Seelsorger Thomas Pinzer arbeitet an seiner Sonntagspredigt. Menschen, die austreten wollen können ihn über das "Austrittstelefon" anrufen.
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Seelsorger Thomas Pinzer arbeitet an seiner Sonntagspredigt. Menschen, die austreten wollen können ihn über das "Austrittstelefon" anrufen.

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Austrittstelefon: "Ihr macht meine Kirche kaputt"

Bei vielen Katholiken ist das Entsetzen über die Missbrauchsfälle groß. Die Zahl der Kirchenaustritte dürfte erneut steigen. Als wohl einziges Bistum in Deutschland hat das Bistum Regensburg deshalb ein "Austrittstelefon" eingerichtet.

Thomas Pinzer wartet auf ein Klingeln seines Handys. Doch an diesem Vormittag wartet er vergeblich. Seit zwei Wochen gibt es das "Austrittstelefon" des Bistums Regensburg. Die Anrufer landen bei ihm – rund um die Uhr. Es ist ein Angebot, mit hohen Kirchenvertretern und erfahrenen Seelsorgern ins Gespräch zu kommen und auch eine Möglichkeit einfach mal Ärger und Wut abzulassen. Doch selbst das kommt seit ein paar Tagen kaum noch vor. "Also heute Morgen hat eine Person angerufen. Und gestern waren es null", sagt Pinzer.

Viele haben mit der Kirche abgeschlossen

Das liegt aber nicht daran, dass das Thema Kirchenaustritt kein Thema wäre. Viele Standesämter in ganz Bayern registrieren eine große Nachfrage nach Austrittsterminen. In Regensburg ist die Zahl der Termine nach Angaben der Stadt nach der Vorstellung des Missbrauchs-Gutachtens in München extra erhöht worden.

Für Pinzer, Domkapitular und Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum, ist die geringe Nachfrage am Austrittstelefon deshalb alles andere als ein gutes Zeichen. "Ich bin kein Soziologe, aber ich kann mir schon vorstellen, dass viele einfach damit abgeschlossen haben. Dass die Enttäuschung über die Kirche so groß ist, dass sie sich nichts ausreden wollen, nichts mehr zu sagen haben und auch nichts mehr hören wollen", sagt Pinzer.

Nur anfangs größere Nachfrage

Kurz nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens hätten sich an einem Tag einmal rund 20 Anrufer gemeldet. Auch nach der stark kritisierten Aussage von Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer vergangene Woche waren es etwas mehr.

  • Zum Artikel: Bischof Voderholzer bittet um Verzeihung für Äußerungen

Was Pinzer da zu hören bekommen hat, geht ihm nahe. "Man hört Sätze wie: Ihr macht mir meine Kirche kaputt, ich kann nicht mehr glauben. Ich kann nicht mehr schlafen, hat mir einer erzählt", sagt Pinzer. Viele hätten einen Schlussstrich gezogen, sagt der Priester.

Aufgeladene Schuld "unerträglich"

Er selber kann das gut verstehen. Schönreden will er in den Telefonaten nichts. Im Gegenteil. Seine eigene Gefühlslage zurzeit: alles andere als gut. Ihm sei manchmal zum Heulen, sagt Pinzer mit Tränen in den Augen. Es ist zu spüren, dass er in diesen Tagen auch selbst mit seiner Kirche hadert – mit dem System, das all das nicht verhindert hat. "Das ist unerträglich, welche Schuld wir auf uns geladen haben." Gerade sitze er über seiner Predigt für den kommenden Sonntag, sagt Pinzer. "Im Evangelium nächsten Sonntag, da steht das ja drin: ‚Wehe euch, die ihr Leben zerstört‘. Da wird mir schlecht."

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Hadert derzeit selbst mit seiner Kirche: Thomas Pinzer, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum Regensburg.

Kein Verständnis für Relativierungs-Versuche

Für die Vertuschungen und ebenso für die immer noch zu hörenden Relativierungs-Versuche mancher Kirchenvertreter hat er kein Verständnis. "Wir drehen uns viel zu oft um uns selber, um unser Ansehen, um unsere Reputation", sagt Pinzer.

Die Kirche dürfe nicht vergessen, was der eigentliche Auftrag sei: An die Ränder gehen, wie es Papst Franziskus einmal ausgedrückt habe, sagt Pinzer. "Wir müssen auch mal Außenstehende fragen, was wollt ihr denn von der Kirche. Also wirklich mal bei denen nachfragen, die ganz andere Sorgen und Probleme haben."

Über Sexualmoral diskutieren

Zudem müsse man über Veränderungen nachdenken. Das Bewusstsein für das Thema Missbrauch und Missbrauchs-Prävention sei heute ein anderes. Trotzdem müsse die Kirche auch über die eigene Sexualmoral diskutieren. Diese sei wohl "überhöht". Es müsse auch möglich sein, unter Priestern offen über die eigene Sexualität zu reden. "Wir sind da zu verschämt und verdruckst. Wir müssen da offener werden", sagt Pinzer.

  • Zum Artikel: "Nach dem Missbrauchsgutachten: Die Kirche diskutiert Reformen"

In seiner eigenen Jugend habe er viel Positives aus der Kirche gezogen, der Glaube, die Gemeinschaft. Auch darauf liege nun für ihn ein Schatten, sagt der Seelsorger. Momentan gebe es nicht viel, was ihm Hoffnung macht, sagt Pinzer. Doch er wird weiter das Austrittstelefon bei sich haben und auf Anrufe warten.

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