Bundespolizisten kontrollieren die Papiere eines Reisenden im Rahmen einer Einreiseverkehrskontrolle in einem Zug aus Prag in Richtung München.
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Bundespolizisten kontrollieren die Papiere eines Reisenden im Rahmen einer Einreiseverkehrskontrolle in einem Zug aus Prag in Richtung München.

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"Racial Profiling" bei der Polizei: Praxis oder nicht?

Ausweis- oder Taschenkontrolle durch die Polizei, nur weil Hautfarbe oder das Aussehen "fremdländisch" sind? Bayerns Innenministerium lehnt das ab. Eine Studie sieht Hinweise für "Racial Profiling", es fehlen aber belegbare Daten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Immer wieder berichten Menschen mit Migrationshintergrund davon: Die Polizei hält sie am Bahnhof, im Zug oder auf öffentlichen Plätzen an, um sich den Ausweis zeigen zu lassen oder kontrollieren ihre Taschen - und das ohne Anlass.

Wenn Polizisten allein durch das fremdländische Aussehen einer Person auf mögliche kriminelle Umtriebe schließen, nennt sich das "Racial Profiling". Auch wenn immer wieder Beispiele bekannt werden: Belastbare Zahlen oder Daten für ein strukturelles Problem bei Polizeikontrollen gibt es nicht. Die Polizei führt auch keine Statistik darüber, wen sie warum verdachtsunabhängig kontrolliert. Das ist bislang weder im Bundespolizeigesetz (Art. 22 Abs. 1a) noch im bayerischen Polizeigesetz vorgesehen.

Laut Grundgesetz, sagt Alexander Tischbirek, ist rassistische Diskriminierung sowieso verboten. Und das ist auch "der Hebel", mit dem der Regensburger Jura-Professor Mandanten in Sachen "Racial Profiling" vor Gericht vertritt: "Immer, wenn die Hautfarbe zum Beispiel ein tragendes Kriterium für die Kontrollen spielt, sind wir im Bereich des Verbots aus unserer Verfassung", erklärt Tischbirek.

Polizei lehnt "Racial Profiling" ab

Auch das Bayerische Innenministerium, das für die Polizei im Freistaat zuständig ist, lehnt "Racial Profiling" "strikt ab". Ähnlich äußert sich auch Jan Pfeil, stellvertretender Landesvorsitzender bei der Gewerkschaft der Polizei Bayern: "Profiling spielt natürlich eine Rolle, weil wir einen Auftrag zu erfüllen haben oder einen konkreten Fahndungsansatz und suchen nach dem roten Fahrzeug – dann suchen wir nicht nach dem weißen. Aber ich würde das Wort 'racial' nicht dazusetzen."

Sachverständigenrat: Es gibt Hinweise

Demgegenüber hält der Sachverständigenrat für Integration und Migration fest, "dass Racial Profiling in Deutschland eine empirische Realität ist". So heißt es in der Auswertung einer bundesweiten Telefonbefragung. Von den rund 15.000 Befragten gaben fünf Prozent an, in den vorangegangenen zwölf Monaten (Ende 2021 bis Mitte 2022) mindestens einmal an einem öffentlichen Ort von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Davon wiederum nahmen sich 8,3 Prozent aufgrund von äußerlichen Merkmalen selbst als ausländisch wahr. Absolute Zahlen gehen aus der Befragung aber nicht hervor. Ein Beleg für gängiges "Racial Profiling" im Polizeialltag ist es auch nicht.

Zweifel an der Aussagekraft

"Menschen mit ausländischem Aussehen werden häufiger kontrolliert", titelte der Sachverständigenrat auf dieser Datenbasis. Genaue Fallzahlen kann allerdings auch die Münchner Beratungsstelle "Before" für Betroffene von rechter und gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung nicht nennen. Trotz allem sind "Racial Profiling, rassistisches Polizeihandeln und Polizeigewalt immer wieder Bestandteil unserer Arbeit", sagt Lea Tesfaye von "Before".

Licht ins Dunkel der Rassismusvorwürfe gegen die Polizei bringen soll auch eine bundesweite Polizeistudie, die das Bundesinnenministerium – damals noch unter Horst Seehofer (CSU) – ins Rollen gebracht hat und noch bis Ende 2024 läuft. Für einen ersten Zwischenbericht, der im April erschien, hatten die Forscher knapp 51.000 Fragebögen an Beamte im gesamten Bundesgebiet (mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Hamburg) ausgewertet. Darin heißt es: "Zustimmung findet die pauschale Aussage, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland, bei 14 % der Befragten und etwa 21 % zeigen sich hier zwiegespalten."

Einen Beleg für "Racial Profiling" bei der Polizei liefert dieses Meinungsbild freilich auch nicht. Im Zwischenbericht taucht der Begriff nicht auf. Auf BR-Anfrage teilt das Bundesinnenministerium mit: "Bei der Bundespolizei werden Personenkontrollen unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen diskriminierungsfrei durchgeführt. Es werden keine Personen aufgrund ihrer Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder in Anknüpfung sonstiger Anhaltspunkte wie ethnischer Herkunft befragt und kontrolliert."

