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Mit einer Gesetzesänderung soll der Anreiz für Betriebe steigen, Schwerbehinderte einzustellen.

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Schwerbehinderte: Neues Gesetz soll Beschäftigung fördern

Schwerbehinderte haben oft Probleme, eine Arbeit zu finden. Eine Gesetzesänderung soll die Position von Menschen mit Handicap auf dem Stellenmarkt verbessern. Bayerns Behindertenbeauftragter begrüßt diese Entscheidung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Es ist unheimlich schwer, eine Arbeit zu finden." Wenn Sebastian Bost das sagt, dann tut er es mit Gebärden, denn er ist gehörlos. Er beauftragt immer wieder eine Gebärdensprach-Dolmetscherin, um sich mit anderen Menschen zu verständigen. In der Firma Wolf Butterback mit Sitz in Fürth, in der der 48-Jährige seit März 2023 arbeitet, reicht ihm aber inzwischen meist die Unterstützung durch seine Kollegen. Die verstehen inzwischen etwa die Geste, die er macht, wenn er zur Toilette geht.

Christian Belzer, der bei dem mittelständischen Betrieb als Schichtleiter arbeitet, stellt fest: "Sehr positive Erfahrungen" habe die Firma mit seinen fünf gehörlosen Mitarbeitern gemacht. Insgesamt zählt die Firma rund 560 Beschäftigte. Insgesamt beträgt der Anteil Schwerbehinderter an der Belegschaft von Wolf Butterback rund sieben Prozent. Damit liegt das Unternehmen, das sich auf tiefgekühlte Backwaren spezialisiert hat, deutlich über dem Schnitt der Privatwirtschaft insgesamt. In Bayern hatten die Privatunternehmen zuletzt im Schnitt einen Schwerbehinderten-Anteil von 4,1 Prozent in ihren Belegschaften.

Schwerbehindertenquote soll helfen

Allerdings ist die Lage von Schwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt insgesamt schwierig. Unter ihnen liegt die Arbeitslosenquote um etwa die Hälfte höher als unter allen Arbeitnehmern insgesamt. Damit Firmen möglichst viele Schwerbehinderte beschäftigen, ist schon seit langem für Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern eine Schwerbehinderten-Quote von fünf Prozent festgeschrieben. So hoch muss der Anteil von Schwerbehinderten an der Belegschaft sein, wenn Firmen eine sogenannte Ausgleichsabgabe vermeiden wollen. Bislang werden zwischen 140 und 360 Euro pro Monat und nicht besetztem Schwerbehinderten-Arbeitsplatz fällig, je nachdem, wie groß ein Unternehmen ist und in welchem Umfang es die Fünf-Prozent-Quote unterschreitet.

In Bayern erfüllen rund sechs von zehn Firmen die Schwerbehindertenquote nicht. Nach bundesweiten Zahlen hat rund ein Viertel aller Unternehmen gar keine schwerbehinderten Mitarbeiter.

Für diese sogenannten "Null-Beschäftiger" verschärft die Bundesregierung ab nächstem Jahr die Ausgleichsabgabe. Firmen, die mindestens 60 Mitarbeiter haben, aber keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen, müssen dann 720 Euro für jeden nicht besetzten Quoten-Arbeitsplatz zahlen.

Zustimmung von Bayerns Behindertenbeauftragtem

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hatte die Anhebung kritisiert, weil es ihrer Ansicht nach für Firmen oft kompliziert ist, für Schwerbehinderte passende Arbeitsplätze anzubieten. Der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Holger Kiesel, hält die Verdoppelung der Abgabe für "Null-Beschäftiger" aber für richtig. Die Bundesregierung habe eine "absolut richtige und leider notwendige Entscheidung" getroffen, findet Kiesel, der selbst im Rollstuhl sitzt.

Vorurteile halten sich hartnäckig

Strafzahlungen für Firmen, die keine Schwerbehinderten beschäftigen, seien aber nur die zweitbeste Lösung, findet Kiesel. Die Gelder, die dadurch gewonnen werden, seien zwar eine wertvolle Hilfe, um die Eingliederung von Schwerbehinderten in den Arbeitsmarkt zu fördern. Rund 142 Millionen Euro sind alleine in Bayern im Jahr 2022 dadurch zusammen gekommen. Am besten wäre es in Kiesels Augen aber, wenn möglichst viele Arbeitgeber die Potenziale von Menschen mit Handicap erkennen.

Neben Vorurteilen über die Fähigkeiten von Schwerbehinderten gebe es auch viele Irrtümer, sagt der Behindertenbeauftragte der Staatsregierung. So sei es ein Irrglaube, dass ein Arbeitgeber Schwerbehinderten nicht mehr kündigen kann, wenn sie erst einmal einen Arbeitsvertrag haben.

Und viele Firmen wüssten auch nicht genug über Unterstützungsleistungen, wie sie beispielsweise die "Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber" (EAA) anbieten, findet Kiesel. Dort können sich Unternehmen individuell beraten lassen, was sie zu beachten haben, wenn sie Schwerbehinderte beschäftigen wollen und welche Förderleistungen es gibt.

Alltägliche Ignoranz

Über Vorurteile kann auch Maximilian Schedl einiges berichten. Weil sein Gehirn bei der Geburt nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde, leidet er unter einer Lähmung. Seine Beine und vor allem seinen linken Arm kann der 34-Jährige nur eingeschränkt benutzen.

Aber seinen Verstand schränkt die Lähmung nicht ein. Schedl hat die Fachhochschule absolviert und arbeitet beim Amtsgericht München als Rechtspfleger. Er wickelt beispielsweise Kontopfändungen ab, wenn jemand seine Schulden nicht zahlt. Doch Schedl erlebt immer wieder Szenen wie diese: Ein junger Kollege, der noch in der Ausbildung ist, sitzt beim ihm im Raum, und ein Besucher spricht erst einmal den Nicht-Behinderten an, obwohl dieser der falsche Ansprechpartner ist. "Da muss man dann schon noch einmal klarmachen, dass man hier jetzt der Entscheider ist", erzählt Schedl.

Öffentlicher Dienst in Vorbildfunktion

Schedl weiß es allerdings zu schätzen, dass der öffentliche Dienst eine gewisse Vorbild-Rolle bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten einnimmt. Die allgemeine Quote, wonach mindestens fünf Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten besetzt sein müssen, übertreffen die öffentlichen Arbeitgeber in Bayern. Sie haben nach Daten der Staatsregierung den Anteil von Schwerbehinderten an ihren Beschäftigten seit dem Jahr 2017 von 6,6 auf 6,8 Prozent erhöht.

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