prozent der Retouren von den Händlern entsorgt werden.

Familie Keuters will bald dritten Automaten aufstellen

Entsorgung, Weiterverkauf über den Originalhändler oder der Verkauf ins Ausland – ganz genau lässt sich nicht sagen, was mit den Paketen aus dem Automaten sonst passiert wäre. Für Familie Keuters läuft das Geschäft jedenfalls gut. Einen zweiten Automaten haben sie bereits in Buchenberg im Oberallgäu aufgestellt. Einen dritten haben sie auch schon gekauft und überarbeiten ihn gerade technisch. Wo der am Ende genau stehen wird, ist noch nicht klar.

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