Auf der Dialyse-Station im Uniklinikum Würzburg.
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Auf der Dialyse-Station im Uniklinikum Würzburg.

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Tag der Organspende: Das Leben für Betroffene auf der Warteliste

Fast ein Drittel weniger Organe wurden im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber demselben Zeitraum 2021 gespendet. Nachwirkungen der Corona-Pandemie. In Bayern stehen 1.000 Menschen auf der Warteliste – eine Belastung für die ganze Familie.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

"Herr Strobl, ich gehe jetzt ihr Herz holen." Worte, die Andreas Strobl wohl nie vergessen wird. Es ist der 7. April 2017. Der damals 58-Jährige liegt im Uniklinikum Würzburg. Sein Herz ist sehr schwach. Seit vier Jahren wartet er auf ein Spenderorgan. Von der Transplantation selbst bekommt er nichts mit. Als der Veitshöchheimer Stunden später aufwacht, ist ihm sofort klar, wie sich sein Leben ab jetzt verändern wird. "Ich konnte atmen. Das war mir vorher extrem schwer gefallen." In den folgenden Monaten muss er strenge Hygieneregeln beachten. Und wieder zu Kräften kommen. Frau Marion und Sohn Tobias tragen diesen völlig veränderten Alltag mit. "Die Familie wird mit transplantiert," sagt der heute 63-Jährige deshalb.

Vor und nach der Transplantation: Enorme Belastung für die Familie

Ein Gefühl, das auch Stephanie Hügel kennt. Ihre Nieren funktionieren nicht mehr. Seit vier Jahren kommt sie zur Dialyse in die Würzburger Uniklinik, jede Woche an drei Vormittagen. Eine enorme Belastung für die Familie – auch ihre beiden Kinder müssen immer wieder zurückstecken. "Man versucht es halt möglich zu machen, wenn besondere Events sind. Etwa die Kindergarten-Verabschiedung." Dann kommt sie etwas früher zur Dialyse, damit sie eher fertig ist.

10.000 Menschen warten allein in Deutschland auf ein Spenderorgan

Zum Mittagessen ist sie wieder zuhause, versucht ihren beiden Kindern, sieben und 13 Jahre alt, einen normalen Alltag zu bieten. Bis Stephanie Hügel eine Spenderniere bekommt, könnten schlimmstenfalls weitere sechs Jahre vergehen. Leben in der Warteschlange – ein Schicksal, das die 38-Jährige deutschlandweit mit fast 10.000 Menschen teilt. Die meisten von ihnen, gut 7.000, warten wie Stephanie Hügel auf eine Niere.

Lange Wartezeit ist Chance und Risiko

Ein kleiner Lichtblick: Je länger man wartet, desto höher ist die Chance auf ein Spenderorgan. So sieht es das Punkte- und Verteilsystem von Eurotransplant vor – mit gefährlicher Kehrseite, erklärt Dr. Anna Laura Herzog, Oberärztin am Uniklinikum Würzburg und Geschäftsführerin des Transplantationszentrums hier: "Im Umkehrschluss heißt das: Wenn ein Patient zu lange wartet, dann sinken die Erfolgsaussichten. Dann ist er vielleicht zu krank, um ein Spenderorgan zu erhalten." So sterben laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) jährlich in Deutschland etwa zehn Prozent der Menschen auf der Warteliste, weil sie nicht rechtzeitig ein Organ erhalten.

Organspenden gesunken als Folge der Coronapandemie

Gleichzeitig schlagen Interessensverbände Alarm: Die Zahl der gespendeten Organe ist stark zurückgegangen. Der Einbruch von fast 30 Prozent: eine Nachwirkung der Coronapandemie, sagt Herzog: "Immer wieder ist viel Personal weggebrochen – die Organspende rückte dann zugunsten der anderen Patientenversorgung in den Hintergrund". Zudem fielen alle, die etwa mit einer Coronainfektion gestorben waren, als mögliche Organspender weg.

Weniger als die Hälfte der Deutschen hat einen Organspendeausweis

Was die Lage für Warte-Patienten außerdem erschwert: In Deutschland haben 60 Prozent keinen Organspendeausweis. Die Entscheidung, die Organe nach dem Tod zu spenden, kommt dann oft zu spät. Der Bundesverband der Organtransplantierten fordert deshalb, das Thema zu enttabuisieren, innerhalb der Familie darüber zu sprechen und die Entscheidung, ob man Organspender sein möchte oder nicht, frühzeitig zu treffen. Das erleichtere sowohl die Angehörigen als auch das medizinische Personal.

Zum Video: "Tag der Organspende – Leben schenken nach dem Tod"

Patient vor Herztransplantation: "Muss da einer sterben, damit ich leben kann?"

Mit wessen Herz Andreas Strobl seit fünf Jahren lebt, weiß er nicht. Organspenden laufen anonym. In vier Jahren Wartezeit mit mehreren Herzstillständen, einem Kunstherz und langen Klinikaufenthalten hatte der Würzburger aber viel Zeit, sich auf sein neues Organ vorzubereiten. Eine große Frage war für ihn vorher, ob er das Spenderorgan annehmen kann, denn: "Muss da nicht einer sterben, damit ich leben kann?". Nein, sagt er heute. "Da sagt keiner: Ich trete ab, weil Andreas ein Herz braucht. Der Mensch stirbt so oder so – und ermöglicht mir dann das Leben!" Eine Erkenntnis, die er beherzigt. Mit seinem zweiten Leben geht Andreas Strobl achtsam um.

Andreas Strobl in seinem Garten.
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Andreas Strobl hat sein Leben auf der Überholspur hinter sich gelassen.

💡 Tag der Organspende

Seit 1983 macht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) gemeinsam mit Partnern und Förderern jeden ersten Samstag im Juni auf das Thema Organspende aufmerksam. Der diesjährige Aktionstag findet in Mainz statt. Das Ziel: Menschen überall in Deutschland dazu zu motivieren, eine Entscheidung zur Organspende zu treffen.

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