31.05.22: Ein Stenograf schreibt im bayerischen Landtag die Reden der Abgeordneten mit.
Bildrechte: pa/dpa/Sven Hoppe

Ein Stenograf schreibt im bayerischen Landtag die Reden der Abgeordneten mit.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Stenografie im Landtag: "Es gibt genügend Stoiber-Nachfolger"

Stenografin, Stenograf: Das klingt nach früher. Dabei ist ihre Arbeit weiter wichtig, etwa in den Parlamenten. Im Bayerischen Landtag arbeiten unter anderem Volker Springwald und Tanja Benker, die sich trotz neuer Software nicht um ihre Jobs sorgen.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Gerade ist Volker Springwald zurück aus dem Plenarsaal im Bayerischen Landtag, blickt auf seine Notizen, es geht los. "Verehrte Kolleginnen und Kollegen - Komma", diktiert Springwald seiner Kollegin, die klackernd auf ihrer Tastatur tippt. "Genau das Gegenteil braucht das Handwerk - Ausrufezeichen."

Springwald ist Stenograf. An diesem Tag protokolliert er die 118. Plenarsitzung der aktuellen Legislaturperiode, durchs offene Fenster kommt warme Sommerluft. Bayerns Abgeordnete haben über die Bedeutung des Handwerks debattiert, Springwald saß im Plenum vor dem Rednerpult, wie immer. Die Wörter waren keine Herausforderung beim Stenografieren, sagt er. Der Redner, den er mitschreiben musste, sprach allerdings ziemlich flott. Laut Springwald ein genereller Trend: Sechs Fraktionen im Landtag, der Einfluss sozialer Netzwerke mit ihrer Schnipsel-Logik - die meisten Abgeordneten reden schneller als früher.

Landtags-Stenografen: An Plenartagen fast alle im Einsatz

Stenografie: Das weckt Erinnerungen an ein längst nicht mehr unterrichtetes Schulfach, an Sekretärinnen in den 70er-Jahren, an eine vergangene Zeit. Springwald, Anfang 50, hat das Stenografieren noch in der Schule lernen müssen. Irgendwann hat es ihn dann gepackt, seit gut dreißig Jahren arbeitet er im Landtag. Ob er ein fotografisches Gedächtnis hat? Springwald lächelt: "Ich denke mal, ich habe eins."

Schaden würde es jedenfalls nicht - zumindest beim Einprägen der zahlreichen Abkürzungen. Laut Duden handelt es sich bei der Stenografie um eine "Schrift mit verkürzten Schriftzeichen, die ein schnelles Mitschreiben ermöglichen". Das ist freilich sehr nüchtern ausgedrückt: Die Redeschrift der Stenografie, mit der Springwald und die anderen in kürzester Zeit ihre Zettel füllen, ist eine Kunst. Sehr viele Häkchen und Linien, ein Wort kann ein Strich sein oder weniger. Und alles wird notiert: Wortbeiträge, Applaus, Zwischenrufe.

Abgeordnete sofort erkennen - im Zweifel sogar an der Stimme

Heute gibt es noch ein paar hundert Stenografinnen und Stenografen in Deutschland, vor allem in den Parlamenten. Das Stellenprofil hat es in sich: Hochschulstudium, dazu exzellente Stenografie-Kenntnisse und Allgemeinbildung. Im Bayerischen Landtag umfasst das Stenografie-Team 13 Personen. Bei Plenarsitzungen sind alle im Einsatz, alle zehn Minuten wechseln sie sich ab.

Um Zwischenrufe zuordnen zu können, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stenografischen Diensts alle Abgeordneten sofort erkennen. Häufig können sie das an der Stimme. Wenn sie zurück sind im Büro, nach ihren Zehn-Minuten-Intervallen im Plenarsaal, geht es konzentriert weiter. Heißt: Springwald schaut auf sein Stenogramm, hört zum Abgleich die Tonaufnahme - und hält die Worte fest, die sonst verhallen würden.

