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Misshandlungen im Kinderheim in Donauwörth

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Misshandlungen im Kinderheim in Donauwörth

Schläge, Misshandlungen, psychische Gewalt: Zwei Schwestern kamen 1965 ins Kinderheim Heilig Kreuz in Donauwörth, wo sie furchtbare Erfahrungen machten. Das Kinderheim kennt kaum jemand - was wohl kein Zufall ist. Von Judith Zacher

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Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Das Jugendamt hat die beiden Schwestern aus ihrem Zuhause geholt – 1965 war das. Als Schutz vor dem prügelnden Vater. Doch was sie im Kinderheim in Donauwörth erwartete, hatte mit Schutz rein gar nichts zu tun. Schläge und Misshandlungen waren an der Tagesordnung in dem vom Priester Max Auer geleiteten Erziehungsheim.

Das Kinderheim - gegründet von einem fortschrittlichen Pädagogen

Bis 1977 gab es dieses Kinderheim, in den Räumen des ehemaligen Klosters Heilig Kreuz, in Donauwörth. Die Gründung dieses "Erziehungsheims" war ein Herzenswunsch von Ludwig Auer, dem Großvater von Max Auer. Der berühmte Donauwörther ist Gründer des Auer-Verlags. Ludwig Auer war aber nicht nur Unternehmer, sondern auch Pädagoge. Ein sehr fortschrittlicher Pädagoge.

"Die wichtigste Erziehungsregel heißt: Liebe, immer Liebe, lauter Liebe. Zuviel Strenge verbittert, verhärtet, verbost das Kind, macht es misstrauisch, heuchlerisch, lügnerisch, boshaft." Auszug aus Ludwig Auers 'Erziehungslehre'

Der sadistische Enkel des Kinderheim-Gründers

Sein Erbe vermachte er der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, die bis heute existiert. Kurz nach Auers Tod im Jahr 1914 gründete diese Stiftung das Kinderheim. Geleitet wurde es zunächst von Auers Söhnen, später von seinem Enkel, Max Auer. Auch zu der Zeit, als die beiden Schwestern – wir nennen sie Marsha und Susanne - in dem Heim untergebracht waren.

"Max Auer war eine angesehene Persönlichkeit in Donauwörth: Das ist, was uns so aufstößt. Der war jeden Tag präsent, hat die Beichte abgenommen und hat abgefragt, wie waren die Kinder. Dann hast Dich über den Stuhl gelegt, und hast auf den nackten Hintern drauf gekriegt, von ihm." Susanne, ehemalige Bewohnerin des Kindersheims in Donauwörth

Regelmäßig Schläge und psychische Misshandlungen

Lange haben die beiden Schwestern gebraucht, bis sie überhaupt darüber reden konnten, über ihre Zeit, in dem Heim. Zehn Jahre ihrer Kindheit, von fünf bis fünfzehn, hat Marsha in dem Heim verbracht, ihre Schwester Susanne, war acht Jahre dort. Eine Zeit, die sie nie vergessen werden. Eine Zeit, die die beiden bis heute prägt. In unzähligen Therapiestunden haben sie versucht, das zu verarbeiten, was ihnen da widerfahren ist.

"Wenn Dir ins Gesicht geschlagen wird, dass die Lippe aufplatzt und du stundenlang nachts auf Bügeln kniest. Und zwar, mit Arme hoch. Nur, weil Du im Bett gesprochen hast. Und da hat die Erzieherin dann zugeschaut. Und wenn Du die Arme runter hattest, da hat sie einen an den Haaren hochgezogen und dann hat man noch eine Nuss hinten drauf gekriegt, dass man mit dem Kopf gegen den Schrank gedonnert ist." Susanne und Marsha, ehemalige Bewohnerinnen des Kindersheims in Donauwörth, im BR-Interview

Es waren auch die weltlichen Erzieherinnen, die sie gepeinigt haben, berichten die beiden heute 58 und 60 Jahre alten Frauen. Nicht alle aktiv – gewusst haben es aber wohl alle, was da passiert ist, im Heim. Psychische und physische Misshandlungen waren an der Tagesordnungen.

Sexuelle Misshandlungen

Auch sexuelle Übergriffe habe es gegeben durch eine Erzieherin, und immer wieder seien es auch einige der größeren Buben gewesen, die sich an den kleinen Mädchen vergingen. Kaum zu glauben, dass das unbemerkt blieb.

Das - absichtlich - vergessene Kinderheim

Von alldem weiß in Donauwörth – offenbar – kaum jemand etwas. Auch dass es das Heim gab, ist heute fast unbekannt. Selbst im Stadtarchiv ist kaum mehr etwas zu finden darüber.

Dabei war Max Auer leidenschaftlicher Fotograf, lichtete den schönen Schein hundertfach ab: Die adrett gekleideten und herausgeputzten Kinder, bei Weihnachtsfeiern, bei Ausflügen. Aber: Die meisten dieser Fotos sind nicht auffindbar.

"Das, was mich so verletzt und mich traurig macht, ist, dass diese Zeit so ausradiert ist." Susanne, ehemaliges Heimkind

Geld für die Opfer - aber keine Veröffentlichung

E-Mails an die Stadt, an örtliche Geschäftsinhaber und an die Donauwörther Zeitung vor einigen Jahren blieben unbeantwortet – an einer Veröffentlichung war niemand interessiert.

Unterdessen hatten sich die Schwestern auch ans Bistum Augsburg gewandt. Nach ausführlichen Gesprächen mit der Missbrauchsbeauftragten wurden sie und ein weiteres Heimkind gemäß der Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz entschädigt. An die Öffentlichkeit ging auch das Bistum Augsburg nicht.

Auch an die Pädagogische Stiftung Cassianeum schrieben die Schwestern. Zunächst hieß es, man habe keine Unterlagen, um die Vorwürfe zu belegen. Im Nachgang wurde ein Gesprächsangebot unterbreitet. Dazu kam es letztendlich nicht, damals habe sie noch nicht den Mut dazu gehabt, so die ältere der beiden Schwestern. Für die Stiftung war die Sache damit offenbar erledigt.