28.11.2023, Bayern, Traunstein: Ein Sarg wird in der von der EHG Dienstleistung GmbH betriebenen Feuerbestattungsanlage Traunstein in den Ofen gefahren. Zahlreiche operative und bauliche Maßnahmen wurden ergriffen, um einen Betrieb der Feuerbestattungsanlage ohne zusätzliche Emission von gebundenem CO2 zu ermöglichen. Foto: Uwe Lein/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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In allen Bundesländern außer in Bayern gibt es eine zweite Leichenschau vor Feuerbestattungen.

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Tötungsdelikte: Warum in Bayern weniger ans Licht kommen könnte

In allen Bundesländern gibt es sie – nur in Bayern nicht: die zweite Leichenschau vor Kremierungen. Rechtsmediziner warnen schon seit Jahren, dass Tötungsdelikte unentdeckt bleiben könnten. Nun soll sie auch im Freistaat kommen – doch es dauert.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Es klingt wie in einem Krimi: "Wir haben in Deutschland rund 700 bis 800 Tötungsdelikte, die wir erkennen und rund 1.200 bis 2.400 Tötungsdelikte, die wir nicht erkennen." Das sagt nicht irgendwer, sondern Oliver Peschel, Rechtsmediziner an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Auf ein erkanntes Tötungsdelikt kämen 1,5 bis drei nicht erkannte Tötungsdelikte, erklärt er. Das zeigten Studien aus vergangenen Jahrzehnten. "Das ist natürlich schon bitter, wenn wir da so viel übersehen." Es handle sich dabei nicht um fahrlässige Tötung im Straßenverkehr, sondern um die besonders schweren Verbrechen: Mord, Totschlag, Tötung durch Unterlassen, Körperverletzung mit Todesfolge oder Tötung auf Verlangen.

In Bayern fehlt wichtige zusätzliche Kontrolle

Gerade in Bayern könnte es mehr solcher unentdeckter Tötungsdelikte geben. Denn hier fehlt eine zusätzliche Kontrolle: Im Unterschied zu allen anderen Bundesländern gibt es im Freistaat bislang keine zweite Leichenschau vor Feuerbestattungen. Was daran liegt, dass jedes Bundesland sein eigenes Bestattungsrecht – eigene Gesetze und Verordnungen – hat.

Zweite Leichenschau, das bedeutet: Bevor ein Leichnam verbrannt wird, untersucht ein Arzt ein weiteres Mal den Körper. Um sicherzugehen, dass der Mensch wirklich auf natürliche Art gestorben ist. Denn ist die Leiche verbrannt, sind Beweise für eine nicht natürliche Todesursache vernichtet: Der Körper kann nicht exhumiert und nachträglich untersucht werden wie bei einer Erdbestattung, erklärt Elisabeth Waldeck vom Gesundheitsreferat München.

Ein Mord, der in Bayern nie aufgefallen wäre

Ein Blick in Studien anderer Bundesländer zeigt, dass diese zusätzliche Kontrolle durchaus Wirkung zeigen kann: Im Jahr 2014 verglichen beispielsweise Wissenschaftler der Universität Bonn die Totenscheine der ersten mit den Ergebnissen der zweiten Leichenschau. Unter circa 16.000 Kremationsleichenschauen fanden sich mehr als 200 falsch bescheinigte natürliche Tode. Darunter ein Mord. Der wäre in Bayern nie aufgefallen.

Eigentlich sollte es die zweite Leichenschau vor Kremierungen auch in Bayern längst geben. Ursprünglich seit Anfang 2023, damals sollte eine novellierte Bestattungsverordnung in Kraft treten. Das bayerische Gesundheitsministerium verschob die Einführung aber nach hinten – auf Anfang Juli 2024. Vor Kurzem erübrigte sich aber auch dieser Termin. Stand jetzt: Die zweite Leichenschau kommt erst ab Januar 2025. Der Grund: Es mangle an qualifizierten Ärzten, erklärt das bayerische Gesundheitsministerium.

Früher verpönt – heute wird mehr verbrannt als begraben

Dabei wird ein zweiter Check vor dem Feuerbestatten immer relevanter: Waren Kremierungen aus religiösen Gründen früher verpönt, werden mittlerweile auch in Bayern mehr Leichen verbrannt als begraben. In München seien es aktuell 70 Prozent Kremierungen, 30 Prozent Sargbestattungen, sagt Arndt Schulte Döinghaus, der Leiter des Münchner Krematoriums.