Flüchtigkeitsfehler werden einfach korrigiert

Schon vier Stunden nach Sitzungsschluss steht das vorläufige Protokoll in der Regel online. Im Anschluss können die Abgeordneten drüberlesen, ob sie richtig wiedergegeben werden. Beim Protokollieren wird auch sprachlich geglättet: Wenn eine Rede konfus war oder Flüchtigkeitsfehler enthielt wie "nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1954".

Übrigens: Welche Redner sie mögen und welche nicht, darüber wird geschwiegen in der stenografischen Abteilung im vierten Stock des Landtags. Berufsgeheimnis. Das gilt auch für die Spitznamen, die manche Abgeordnete hier intern haben. Unterschiede werden aber ohnehin nicht gemacht: "Man will natürlich keinen Redner bloßstellen", sagt Springwald.

Bayerisches Team hat Bundespokalschreiben gewonnen

Man könnte Menschen wie ihn "Chronisten der Demokratie" nennen. Stenografie kann aber auch ein Wettbewerb sein: Im Dezember gewann das bayerische Team das 32. Bundespokalschreiben. Aus dem Landtags-Team für Bayern am Start waren unter anderem Springwald – und Tanja Benker. Sie stenografiert seit gut zwei Jahren im Landtag. Bald nach ihrem Start kam Corona.

"Man hat nur von oben geschrieben, von den Zimmern – und war überhaupt nicht nah dran an den Abgeordneten, an der ganzen Stimmung im Saal", sagt Benker im Rückblick. "Ein ganz anderes Arbeiten" sei das jetzt, seit sie wieder in den Plenarsaal können. "Und es ist auch ein ganz anderes Protokoll, das entsteht."

Bildrechte: Bildarchiv Bayerischer Landtag
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Tanja Benker (l.) und Volker Springwald (r.) mit ihren Siegerurkunden vom Bundespokalschreiben 2021.

Herausforderung Mundarten - und Reden ins Nichts

Besonders die vielen Mundarten machen Bayerns Landtag laut Benker besonders. Auch deshalb haben sie und die anderen keine Sorge, dass Spracherkennungs-Software ihren Job bald überflüssig macht: "Die Software will ich sehen, die fehlerfrei Oberpfälzisch mitschreibt." Außerdem müsste ein solches Programm auch fehlerfreie Interpunktion beherrschen - und die Debatten verdichten, die in den Landtags-Ausschüssen geführt werden. Dort erstellen Benker, Springwald und die anderen nämlich ein analytisches Protokoll, eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Punkten.

Eine besondere Herausforderung für Stenografinnen und Stenografen sind Reden, die ins Nichts laufen. Das vielleicht bekannteste bayerische Beispiel, neben Hubert Aiwangers "Hendl-Gleichnis", dürfte eine Wortmeldung von Edmund Stoiber sein. Januar 2002, Neujahrsempfang der CSU München, der damalige Ministerpräsident Stoiber spricht über einen möglichen Transrapid zum Flughafen. Der Rest ist Kult: "Sie steigen in den Hauptbahnhof ein", "Weil das ja klar ist" und so weiter.

Stoiber? "Es gibt genügend Nachfolger"

Spielt man Benker die alte Stoiber-Rede vor, muss sie lachen. Von der Redegeschwindigkeit her sei das zwar okay. "Aber der Redner hat noch nicht ganz strukturiert, wie er das, was er eigentlich zum Ausdruck bringen will, sagen will." Als Stenografin müsse sie dann mit Satzabbrüchen arbeiten - also kenntlich machen, dass ein Satz nicht weiter geht. Ob eine Herausforderung wie Stoiber fehle? "Ach", sagt Benker, "es gibt genügend Nachfolger, würde ich sagen".

Ihren Job hat Benker, Jahrgang 1992, übrigens ganz bewusst gewählt. "Ich kann mir keinen besseren Beruf für mich vorstellen", sagt sie. "Man sitzt in der ersten Reihe, aber man muss nichts sagen - für mich ist das perfekt."

Bildrechte: BR/Maximilian Heim
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

30.06.22, Bayerischer Landtag: Von Volker Sringwald erstelltes Stenogramm während der 118. Plenarsitzung der aktuellen Legislaturperiode.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!