Ein Mahnmal aus Metall, das aussieht wie ein roter zum Teil aufgerollter Teppich. Es steht dafür, dass Misshandlungen unter den Teppich gekehrt wurden.
Bildrechte: BR/Judith Zacher

Feierliche Einweihung des Mahnmals zum Gedenken an die Opfer der Misshandlungen im Donauwörther Kinderheim in den Jahren 1952-1975

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Missbrauch in Donauwörther Kinderheim: Opfer enthüllen Mahnmal

Gehör finden und sichtbar werden: Dieses Ziel verfolgen Opfer der Misshandlungen am Donauwörther Kinderheim seit Jahren. Jetzt haben sie ein Mahnmal enthüllt - in Form eines Teppichs und mit einer klaren Aussage.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Auf diesen Tag haben die Betroffenen lange gewartet. Vor dem ehemaligen Kinderheim in Donauwörth wird am Donnerstag ein Mahnmal enthüllt, das an die schlimmen Taten in dem Heim und anschließenden Internat erinnern soll. "Das war ein innerster Wunsch, ein Herzenswunsch, dass wir mal gesehen werden und die Öffentlichkeit weiß, es gab uns", sagt eine Betroffene. Eine weitere bricht in Tränen aus, als die blaue Samtdecke vom Mahnmal gezogen wird und sie einen ersten Blick darauf werfen kann. "Es wurden so viele Kinder gequält, so viele Säuglinge sind gestorben", bringt sie unter Tränen hervor. Davon wusste jahrzehntelang niemand etwas. Es wurde unter den Teppich gekehrt.

Gräueltaten nie wieder unter den Teppich kehren

Das Mahnmal haben die Betroffenen gemeinsam entwickelt. Ein aufgerollter Teppich aus Metall steht für ihr Anliegen: Nie wieder sollen solche Geschehnisse unter den Teppich gekehrt werden. Daneben sind Scherben ausgebreitet. Sie stehen für alle das, was zerbrochen ist, in ihrer Kindheit im Heim. In der Mitte liegt ein buntes Feld, denn es gab auch Lichtblicke. All das soll sichtbar werden, so das Anliegen der Opfer. Gefertigt hat das Mahnmal Martin Knöferl. Als Leiter der Stelle für Supervision beim Bistum Augsburg hat er Erfahrung im Umgang mit Menschen, die Schlimmes erlebt haben - außerdem ist er als Künstler tätig.

Misshandlungen im Donauwörther Kinderheim - ein Rückblick

Bis 1977 bestand das Kinderheim in den Räumen des ehemaligen Klosters Heilig Kreuz in Donauwörth. Der Gründer des einstigen Erziehungsheims, Ludwig Auer, vermachte sein Erbe der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, die bis heute existiert. Kurz nach Auers Tod im Jahr 1914 gründete diese Stiftung das Kinderheim, geleitet wurde es später von Ludwig Auers Enkel, Max Auer.

Im Frühjahr 2018 hat der Bayerische Rundfunk erstmals über die Vorfälle in dem Donauwörther Kinderheim berichtet. Zwei Schwestern hatten sich an den BR gewandt und von den schrecklichen Erlebnissen in ihrer Kindheit in den 1970er Jahren berichtet. Was hinter den Mauern eigentlich geschah, war bis zu dieser Berichterstattung ein dunkles Geheimnis. Das Bistum Augsburg hatte einigen Opfern zwar Geld als Entschädigung gezahlt, die Informationen aber nicht weitergeben. Das wollten die beiden Schwestern ändern. Die Öffentlichkeit sollte wissen, wie das Leben hinter den Mauern des ehemaligen Klosters wirklich aussah. Der Hauptbeschuldigte: Max Auer, ein katholischer Priester und damaliger Leiter des Heims.

"Max Auer war eine angesehene Persönlichkeit in Donauwörth: Das stößt uns so auf. Der war jeden Tag präsent, hat die Beichte abgenommen und hat abgefragt, wie die Kinder waren. Dann hast du dich über den Stuhl gelegt, und hast auf den nackten Hintern drauf gekriegt, von ihm."

