Pflegefachkraft Katja Gutmann im Bayreuther Seniorenheim Altstadtpark
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Pflegefachkraft Katja Gutmann im Bayreuther Seniorenheim Altstadtpark

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Mehr Zeit für Patienten: Bürokratieabbau dringend gefordert

Bundesgesundheitsminister Lauterbach will einen Bürokratieabbau in Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Dazu hat er ein Eckpunktepapier vorgelegt. Doch der zuständige Berufsverband kritisiert: Das bringe nicht wirklich eine Erleichterung in der Pflege.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Seit Jahren wird darüber geklagt: Übermäßige Bürokratie lähmt den Krankenhausbetrieb, die Pflege, Apotheken oder Arztpraxen. Dokumentationspflichten binden Personal, belasten Ärzte und Kliniken, bringen dem Patienten aber oft gar nichts, so die Meinung der Verbände.

Wie auch seine Vorgänger verspricht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Vereinfachung für den Gesundheitssektor. Ein Eckpunktepapier dazu liegt vor. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) sieht darin aber keine Entlastung, sondern weiter ein kleinteiliges Gesetz ohne große Wirkung.

Dokumentationspflicht bei jeder Salbe: Realität in der Pflege

53 Bewohner werden im BRK-Seniorenheim Altstadtpark in Bayreuth betreut. Die Schichtleiterin und Pflegefachkraft, Katja Gutmann, führt ein Gespräch zur Sturzprävention mit einer Bewohnerin. Dann fragt sie die Medikation und die Verträglichkeit der einzelnen Präparate ab. Die Notizen überträgt sie anschließend ins Computersystem. Das sind notwendige Daten für alle Mitarbeiter.

Doch damit ist es eben nicht getan. Hat eine Bewohnerin oder ein Bewohner eine kleine Schürfwunde und sie würde gerne eine Salbe auf die Wunde auftragen, dann geht das nicht so einfach. Da kein Arzt dauerhaft im Haus ist, muss Gutmann ein Fax an den Hausarzt des Bewohners schicken, mit der Anfrage, ob sie das tun darf. Der wiederum muss ihr eine Verordnung und ein Rezept für die Wundsalbe senden. Dann muss sie diese Anfrage im Computer dokumentieren. Die zugefaxte Verordnung und das Rezept müssen eingescannt werden. Gleichzeitig informiert sie die Apotheke. Wenn die Wundsalbe da ist, muss dies wieder dokumentiert werden. Und natürlich auch die Behandlung des Bewohners. Nur ein Beispiel für die aufwändige Dokumentation.

In ihrer siebenstündigen Frühschicht verbringt sie so im Durchschnitt 5,5 Stunden am Computer, um zu dokumentieren. Und das nur, um anschließend alles mit dem Kostenträger abrechnen zu können, so Katja Gutmann. Mit einer guten Pflege habe das wenig zu tun.

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Katja Gutmann und ihre Kollegin dokumentieren jeden Handgriff im Bayreuther Seniorenheim Altstadtpark.

Weniger dokumentieren, mehr pflegen

"Dokumentieren muss sein", meint die Leiterin der Bayreuther Senioreneinrichtung, Elke Lindner. Wichtig sind die Vitaldaten der Bewohner, das Verhalten, auch die Biografie oder beispielsweise ein Betreuungsplan. "Es gibt aber viele Beispiele, wo nicht so ausführlich dokumentiert werden müsste", meint Lindner. Unterstützung für dieses Anliegen kommt dazu von allen Seiten.

Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) fordert, dass die Dokumentation abgespeckt werden müsse, damit Pflegekräfte wieder mehr Zeit am Bett des Patienten oder mit Bewohnern in Heimen verbringen können. "Wir dokumentieren heute, um mit den Kostenträgern abrechnen zu können und nicht, um zu dokumentieren, dass der Mensch eine optimale Versorgung erhält", so Georg Sigl-Lehner von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern auf BR24-Anfrage.

Eine bundesweite Asklepios-Studie aus dem vergangenen Jahr unter 200 Pflegekräften zeigt: Ein Viertel der Pflegenden wendet mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit nicht für die Patientenbehandlung, sondern für Dokumentation auf. 90 Prozent aller Pflegenden sehen sich übermäßig durch bürokratische Auflagen beansprucht. Zwei Drittel der Befragten stellten in den vergangenen fünf Jahren eine deutliche Zunahme der Bürokratie fest.

Bürokratieabbau ist in Mode

Bürokratieabbau wird in allen Bereichen gefordert: ob am Bau, in der Gastronomie, der Industrie, im Bildungs- oder Verwaltungsbereich und eben auch beispielsweise im Gesundheitswesen.

Die derzeitige Ampel-Bundesregierung hat ihren Abbau sogar im Koalitionsvertrag festgeschrieben: "Durch ein Bürokratieabbaupaket bauen wir Hürden für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten ab. Die Belastungen durch Bürokratie und Berichtspflichten jenseits gesetzlicher Regelungen werden kenntlich gemacht." (Koalitionsvertrag 2021 bis 2025, Seite 65)

Und so legte Bundesgesundheitsminister Lauterbach ein Eckpunktepapier mit über 70 Vorschlägen vor. Nur wenige davon würden aber die Pflege betreffen, die dringend Entlastung bräuchte, kritisiert die Vereinigung der Pflegenden. Und auch die bayerische Gesundheitsministerin sieht keine wirkliche Verbesserung durch das Papier: "Mir bringt das beste Eckpunktepapier nichts, wenn die Bundesregierung auf der anderen Seite ganz konkrete Gesetze schafft, die wieder bürokratische Vorgaben schaffen."

