Der aus Syrien stammende Schriftsteller und Comedian Jad Turjman ist beim Bergsteigen tödlich verunglückt.
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Der aus Syrien stammende Schriftsteller und Comedian Jad Turjman ist beim Bergsteigen tödlich verunglückt.

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Autor Jad Turjman beim Bergsteigen tödlich verunglückt

Der aus Syrien stammende Schriftsteller und Comedian Jad Turjman ist beim Bergsteigen tödlich verunglückt. Das berichtete sein Verlag am Sonntag. Der 32-Jährige hatte sich mit Büchern über die Flucht und Comedian-Auftritten einen Namen gemacht.

Der Schriftsteller Jad Turjman ist tot. Der 32-Jährige starb am Freitagabend beim Bergwandern in den Berchtesgadener Alpen am Hohen Göll. Nach Informationen der Polizei kam Turjman bei ungünstigem Wetter vom Weg ab und stürzte eine Felswand hinab. Eine Freundin benachrichtigte die Bergretter. In der Nacht zum Samstag wurde er tot gefunden und geborgen.

Der Autor lebte seit 2015 in Salzburg und hatte die österreichische Staatsbürgerschaft. Auf Facebook äußerten sich viele Weggefährten des Autors bestürzt. Nach Angaben des Salzburger Residenz Verlags, in dem die Bücher des Schriftsteller publiziert wurden, leben die Eltern und Geschwister von Turjman in Syrien. Er sei nicht verheiratet gewesen und habe keine Kinder.

Verlagsleiterin: "Ein großer Verlust"

"Ich bin fassungslos", teilte Verlagsleiterin Claudia Romeder in einer E-Mail des Residenz-Verlags mit. "Sein Humor und seine Wärme Menschen gegenüber waren einnehmend. Jads Art zu schreiben und Themen aufzubringen waren einzigartig. Sein Tod ist ein großer Verlust."

"... sollte Pflichtlektüre werden in allen europäischen Ländern"

Seine Bücher wurden von der Kritik hochgelobt. Turjman hatte seine Flucht aus dem im Krieg versinkenden Syrien unter anderem auch in einem Buch verarbeitet, das 2019 im Residenz Verlag erschien. Der Titel: "Wenn der Jasmin auswandert. Die Geschichte meiner Flucht". Sein autobiographischer Roman wurde mit der Rose der Menschenrechte ausgezeichnet. In der Laudatio hieß es: "Wir dürfen mit unseren Sinnen die künstlerischen Wege der Suche, der Erfahrung, der Verzweiflung, der Wut, der Ohnmacht, der Hoffnung, des Optimismus erschließen."

Zwischen Distanz und Betroffenheit

Turjman schrieb seine Bücher in deutscher Sprache. Hier könne er sich wie ein Referent sehr differenziert ausdrücken. Gleichzeitig gelang es ihm so, Übersicht zu halten und Distanz zu wahren. Die Worte seien "wie neugeboren" im Deutschen und er könne sie "mit einer ganz anderen emotionalen Ladung belegen", wie er einmal in einem Interview mit dem ORF sagte.

Sein Buch treffe "den richtigen Ton" und schaffe "eine stimmige Mischung zwischen Distanz und Betroffenheit, zwischen einer nüchternen, aber äußerst plastischen Beschreibung und erklärenden Passagen, in denen gar nicht versucht wird, den persönlichen Blickwinkel zu verleugnen", schrieb der österreichische Schriftsteller Vladimir Vertlib über "Wenn der Jasmin auswandert. Die Geschichte meiner Flucht".