Ein Gefühl von Ohnmacht

Bei der Münchner Beratungsstelle "Before" stiegen zwar die Beratungszahlen rund um "Racial Profiling". Das heiße aber nicht zwangsläufig, dass auch die Fallzahlen ansteigen, sondern möglicherweise auch die Sensibilisierung der Betroffen für das Thema. Diese berichteten bei "Before" von einem "starken Gefühl der Ohnmacht" während der Polizeikontrolle.

"Meistens sind Betroffene in der Situation allein, stehen mehreren Beamten gegenüber und es gibt meist keine unabhängigen Zeuginnen, keine Personen, die sich auf ihre Seite stellen", so Lea Tesfaye. "Dennoch finden die Kontrollen ja im öffentlichen Raum statt. Und auch deswegen spielen Faktoren wie Scham oder auch ein Gefühl der Erniedrigung eine große Rolle."

Viele Fälle kommen nie zur Anzeige

So schildert es auch Prince, gebürtig aus Nigeria. Der 33-Jährige sagt, dass ihn acht Polizisten im Juli 2020 auf dem Heimweg von der S-Bahn in seine Sammelunterkunft am Bahnhof Wolfratshausen angehalten hätten. Der Ausweiskontrolle sei auch eine Leibesvisitation gefolgt. In aller Öffentlichkeit, weil die Polizei auch im Intimbereich versteckte Drogen vermutet hatte – aber Fehlanzeige.

Sicher ein extremes Beispiel. Aber: Die öffentliche Demütigung habe er aus Angst, seinen Verbleib in Deutschland zu riskieren, nicht angezeigt. Bei der Polizei vor Ort war er trotzdem, das bestätigt eine Anfrage bei der Polizeiinspektion Wolfratshausen. Die Beamten hätten klar eine Grenze überschritten, hieß es dort, gleichwohl bestehe ein Problem mit Drogendealern aus Afrika.

"Racial Profiling" durch Statistik gerechtfertigt?

Laut bayerischer Polizeistatistik für das Jahr 2022 hatte mehr als ein Drittel der 256.036 Tatverdächtigen – 93.375 Menschen – keinen deutschen Pass. Ausländerrechtliche Delikte sind hier bereits ausgenommen. Nicht-deutsche Tatverdächtige kamen dabei mit weitem Abstand aus Rumänien, gefolgt von Türkei und Polen. Vor allem sogenannte Rohheitsdelikte sind auffällig oft vertreten (29,2 Prozent), wobei das auch dadurch zu erklären ist, dass darunter auch vieles fällt, was mit Schleuserkriminalität zu tun hat.

Aber: Unter den ermittelten Taten durch Verdächtige ohne deutschen Pass sind Rauschgiftdelikte (14,6 Prozent) auf dem vierten Platz zu finden. Ein afrikanisches Land, um wiederum den oben erwähnten Vorfall besser einordnen zu können, findet sich jedoch nicht unter zehn Ländern, aus denen die meisten ausländischen Tatverdächtigen kamen.

Offen diskutieren

Vom Aussehen auf die Nationalität oder Kriminalität eines Menschen zu schließen sei eben weder möglich noch legitim, sagt der Regensburger Jurist Alexander Tischbirek vom Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung. Von einem "so krassen Fall" wie in Wolfratshausen habe aber selbst er noch nichts gehört.

Tischbirek kritisiert aber allein "die Kontrollen als solche", die nach dem Wegfall der Grenzkontrollen im Schengenraum Gesetz wurden. "Man mag vielleicht denken: Ach, dann zeigt man mal meinen Ausweis und gut ist. Aber man darf den ausgrenzenden Effekt nicht unterschätzen. Wenn das mit steter Regelmäßigkeit passiert, macht das was mit den Menschen und dem sollten wir uns auch nicht verschließen."

Quittung bei Kontrollen?

Im Bundesinnenministerium liegt inzwischen ein Referentenentwurf vor, der den strittigen Paragrafen 22 Abs. 1a im Bundespolizeigesetz novellieren soll. Verdachtsunabhängige Kontrollen wären danach weiterhin möglich. Die Kontrollierten hätten dem Entwurf zufolge dann aber das Recht, "unverzüglich eine Bescheinigung über die Maßnahmen und ihren Grund" von der Polizei zu erbitten.

Damit könnte "Racial Profiling" natürlich erstmals durch Zahlen der Polizei selbst belegt – oder eben auch widerlegt werden. In der Praxis winkt Jan Pfeil von der Gewerkschaft der Polizei Bayern ab: zu viel zusätzliche Bürokratie.

Dennoch ist auch den Innenministerien auf Landes- und Bundesebene klar, dass man sich der Diskussion und einer öffentlichen Debatte nicht verschließen kann. Selbst wenn Einzelfälle kein strukturelles Problem bei Polizeikontrollen belegen. Das bayerische Innenministerium verweist etwa auf einen für alle Polizeimitarbeiter erarbeiteten "Leitfaden zur Vermeidung von diskriminierendem Racial Profiling".

Hinweis: Wir haben den Artikel ergänzt mit Teilergebnissen einer weiteren Studie, der bundesweiten Polizeistudie. Ergebnisse werden Ende 2024 vorliegen. Auch eine Stellungnahme des Bundesinnenministeriums ist ergänzt.

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