Zwei Männer und zwei Frauen stehen vor einer Tafel, die ein Foto von Wilhelm Aumer zeigt. Dieser hatte während der NS-Diktatur jüdischen Mitbürgern die Ausreise ermöglicht.
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Landrat Christian Meißner, Mo-Li Bamberger, Reinhard Aumer, Brigitte Schwarz (v.l.n.r.)

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Menschlichkeit in der NS-Zeit: Lichtenfels ehrt Wilhelm Aumer

Er ermöglichte jüdischen Mitbürgern die Ausreise aus Deutschland und warnte vor dem Einziehen des Passes. Ein leitender Beamter des Landratsamtes Lichtenfels stellte Menschlichkeit über Recht. Nun wurde Wilhelm Aumer mit einer Gedenktafel geehrt.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Der Werdegang Wilhelm Aumers sei eigentlich eine typische bayerische Beamtenkarriere gewesen, sagte Bezirksheimatpfleger Günter Dippold im Rahmen eines Festaktes am Dienstag im Landratsamt Lichtenfels. Doch der leitende Beamte war während der Nazi-Zeit vom strikt vorgegebenen Weg abgewichen, stellte Menschlichkeit über Gesetze und Vorgaben. Somit war Wilhelm Aumer zur damaligen Zeit eine Ausnahme.

Wilhelm Aumer: Wirken erst spät bekannt

Zuhause sei über den Großvater schon gesprochen worden, berichtet Reinhard Aumer, einer der acht Enkel während der Feierstunde. Das gesamte Ausmaß seines Wirkens als leitender Beamter im Landratsamt Lichtenfels habe er aber erst vor ein paar Jahren in einem Telefonat mit Manfred Brösamle-Lambrecht, einem ehemaligen Lehrer, erfahren. Im Zuge eines Seminars am Meranier-Gymnasiums in Lichtenfels war Wilhelm Aumer in den Fokus gerückt. Im weiteren Verlauf wurde deutlich, Aumer hatte in seiner Amtszeit Jüdinnen und Juden aus Lichtenfels geholfen, gegen geltende Richtlinien.

Aufzeichnungen belegen, dass Wilhelm Aumer, der als leitender Beamter im Landratsamt Lichtenfels auch für das Passwesen zuständig war, entsprechende Einträge in Pässen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger vornahm und ihnen somit eine Ausreise aus Deutschland ermöglichte. Ein Eintrag lautete: "Der Reisepass ist auch gültig für Frankreich". Mit diesem Eintrag verstieß Wilhelm Aumer gegen geltendes Recht und war sich dessen bewusst. Aus einem Brief eines jüdischen Mannes aus Lichtenfels geht hervor, dass Aumer der Familie einen Pass für die Ausreise nach England oder Amerika ausstellte, mit den Worten: "Darf ich zwar nicht, aber man darf heute viel nicht."

Private Warnung an Lichtenfelser Jüdin

Doch Aumers Bemühen, jüdischen Mitbürger zu helfen, endete nicht mit Dienstschluss. Als er erfuhr, dass der Pass der Jüdin Henriette Bamberger in wenigen Tagen eingezogen werden sollte, ging er nachts zum Haus der Familie und warnte die Frau. Diese reiste am Folgetag aus Deutschland aus und zog in die USA. In einer bewegenden Rede bedankte sich Mo-Li Bamberger im Rahmen des Festaktes bei zwei Enkeln Wilhelm Aumers. Mo-Li Bamberger lebt in den USA, Henriette Bamberger war ihre Schwiegermutter. Bamberger stellte den Mut, die Courage und die Menschlichkeit Aumers in den Mittelpunkt ihrer Rede, die sie auf Deutsch und mit den Worten "Ihr Großvater war ein Mensch" beendete. Der Tag sei für sie sehr emotional, endlich werde das Handeln Wilhelm Aumers anerkannt, sagte Bamberger dem BR.

Reinhard Aumer hatte in seiner Rede ebenfalls den Mut seines Großvaters betont. Auch vor dem Hintergrund, dass ihm und der Familie durch sein Handeln jederzeit harte Konsequenzen drohten. Er wisse nicht, wie er zur damaligen Zeit gehandelt habe, so Aumer. Sichtlich bewegt berichtete er, dass ihn das Handeln seines Großvaters stolz mache. Brigitte Schwarz, die jüngste Enkelin Wilhelm Aumers sagte dem BR, ihr Großvater habe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lange ohne Bezahlung gearbeitet und musste eine lange Entnazifizierung durchlaufen. Wilhelm Aumer war 1937 nach anhaltendem Druck in die NSDAP eingetreten.

Erinnerungstafel vor dem Landratsamt Lichtenfels

Die Erinnerungstafel steht gut sichtbar vor dem Landratsamt Lichtenfels. Für Landrat Christian Meißner (CSU) ist die Würdigung Wilhelm Aumers längst überfällig. Die Tafel solle auch stellvertretend für die wenigen anderen Staatsbediensteten stehen, die es wagten, dem Rad der NS-Diktatur in die Speichen zu greifen. Das Handeln Aumers zur NS-Zeit sei mehr als bemerkenswert und aktuell. Denn auch eine Demokratie brauche couragierte Menschen, insbesondere dann, wenn sie zunehmend infrage gestellt, relativiert oder in Abrede gestellt werde.

Zwei Männer und zwei Frauen stehen vor einer Tafel, die ein Foto von Wilhelm Aumer zeigt. Dieser hatte während der NS-Diktatur jüdischen Mitbürgern die Ausreise ermöglicht.
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Vor dem Landratsamt Lichtenfels erinnert eine Tafel an Wilhelm Aumer. Er ermöglichte während der NS-Diktatur jüdischen Mitbürgern die Ausreise.

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