Drei Wochen in der eigenen Wohnung, Isolation und ewiges Warten in Quarantäne. Nacheinander hatten sich alle fünf Mitglieder der Familie Steinbacher in München mit dem Coronavirus angesteckt. Ein persönlicher Bericht über 21 Tage unter ganz besonderen Bedingungen.
- Zum Artikel: "Corona-positiv: Sollte ich mich von meinem Kind isolieren?"
Zwei Striche auf dem Corona-Test, die alles ändern
Da ist er auf einmal, der zweite rote Strich auf dem Schnelltest - noch vor dem ersten Frühstückskaffee. "Bitte nicht!", stöhnt meine Frau auf. Wobei ihr Ausruf mehr klagend, als mitfühlend klingt.
Neben den beunruhigenden gesundheitlichen Aspekten, öffnet dieser zweite Strich für unser Familienleben eine ungekannte Dimension, die nicht das Wort "Chaos" verdient, denn im Vergleich zu dem was jetzt kommt, wäre "Chaos" noch eine wohl geordnete Struktur. Eigentlich muss meine Frau bald ihre neue Arbeitsstelle antreten, unser drittes und jüngstes Kind hätte nun eigentlich in der Krippe eingewöhnt werden sollen, alles für die Katz.
Isolationsraum: Schlafzimmer
Die Aussicht, die kommenden zehn Tage mit ihren drei Kindern in einer Münchner Vierzimmer-Wohnung verbringen zu dürfen, während sich der Mann ins eheliche Schlafzimmer zur Isolation zurückzieht, weckt in meiner Frau nur mäßige Begeisterung. Komisch, dabei haben wir doch nur Wunschkinder?! Um eins schon mal vorweg zu nehmen, der Versuch einer Isolation, war nur bedingt erfolgreich.
Während ich also akribisch teils aus Angst, teils aus überbordender Langeweile über die bei mir auftretenden Symptome Buch führe, meine Atemfrequenz überwache, meinen Puls und meinen Blutdruck messe und überprüfe, ob ich nicht vielleicht doch Fieber bekommen werde, kümmert sich meine Frau ums Essen, die Wäsche, die Schulaufgaben der großen, die Beschäftigung der mittleren und die Windeln der kleinsten Tochter. Meine Frau kümmert sich außerdem um die Sauberkeit der Wohnung und am Abend, wenn die Erben im Bett liegen, um ihre eigene Arbeit.
Zurück in die 80er Jahre
Wenn ich der Überprüfung meiner Symptome überdrüssig werde, binge ich meine neue Lieblingsserie. Der ZDF-Klassiker aus den 80er Jahren "Ich heirate eine Familie" lässt mich wieder positiv ins Leben blicken. Peter Weck, in der Serie heißt er Werner, heiratet Angi, gespielt von Thekla Carola Wied. Ich sage nur Bilderbuchfamilie! Übrigens, Angi hat bis zur Heirat mit Werner ihre drei Kinder allein erzogen. Werde seltsam an irgendetwas erinnert … egal!
Charme-Offensive zur Essenszeit
Dreimal täglich bekomme ich von meiner Frau die Mahlzeiten auf einem Tablett im Schlafzimmer serviert. Das Gemüse hierfür lassen wir uns, ganz die aufgeklärte Stadtfamilie, natürlich vom Biobauernhof liefern. Die restlichen Lebensmittel und was man sonst noch braucht, besorgen Freunde.
Während ich mich - in freudiger Erwartung auf das Essen - also aus dem Bett schäle, versuche ich die Laune meiner Frau etwas zu heben und garniere ihr Hereinkommen mit Aussprüchen wie "Mmmmh Du hast wieder wunderbar gekocht!" oder, "na, das sieht aber wieder gut aus!". Meine Frau hingegen sagt kaum etwas. Im Gegenteil, dort wo sie einst positiv in die Zukunft zu blicken pflegte, sehe ich nur dunkle, dick umrandete, raubkatzenhafte Sehschlitze. Ob dahinter blanker Hass steckt, erschließt sich mir nicht ganz, das restliche Gesicht ist FFP2-bedeckt.
Symptome weg - Isolation bald auch
An Tag fünf meiner Isolation sind alle Symptome weg. Im Bett kann ich nicht mehr liegen, das Kreuz schmerzt und auf Angi, ihre drei Kinder und Werner, der mittlerweile den Kindern ein Pferd gekauft hat, hab ich auch keinen Bock mehr. Eigentlich will ich nur noch meine Familie in den Arm nehmen. Die hält sich aber im Westflügel unserer Vierzimmer-Wohnung auf.
"Die Mama ist der Chef"
Am sechsten Tag stellen wir fest, dass unsere acht Monate alte Tochter Fieber, Husten und Schnupfen bekommen hat. Daraufhin beende ich meine Isolation. Als ich wieder ordentliches Mitglied unseres Familienverbands bin, erklärt mir meine Frau den von ihr entwickelten, geregelten Tagesablauf.
Morgens wird getestet, danach macht die älteste Tochter Schularbeiten, um 12 Uhr gibt's Mittagessen und danach dürfen die Kinder ein wenig auf dem iPad "Löwenzahn" oder "Maus" anschauen. Ja, wenn schon Fernsehen, dann soll es auch bilden. Mit einem Kochlöffel weist sie mir mein Aufgabenfeld zu: Staubsaugen, Kochen und ach ja, die Wäsche müsste jetzt auch aufgehängt werden.