Ein ehemaliges Heimkind im BR Interview 2018

Missbrauch und Misshandlungen hatten System

Lange haben die beiden Schwestern gebraucht, bis sie überhaupt über ihre Zeit im Kinderheim sprechen konnten. Eine Zeit, die die beiden bis heute prägt. In unzähligen Therapiestunden haben sie versucht, das zu verarbeiten, was ihnen widerfahren ist. Erbrochenes musste wieder aufgegessen werden. Wer im Schlaf sprach, bekam Schläge. Im Beichtstuhl musste gesagt werden, was der Prieser hören wollte: "Er wollte wissen, ob wir uns selbst berührt haben", sagt eine Betroffene. Seine Fragen gingen immer in diese Richtung. Der Beichtstuhl war durch eine Tür verschlossen, eingesperrt habe man sich gefühlt, ausgeliefert.

Im Zuge der Berichterstattung melden sich insgesamt 17 Betroffene. Missbrauch und Misshandlungen waren also nicht die Ausnahme, sondern hatten System in dem Heim. Das Ganze nahm "eine solche Dimension an", so der damalige Generalvikar Harald Heinrich im April 2018 wörtlich, dass der damalige Augsburger Bischof Zdarsa die Sache zur "Chefsache" erklärte und eine Projektgruppe einsetzte, die die Geschehnisse aufarbeiten sollte. Diese fand zudem heraus, dass im Kinderheim überdurchschnittlich viele Säuglinge starben – man geht davon aus, sie verhungerten. 

Auch sexueller Missbrauch kam ans Licht

Das Bistum Augsburg und die Pädagogische Stiftung Cassianeum, die das Heim betrieben hatte, luden die Opfer im Frühjahr 2018 zu einem Runden Tisch. Dabei berichtet ein Mann auch von sexuellem Missbrauch durch den Priester. Er habe das immer verdrängt, noch nie darüber gesprochen. Nicht einmal seiner Ehefrau habe er von den Vorfällen erzählt, sagte er bei dem Treffen mit zittriger Stimme. "Mit wem hätte ich reden sollen? Der hat mir das damals so verkauft, dass das dazugehört, gottgewollt sei", sagt der Mann, der damals als Ministrant gedient hatte und dem Priester schutzlos ausgeliefert war. Die Berichterstattung und der Mut anderer Betroffener, an die Öffentlichkeit zu gehen, hätten ihn wachgerüttelt. Er kam zum Treffen - und konnte es endlich erzählen.

Bistum fördert Aufklärung und Aufarbeitung

Die Betroffenen haben zwischenzeitlich Entschädigungszahlungen erhalten. Außerdem wird weiter aktiv an der Aufarbeitung der Erlebnisse gearbeitet, indem sich die Opfer ein bis zwei Mal pro Jahr im Beisein von Vertretern des Bistums beziehungsweise der Pädagogischen Stiftung Cassianeum treffen, um sich auszutauschen. Das hilft: Der Mann, der vom Priester Max Auer mehrmals wöchentlich sexuell in der Sakristei missbraucht wurde, kann heute an diesen Ort gehen und über das Geschehene sprechen. "Hier ist es passiert. Ich war sein Privatministrant", sagt er und zeigt auf die Tür zur Sakristei. Seine Frau steht daneben, inzwischen weiß sie alles - gemeinsam und mit den anderen Betroffenen hat er es geschafft, das Geschehene ein Stück weit aufzuarbeiten. Heute kann er mit fester Stimme darüber sprechen.

Mit dem Aufstellen des Mahnmals sind die Opfer von damals wieder ein Stück weiter. "Es ist ein Meilenstein", sagt Peter Kosak vom Bistum Augsburg, der seit Bekanntwerden der Vorwürfe an der Aufarbeitung mitwirkt, die regelmäßigen Treffen organisiert und den Betroffenen zuhört. Er weiß aber auch: Der Weg ist noch lange nicht zu Ende.

Feierliche Einweihung des Mahnmals zu Gedenken an die Opfer der Misshandlungen im Donauwörther Kinderheim in den Jahren 1952-1975.
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Mahnmal zum Gedenken an Opfer der Misshandlungen im Donauwörther Kinderheim in den Jahren 1952-1975

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