Aber auch in den ländlichen Gebieten in Bayern seien Feuerbestattungen ein zunehmender Trend: "Wir haben gar nicht so dieses Stadt-Land-Gefälle, sondern auch im Umland beträgt die Kremierungsquote rund 60, 65 Prozent."

Warum die erste Leichenschau oft fehlerhaft ist

Wäre die erste Leichenschau fehlerfrei, bräuchte es auch keine zweite. Doch Ärzte führten die erste Leichenschau nicht immer akribisch genug durch, kritisiert Rechtsmediziner Peschel. Eigentlich lautet die gesetzliche Vorgabe: Der leichenschauende Arzt muss die Leiche vollständig entkleiden, alle Körperregionen, Körperöffnungen und die Kopfhaut inspizieren.

So schreibt es zum Beispiel die bayerische Bestattungsverordnung vor. Doch: "Wir wissen aus Studien, dass etwa ein Drittel der Fälle bei der Leichenschau nicht einmal entkleidet werden", so Peschel. Das erschwere es oder mache es unmöglich, die richtige Todesursache eines Menschen festzustellen.

Vielen leichenschauenden Ärzten fehlt Routine

Ein Grund dafür sei, dass die erste Leichenschau nicht selten in einem eher schwierigen Umfeld stattfinde: Der Tote liege in seinem Wohn- oder Schlafzimmer, umgeben von Verwandten, die um den Menschen trauern, schildert Peschel. Der Hausarzt sei oft eine Vertrauensperson, weil er auch andere Mitglieder der Familie behandle. "Und dieser Arzt soll jetzt kritisch und fast ein bisschen argwöhnisch vorgehen, sich nicht mit allen Erklärungen der Verwandten zufriedengeben, sondern alles ein bisschen kriminalistisch überprüfen. Und bei Anhaltspunkten für ein Geschehen, das er nicht einordnen kann, einen ungeklärten oder nicht natürlichen Tod bescheinigen und die Polizei holen."

Eine weitere Fehlerquelle: Viele der Ärzte machten nur drei bis fünf Mal pro Jahr eine Leichenschau. Zu selten, um Erfahrung zu sammeln, einen kriminalistisch geschulten Blick zu entwickeln, findet Peschel. Gesetzlich ist jeder niedergelassene Arzt verpflichtet, eine erste Leichenschau vor Ort vorzunehmen – egal ob Allgemeinarzt, Augenarzt oder Orthopäde, und egal wie viel Routine er hat.

Zweite Leichenschau werden Experten durchführen

Deshalb soll die zweite Leichenschau in Bayern auch zukünftig nur von Experten durchgeführt werden – direkt vor der Einäscherung im Krematorium. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Fortbildung, so schreibt es die neue Bestattungsverordnung vor. Doch das Problem ist jetzt eben: Es gibt nicht genug dieser qualifizierten Ärzte – deshalb die erneute Verschiebung.

Krematorien stehen vor einer Herausforderung

Auch für die 23 Krematorien in Bayern ist die neue Regelung eine Herausforderung. Dass die zweite Leichenschau nicht Mitte des Jahres, sondern erst 2025 eingeführt wird, darüber ist Theresa Walter, Friedhofsleiterin in Schweinfurt, eigentlich ganz froh. Denn würde die zweite Leichenschau schon früher kommen – in Schweinfurt würden sie ziemlich in Bedrängnis geraten. "Da wir hier kein neues, sondern ein älteres Krematorium haben, können wir natürlich nicht einfach sagen, wir bauen irgendwas an, sondern es muss hier umgebaut werden." Das bedeute viel Aufwand, teilweise handle es sich um denkmalgeschützte Häuser.

Nur im Krematorium in München ist schon alles bereit – sogar der Raum ist fertig hergerichtet. Der Grund: Das Krematorium wurde auch erst vor ein paar Jahren gebaut. Damals hätten sie schon damit gerechnet, dass die zweite Leichenschau in naher Zukunft kommen würde, so wie in allen anderen Bundesländern auch, sagt der Leiter des Münchner Krematoriums.

Feuerbestattungen werden teurer

Kommt die zweite Leichenschau vor Kremierungen dann wirklich ab nächstem Jahr, gibt es für Angehörige einen Nachteil: Sie müssen von da an nicht nur die erste, sondern auch die zweite Leichenschau bezahlen, das heißt: Feuerbestattungen werden in Bayern zukünftig teurer.

Mehr zum Thema hören Sie heute im Funkstreifzug: "Der Freistaat und die zweite Leichenschau – warum Bayern hinterherhinkt" um 12:15 Uhr in BR24 Radio oder als Podcast zum Beispiel in der ARD Audiothek.

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