Beispiel SIS, die Strukturierte Informationssammlung

Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) wurde schon vor ein paar Jahren eingeführt, denn auch die Vorgänger von Lauterbach wollten den Bürokratieabbau im Gesundheitswesen. Damit werden "individuelle Maßnahmen für jede pflegebedürftige Person geplant". Einzelleistungen, die die Grund- und Behandlungspflege betreffen, brauchen von der Pflegekraft danach nicht mehr eingetragen werden.

Eine eigentlich gute Sache und eine Erleichterung. Doch das alles nützt nichts, so Elke Lindner von der Bayreuther Senioreneinrichtung, wenn dann doch wieder bei einer Prüfung durch die Leistungsträger oder dem Medizinischen Dienst Detailberichte angefordert werden. "Und dann müssen wir wieder erweitert dokumentieren, das ist die Konsequenz", erklärt Lindner.

Auch der Krankenhausbereich erstickt in Bürokratie

Nicht nur Pflegekräfte tippen eifrig jede Handbewegung ein, auch Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern dokumentieren ausführlich. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisiert: "Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um Bürokratie, die weder einen medizinischen noch pflegerischen Sinn hat, sondern lediglich das Ergebnis jahrzehntelangen Anwachsens von immer mehr Dokumentationspflichten ist."

Der Deutsche Ärztetag hat immer wieder einen Bürokratieabbau angemahnt. Nach einer Umfrage des Marburger Bundes (2023) verbringen 60 Prozent der Klinik-Ärzte mindestens drei Stunden täglich mit Verwaltung. 35 Prozent veranschlagen für Papierarbeit bis zu vier Stunden. "Allein die Halbierung des durchschnittlichen Zeitaufwandes von drei Stunden pro Tag würde dazu führen, dass die Arbeitskraft von rund 32.000 vollzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus mehr zur Verfügung stünde."

Bürokratieabbau wird damit in Zeiten des Pflegefachkräfte- und Ärztemangels immer wichtiger. Den wünscht sich auch der Chirurg Oscar Calvo Marti. Vorschriften binden seine Arbeitszeit in der Notfallaufnahme des Klinikums Bamberg. Braucht ein Patient zum Beispiel eine Schmerztablette, bevor er entlassen wird, dann darf er die nicht so einfach geben und das dokumentieren. Er muss auch noch einen Beipackzettel aus rechtlichen Gründen mitgeben. Ist der aus der Packung nicht da, muss er im Computer suchen und ihn ausdrucken und dem Patienten in die Hand drücken.

Digitalisierung bringt Entlastung – wenn sie funktioniert

Das Klinikum Bamberg setzt auf Digitalisierung. Das bringe schon einiges an Erleichterung, erklärt Nicole Hartmann aus der Pflegedirektion. So werden beispielsweise bereits die Vitaldaten des Patienten wie Blutdruck, Herzfrequenz, Temperatur, Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung aus dem Rettungswagen direkt ins System der Notaufnahme geschickt. Doch wird der Patient dann von dort auf eine normale Station verlegt, können die Daten nicht übertragen werden. Ein Schnittstellenproblem. Und nicht nur in diesem Krankenhaus. Jetzt will der Gesetzgeber vermehrt auf "verpflichtende Schnittstellenstandards" der verschiedenen Programme im Gesundheitswesen Wert legen.

Wie die Arbeit für Ärzte im Moment ausschaut, beschreibt der Chirurg Oscar Calvo Marti: "Wenn man einen Patienten von der Überwachungsstation auf die Normalstation schickt, übernimmt das Programm zum Beispiel nicht selbstständig die Medikation oder welche Blutwerte abgefragt werden müssen. Das muss händisch wieder alles eingetragen werden."

Überprüfungen und Überprüfung der Überprüfung

Und dann noch der Blick in die Klinikverwaltung: Patientenleistungen werden über sogenannte DRGs dokumentiert. Ein Abrechnungssystem, das für eine bestimmte Behandlung eine bestimmte Summe festlegt. Jede Krankheit hat dabei einen eigenen Code. Insgesamt gibt es über 1.200 DRGs, die auch in Bamberg mit viel personellem Aufwand eingegeben und berechnet werden müssen.

"Wir beschäftigen dafür 22 bis 23 Leute, die nur für die Codierung und Rechnungsstellung verantwortlich sind", erklärt Robert Simon, kaufmännischer Direktor des Klinikums Bamberg. "Denn die Krankenkassen haben sich mittlerweile angewöhnt, die Rechnung schon mal vorab, bevor es überhaupt in die medizinische Prüfung geht, zu beanstanden." Das heißt, die Krankenkassen fordern immer mehr medizinische Begründungen zu gewissen Eingriffen.

Und dann werden laut Gesetz auch noch zehn Prozent aller Rechnungen durch den Medizinischen Dienst als Standard geprüft. Im Falle des Krankenhauses Bamberg heißt das, eine zusätzliche ausführliche Prüfung von weiteren 4.000 Rechnungen jährlich. Auch Sozialgerichte sind dadurch stark belastet, denn oft landen Beanstandungen für eine rechtliche Überprüfung hier.

Sowohl die bayerische als auch beispielsweise die niedersächsische Regierung haben Papiere mit Vorschlägen zum Bürokratieabbau erarbeitet und an das Bundesgesundheitsministerium geschickt. Mit beeindruckenden Beispielen: Die Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung habe nicht direkt mit der Versorgung von Patienten zu tun, verpflichte aber Vertragsärzte und Krankenhäuser dazu, anhand von 300 Qualitätsindikatoren mehr als 3,5 Millionen Datensätze zu erfassen.

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