Kind Nummer zwei blickt mich etwas unschlüssig an. Nach kurzem Schweigen höre ich aus ihrem Mund ein, "Die Mama ist der Chef". Ohne ein weiteres Wort mache ich mich an die mir gestellten Aufgaben.
Überraschung nach PCR-Tests
Die PCR-Tests der Restfamilie bringen Erstaunliches zu Tage. Kind Nummer 3 ist - trotz seiner Symptome - negativ. Allerdings ist Kind Nummer 1, das bis jetzt keine Krankheitszeichen aufweist, dafür positiv.
Sieben Tage nach meinem positiven PCR-Test kommt ein Brief vom Gesundheitsamt, in dem mir mitgeteilt wird, dass ich Corona habe und in Isolation bzw. Quarantäne müsse. Meine Frau hat nun deutliche Erkältungssymptome, der jüngsten Tochter geht es aber etwas besser.
Quarantäne sorgt für Mittagsschlaf
An Tag 8 ist auch der erneute PCR-Test der jüngsten Tochter positiv. Während die älteste für zwei Tage eine leicht laufende Nase und ein wenig Kopfweh hat, klingt der Husten bei der jüngsten Tochter doch noch immer sehr unangenehm.
Die lange Zeit in der Wohnung löst bei uns Erwachsenen irgendwie einen Zustand körperlicher und psychischer Trägheit aus. Mittlerweile haben wir uns beide angewöhnt, nach dem Mittagessen etwas zu schlafen.
Kinder werden immer lebhafter
Was mir auffällt, während wir Eltern in Lethargie ersaufen, haben die Kinder nichts von ihrer so "liebenswerten" Lebhaftigkeit verloren. Im Gegenteil: Die fade, trockene Luft der Wohnung hat für sie eine, so scheint es, eher aufputschende Wirkung. Um 22 Uhr Bettruhe, wo gibt’s denn sowas???
Auch die jüngste Tochter, die nachts zwar hustet wie Helmut Schmidt zu seinen besten Menthol-Zigaretten-Zeiten, krabbelt tagsüber frohgemut wie ein Duracell-Hase mit angeschlossener Autobatterie durch die Wohnung.
Die bekannten Sehschlitze meiner Frau
Während die kishoneske, weltbeste Ehefrau, die jüngste Tochter und meine Wenigkeit also unser Mittagsschläfchen halten, dürfen die zwei großen Kinder fernsehen. Wenn ich dann nach zwei Stunden Nickerchen den späteren Erben unseres Quarantänegefängnisses eröffne, dass es nun wirklich gut sei, blicken mich zwei blutunterlaufene shining-ähnliche Augenpaare an.
Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was sich die Kinder anschauen, aber aufgrund der nonverbal eingelegten Weigerung zögere ich mit der Durchsetzung meiner Androhung. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen und da ich zudem das Gefühl habe, dass ich mich wieder hinlegen möchte, entscheide ich mich dazu, "good cop, bad cop" zu spielen. Großzügig erlaube ich den Kindern, noch ein bisschen länger zu schauen und übertrage die Entscheidungsgewalt meiner Frau. Da sind sie wieder, die Sehschlitze.
Eine Isolation, die nichts gebracht hat
Am letzten Tag meiner Quarantäne sind dann auch meine Frau sowie die mittlere Tochter positiv. Letztere ist komplett symptomfrei. Meine Frau hingegen zeigt deutliche Omikron-Anzeichen. Die Aussicht, dass sie nun weitere zehn Tage in Quarantäne verbringen muss, bringt uns beide zur Erkenntnis, dass meine Isolation komplett für den …, also "umsonst" war.
Virus ändert sich - die Verwaltung nicht
Nach endlosen 20 Tagen sind alle freigetestet, die zwei Großen dürfen wieder in die Schule bzw. in den Kindergarten. Irgendwann dazwischen, das Zeitgefühl ist uns irgendwie abhandengekommen, trudeln auch die restlichen Quarantänebescheide vom Gesundheitsamt ein. Gut, was soll man sagen, die deutsche Bürokratie preußischer Prägung ist eben nicht für ein so wandelbares Virus gemacht.
"Hey was soll's?!", denken wir uns, das Leben hat uns wieder und wir sind zum Glück ohne größeren Schaden davongekommen. Eigentlich war die viele Zeit mit den Kindern auch mal schön, romantisiere ich unsere "Erfahrung" gegenüber Freunden.
Kleine Sehschlitze überall ...
Doch mit der Romantik ist es abrupt vorbei, als nach dem zweiten Tag Kindergarten die Nachricht kommt, dass ein Kind aus der Gruppe unserer frisch genesenen Tochter corona-positiv ist. Da sie aber noch keinen offiziellen Genesenen-Status genießt, der wird erst 28 Tage nach dem PCR-Test aktiv, muss unsere Tochter zurück in die geliebte Quarantäne-Obhut ihres Elternhauses.
Nach fünf Tagen dürfen wir sie freitesten lassen. Auf diese Nachricht hin, schließen sich meine Augen zu kleinen Sehschlitzen, ob aus Müdigkeit oder Frust, verrate ich nicht.
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