Mit roter Glasur überzogene Tabletten in ihrer Verpackung aus Plastik und Alu-Folie
Bildrechte: picture-alliance / dpa | Frank Kleefeldt

Duogynon-Betroffene konfrontieren Lauterbach

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Mutmaßliche Duogynon-Opfer: Kampf um Anerkennung

Der einst häufig verschriebene Schwangerschaftstest "Duogynon" steht im Verdacht, schwere Missbildungen bei ungeborenen Kindern verursacht zu haben. Bis heute kämpfen Betroffene um Anerkennung. Jetzt ist Bundesgesundheitsminister Lauterbach am Zug.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Zwei Tabletten, die seine Mutter in der Schwangerschaft eingenommen hat, verändern das ganze Leben von Andre Sommer: Davon ist der Allgäuer überzeugt. Sommer wird mit einer seltenen Fehlbildung geboren, seine Blase liegt außerhalb seines Körpers. Selbst nach etlichen Operationen lebt Sommer bis heute mit Einschränkungen. Seit Jahren berichtet das BR-Politikmagazin Kontrovers über das Leid der Betroffenen und deren Kampf um Anerkennung.

Diese Woche hat Sommer den vielleicht wichtigsten Termin seines Lebens vor sich: Er darf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) treffen und hofft auf dessen Unterstützung: "Es ist notwendig, dass es jetzt schnell eine Unterstützung, eine Hilfe gibt für alle Betroffenen, weil die Eltern-Generation verstirbt jetzt und auch die Betroffenen leiden an ihren Folgeerkrankungen."

Andre Sommer kämpft seit 15 Jahren darum, dass etwas passiert: Seit er erfahren hat, dass seine Behinderungen mutmaßlich auf Duogynon zurückzuführen sind, den Schwangerschaftstest seiner Mutter.

Duogynon: Einst Innovation, jetzt unaufgeklärter Skandal?

Das Hormonpräparat Duogynon wurde zwischen 1950 und 1980 als hormoneller Schwangerschaftstest verschrieben: Bestand der Verdacht einer Schwangerschaft, nahmen Schwangere zwei Dragees des Hormonpräparats ein. Wenn die Monatsblutung daraufhin nicht einsetzte, waren sie schwanger.

Seinerzeit galt Duogynon als medizinische Innovation, damals die erste Möglichkeit zur frühen Feststellung einer Schwangerschaft. Doch in den 60er und 70er Jahren kommen viele Kinder mit Missbildungen zur Welt: Sie werden mit Herzfehlern geboren, mit Hirnschäden, offenen Rücken. Ihre Mütter haben eines gemeinsam: Sie haben Duogynon als Schwangerschaftstest verschrieben bekommen und eingenommen. Andre Sommers Mutter war eine von ihnen.

Pharmakonzern pocht auf Verjährung

Was viele Frauen damals nicht wissen. Duogynon wird auch als Abtreibungsmittel eingesetzt. Zwei Pillen für den Test. Vier Pillen für den Abbruch.

Das Medikament ist so hoch dosiert, erklärt Sommer, "dass es eigentlich als Pille-Danach verwendet werden würde. Oder als Abortmittel. Es hatte die Menge von eineinhalb Monatsrationen Antibaby-Pillen, die heute auf dem Markt sind. Das muss man sich mal vorstellen, was Frauen damals genommen haben."

Doch wer trägt die Verantwortung? 2010 erst erfährt Andre Sommer, dass Duogynon vermutlich für seine Fehlbildungen verantwortlich ist. Er geht vor Gericht – doch juristisch ist die Sache verjährt. Duogynon-Hersteller war das Pharmaunternehmen Schering, dessen Rechtsnachfolger ist heute die Firma Bayer. Doch sie weist alle Ansprüche der mutmaßlich Geschädigten zurück: Es gäbe keinen wissenschaftlichen Beweis, dass Duogynon für die Fehlbildungen verantwortlich wäre.

Termin beim Bundesgesundheitsminister

Der Verdacht, dass die Schädigungen mit dem Hormonpräparat in Verbindung stehen könnten, besteht schon seit den 60er Jahren, doch der eindeutige wissenschaftliche Nachweis ist kaum zu erbringen. Während das Mittel jedoch in Großbritannien zeitnah verboten wurde – war das Präparat in Deutschland weiterhin erhältlich. Hat das damalige Bundesgesundheitsamt versagt?

Die längst erwachsenen Betroffenen und ihre Angehörigen kämpfen seit Jahrzehnten um Gehör und Anerkennung - vergeblich. Die Politik ist Sommers letzte Hoffnung. Im Sommer 2022 konnte er Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Bürgergespräch in Füssen das Versprechen abringen, sich für ein Treffen der mutmaßlichen Duogynon-Opfer mit dem Bundesgesundheitsminister Lauterbach einzusetzen.

Bundeskanzler löst Versprechen ein

Der Kanzler hält Wort: Andre Sommer wurde diese Woche nach Berlin geladen zu einem Treffen mit Lauterbach. Er will den Minister mit dem Leid der bislang nicht anerkannten Opfer von Duogynon konfrontieren. Beistand erhält er von der Bundestagsabgeordneten Martina Stamm-Fibich (SPD). Sie setzt sich seit Jahren für die Betroffenen ein. Andre Sommer hofft auf das Gespräch und will ein Rechtsgutachten, das beweisen soll, wie sehr der Staat damals seine Pflichten vernachlässigt hat.

Martina Stamm-Fibich setzt sich dafür ein, dass Karl Lauterbach jetzt eine juristische Aufarbeitung, ein Rechtsgutachten, in Auftrag gibt: "Er hat ja damals diesen Brief an die damalige Bundeskanzlerin mitunterschrieben, wo wir schon darauf aufmerksam gemacht haben, dass es da Klärungsbedarf gibt." Lauterbach hat sich also schon mal für die mutmaßlichen Duogynon-Opfer eingesetzt – bevor er Minister wurde.

Gehör beim Bundesgesundheitsminister – aber auch Anerkennung?

Der Termin: Ein persönliches Treffen – die Reporter von Kontrovers dürfen nicht mit hinein. Nach über einer Stunde ist das Gespräch vorüber. Andre Sommer ist sichtlich erleichtert: "Ja, war ein gutes Gespräch, fand ich. Der Minister hat viele Sachen auch emphatisch eingesehen, dass das vielleicht nicht alles optimal gelaufen ist."

Der Gesundheitsminister will nun entscheiden, ob er ein Rechtsgutachten in Auftrag gibt. Für die noch nicht anerkannten Opfer des Hormonpräparats Duogynon wäre es ein großer Schritt.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!