"Flucht ist nicht flüchtig"

​Turjman erzählte einfühlsam und voller Humor sehr berührende, niederschmetternde Erlebnisse, wie sie Zigtausende andere Flüchtlinge auch erlebt haben, die sich von Syrien auf den Weg Richtung Westen machen mussten. Manche Erkenntnis liest sich sentenzartig: Flucht sei nicht flüchtig. Nach der Flucht komme der Fluch. Denn die Flucht beginne "mit dem Wegkommen" und ende "mit dem Nieankommen": "Der eigene Name fühlt sich im Mund der neuen Nachbarn fremd. Fremd fühlt sich der eigene Name nach Jahren des Exils im Mund der alten Nachbarn. Die Heimatfrage ist für den Geflüchteten eine Folterangelegenheit. Sie erinnert ihn daran, immer noch im Wartesaal zu sitzen." Die Zukunft eines Geflüchteten habe "Augen im Hinterkopf".

Er sei nicht dankbar für seine Flucht und das erlebte Leid, also die Folter, die Entführung, die Flucht vor Assads Schergen und vor Islamisten oder die Todesnähe auf einem Schlauchboot im Mittelmeer, aber er habe gelernt, sich selbst näher zu kommen und auch allen anderen, indem er sich seinen Traumata stellte. Er wünsche sich, "als ganzes Individuum, als Mensch" gesehen zu werden, nicht nur als Flüchtling.

Nachruf von Christian Springer

Der Münchner Kabarettist Christian Springer, der auch für seine Syrienhilfe bekannt ist, erwähnte in einem kurzen Nachruf auf Anfrage des BR das viele Leid, dem Turjman in seinem Leben ausgesetzt war und das man niemandem wünsche. Springer schrieb: "Er hat gekämpft für bessere Tage. Und jetzt dieser unnütze Tod in den Bergen! Wir hätten gerne noch mehr gehört, gelesen. Mach's gut, syrischer Kollege!"

Kabarett-Programm: "Der Flüchtling Ihres Vertrauens"

Turjman lebte am Mattsee im Salzburger Seenland. In den vergangenen Jahren trat er unter anderem mit einem Soloprogramm unter dem Titel "Der Flüchtling Ihres Vertrauens" auf. Hier ging er offensiv mit Vorurteilen um. So blödelte er beispielsweise auf der Bühne, er sei nicht geflüchtet vor Krieg, Bombardierung und Verfolgung - das könne schließlich jeder - sondern, um den Österreichern die Arbeit wegzunehmen. Wenn ihn als Kind in der Volksschule etwa seine Lehrerin gefragt habe, was er werden wolle, habe er damals schon gesagt, er wolle syrischer Flüchtling in Österreich werden und den Österreichern die Arbeit wegnehmen. Er trete "trotz Unsicherheit auf der Bühne auf, damit wir beide über unsere Ängste lachen können", schrieb er auf seiner Homepage. Und weiter: "Ich gebe dir meine Hand, weil ich nicht will, dass du mich als Fremder siehst und ich mich als solcher fühle. Wir haben Augen, aber wir können einander nicht sehen. Lasst uns einander widerspiegeln."

"Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt"

Im Residenz-Verlag erschienen ist auch Turjmans Roman "Der Geruch der Seele. Eine Liebesgeschichte in Zeiten von Krieg und Revolution" (2021). Noch im Sommer 2022 soll ein Band mit Geschichten herauskommen: "Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt - Wie ich gelernt habe, die Heimat in mir zu finden".

Jad Turjman liebte die Musik, die Kalligraphie, die Poesie. Er sei "verliebt in die Magie der Worte und in die List des Dichters, aus der unbeschreiblichen Farbe der Mandelblüten die Nationalhymne zu machen", notierte er über sich selbst und sein syrisches Herkunftsland. Er schreibe, um sich Gehör und Stimme zu verschaffen. Für das Schreiben habe ihn sein Vater als Kind in Damaskus einst geschlagen. Doch heute sei der stolz auf ihn. Das Kind in ihm fühle sich jetzt anerkannt, sagte Turjman dem ORF vor einem Jahr. Er war angekommen und gleichzeitig weiter auf der Suche.

(mit Agenturmaterial)

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