In einigen Großstadtvierteln treiben Jugendgangs ihr Unwesen: Drogen, Waffen, Schlägereien. Wie geraten Jugendliche da rein, was treibt sie an und was erwarten sie für die Zukunft? Kontrovers - Die Story hat eine Jugendgang in München begleitet.
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Kontrovers - Die Story hat eine Jugendgang in München begleitet.

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Jugendgangs in München: Gebt uns eine Zukunft!

In einigen Großstadtvierteln treiben Jugendgangs ihr Unwesen: Drogen, Waffen, Schlägereien. Wie geraten Jugendliche da rein, was treibt sie an und was erwarten sie für die Zukunft? Kontrovers – Die Story hat einige von ihnen begleitet.

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Am frühen Abend ist auf dem Platz der Menschenrechte in München-Riem noch alles friedlich. Doch es wird nicht lange so bleiben in der Halloween-Nacht: Immer mehr Jugendliche sammeln sich, nahezu alle von ihnen sind dunkel gekleidet, teilweise haben sie ihr Gesicht verdeckt. Bald schon werden erste Böller geworfen.

Nach etwa einer Stunde fährt ein Auto auf dem Platz der Menschenrechte vor. Die Jugendlichen erkennen es sofort als Zivilfahrzeug der Polizei: "Das sind die Bullen, das sind Zivis", ruft einer. Sofort fliegt ein Gegenstand auf die Motorhaube der Zivilpolizisten.

Messestadt-Jugendliche: Ihr Weg in den Teufelskreis - im Video: Kontrovers - Die Story

Jugendliche der Messestadt: abgestempelt und vergessen?

Viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben eine Riesenwut. Dagegen, wie sie behandelt werden. Gegen die Vorurteile, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Und gegen die Polizisten, die für viele von ihnen zum Symbol der von ihnen erlebten Ungerechtigkeit geworden zu sein scheinen. Gleichgesinnte und Gemeinschaft finden sie untereinander, in ihren Gruppen. Manche von ihnen werden gewalttätig.

Nicht ungewöhnlich, sagt Michael Laumer. Er ist Kriminalwissenschaftler der Bayerischen Polizei und einer der Autoren der diesjährigen LKA-Studie über gewaltbereite Jugendgruppen in Großstädten.

"Die Jugendlichen haben es nicht gelernt, durch schulische Leistungen, sportliche Erfolge, Anerkennung zu bekommen, sondern sie bekommen sie in der Gruppe. Und es geht letztendlich um das Zugehörigkeitsgefühl, das sie in der Gruppe erleben und dann die Statusverbesserung und der Prestigegewinn. Eine Statusverbesserung wird dann meistens so erreicht, indem sie durch kriminelle Aktivitäten schnell an Geld kommen." Michael Laumer, Kriminalwissenschaftler der Bayerischen Polizei

Zugehörigkeit durch Gruppenbildung

Wer sind die jungen Männer, die hinter der schwarzen Kleidung und den Masken stecken? Woraus resultiert ihr Frust und wie gehen sie damit um?

Bereits seit vielen Monaten ist das Team von Kontrovers - Die Story mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Messestadt-Riem in Kontakt. Was bewegt sie? In den Gesprächen kommt immer wieder heraus: Diese Jugendlichen fühlen sich systematisch abgestempelt und vergessen - bereits seit ihrer Kindheit. Ihr Appell: "Sie sollten schon in den Schulen anfangen, uns wirklich Hoffnung zu geben: 'Ihr könnt was Großes werden'."

Ein junger Mann in der Messestadt beschreibt: "Wenn ich an Messestadt denke, dann denke ich an Jungs, die es wirklich schaffen wollen, die Familien aufbauen wollen. Es ist schwierig, in einer Stadt, die reich ist, zuzusehen, wie es den Reichen gut geht und uns nicht. Und da die uns das nicht finanzieren wollen, müssen wir uns das selber finanzieren."

Sich selbst zu finanzieren, das bedeutet für einige von ihnen, mit Drogen zu dealen. Die müssten sie schützen, erklären sie dem Kontrovers-Team - etwa mit einer Pfefferspraypistole. "Manche laufen auch mit Messern rum, um einfach nur ihre Ware zu schützen." Die Situation sei "scheiße", das erkennen auch die jungen Männer. Wo sie sich in zehn Jahren sehen, will das Kontrovers-Team von ihnen wissen. Die Antwort ist abgeklärt: "Vielleicht sind wir im Knast. Vielleicht bauen wir eine Familie auf. Wir wissen es nicht."

Flucht vor Polizei und USK

Der Zwiespalt gehört für viele der Jugendlichen längst zur Dynamik in der Jugendgang. Halloween ist für sie lediglich der Anlass für ein Ventil. Ein Teil der Jugendlichen will bewusst provozieren und schmeißt Böller auf das Gebäude der Polizeidienststelle. Am Platz der Menschenrechte fährt inzwischen mehr Polizei auf. Auch das sogenannte Unterstützungskommando USK ist dabei, das harte Einsätze begleitet.

Die Jungs – Mädchen halten sich in der Regel raus – rennen in verschiedene Richtungen davon, eine Gruppe flüchtet auf ein Baugerüst, andere verstecken sich in Büschen oder nutzen die Tiefgaragen, um zu entkommen. Den meisten scheint das zu gelingen: "Die Bullen haben uns nicht gekriegt, das ist schon mal Fakt."

Kriminalwissenschaftler Michael Laumer ordnet die Ereignisse zu Halloween jedoch anders ein und vermutet bewusste Provokation der Jugendlichen: "Deswegen brauchen sie sich dann letztendlich auch nicht wundern, dass die Polizei auch sie so kontrolliert und die Kontrolltätigkeit auch massiv zugenommen hat in letzter Zeit", so Laumer.

Messestadt-Jugendliche: "Ein Leben mit zwei Gesichtern"

Den Jugendlichen ist aber auch wichtig zu betonen, dass die, die eben noch vor der Polizei geflüchtet sind, auch gute Seiten haben: "Sehen wir eine Oma, sie trägt eine Tüte, dann gehe ich hin, nehme ihr die Tüte ab und bringe sie bis nach Hause. Sehe ich, dass 20 Jungs auf einen kleineren eintreten, gehe ich dazwischen, sag, hey Jungs, hört auf damit", erzählt ein junger Mann in der Messestadt, auch er will anonym bleiben.

Sie leben ein Leben mit zwei Gesichtern, berichtet er weiter, sagt: "Wir wollen auch ein normales Leben irgendwann mal führen." Doch bald werden sie eine Entscheidung treffen müssen, welchen Weg sie im Leben einschlagen werden.

12.12.2024: Leider dauert das Software-Update länger als geplant. Wir bitten die Verzögerung zu entschuldigen - wir informieren an dieser Stelle, sobald wir genauer wissen, wann wir den Kommentarbereich wieder öffnen können.

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