Eine junge Frau im Rollstuhl gärtnert.
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Konduktorin Susan Mallett und Felicia Wohlfahrt (rechts) beim Gärtnern in Boxdorf.

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Konduktoren: Mehr Selbstständigkeit für behinderte Menschen

Unabhängig leben. Das ist für Menschen mit Behinderung nicht einfach. Sogenannte Konduktoren können ihnen zu mehr Selbstständigkeit verhelfen. Ihr Beruf ist in Deutschland nicht anerkannt, der Bedarf an ihrer Arbeit allerdings groß.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Muskeltraining mit Felicia Wohlfahrt: Sie liegt ausgestreckt auf einer Liege und versucht ihre Arme mit einem Band in der Hand hochzuziehen. Jede Bewegung ist für sie ein Kampf. Felicia ist 20 Jahre alt und leidet seit ihrer Geburt an Zerebralparese. Bewegungen und Sprechen fallen ihr wegen der Hirnschädigung schwer. Die meiste Zeit sitzt die Nürnbergerin im Rollstuhl.

Von ihrer Behinderung will sich die junge Frau aber nicht einschränken lassen. Eine große Hilfe ist für sie ihre sogenannte Konduktorin Susan Mallett. Mit ihr trainiert sie regelmäßig in einem speziell für Konduktive Förderung eingerichteten Raum des Vereins für Menschen mit Körperbehinderung in Nürnberg-Boxdorf. In ihrem Beruf vereint Mallett die Kompetenzen einer Therapeutin, Lehrkraft und Erzieherin in einem. Die studierte Konduktorin macht das nun schon seit 30 Jahren. Ihr Ziel ist, ihren Patienten die größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag zu ermöglichen.

Therapeutin, Lehrkraft und Erzieherin in einem

Im Gegensatz zu einzelnen, meist zeitlich beschränkten Besuchen bei Physiotherapeuten, Pädagogen, Logopäden und anderen Betreuern kann sich Susann Mallett die Zeit und das Programm mit ihren Patienten selbst einteilen. Der konduktive Ansatz ist ganzheitlich. Ihr Programm passt sie individuell an die Bedürfnisse der Betroffenen an. "So lernen wir nicht nur die Arme zu strecken, sondern auch, wie man dadurch einen Pulli oder eine Jacke selbst anziehen kann."

Mit Felicia trainiert sie vor allem motorische Bewegungen, damit die 20-Jährige sich selbst ankleiden oder kleinere Strecken laufen kann. Aber auch Kochen, Spazieren, Gärtnern und Reden gehören zu ihren gemeinsamen Stunden. Die beiden arbeiten miteinander seit Felicia zwei Jahre alt ist. Die Bindung zwischen ihnen ist groß. In dieser Zeit hat Felicia gelernt, Lösungen für den Alltag zu finden und hat ihr Abitur gemacht. Heute studiert sie Psychologie in Fürth. Davon würde sie gerne ausführlicher erzählen, doch jeder Satz und jede Silbe kosten die 20-Jährige viel Energie und Mühe.

Finanzierungsprobleme für Konduktive Förderung

Der Bedarf an ausgebildeten Konduktorinnen und Konduktoren sei groß, das Angebot dagegen zu gering, sagt Krisztina Desits, Vorstandsmitglied des Bundesverbands für Konduktive Förderung in Nürnberg. Doch die Finanzierung und Anerkennung des Berufs lassen auf sich warten. 110 Konduktorinnen und Konduktoren arbeiten laut dem Verband derzeit in Deutschland. Rund 1.000 Plätze stehen Menschen mit Behinderung für die ganzheitliche Förderung zur Verfügung. "Das Problem ist, dass für Konduktive Förderung immer noch keine Leistungsansprüche bestehen. Sie ist leider immer noch nicht als Leistung der Krankenkassen anerkannt", so Desits. Den Bedarf an konduktiven Maßnahmen nachzuweisen, sei aufwendig, heißt es vom Verband. Vor allem Erwachsene müssen diese Hilfe in der Regel aus ihrem privaten Budget bezahlen.

Keine anerkannte Ausbildung in Deutschland

Die Finanzierungsschwierigkeiten liegen daran, dass der Beruf in Deutschland noch nicht anerkannt ist, weil keine deutsche Ausbildung dazu existiert. Das Konzept der Konduktiven Förderung kommt aus Ungarn und wurde dort vom Mediziner András Petö in der Nachkriegszeit für Kinder mit zerebralen Bewegungsstörungen entwickelt. Im Mittelpunkt steht nicht die Behinderung eines Menschen, sondern seine Persönlichkeit. "Es geht dabei um Lernen, Persönlichkeitsentwicklung und Rehabilitation. Wir ergänzen herkömmliche therapeutische Maßnahmen, um sie im Alltag anzuwenden", sagt Desits.

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Schwerpunkt an Evangelischer Hochschule Nürnberg

Das vierjährige Studium wird derzeit nur in Budapest angeboten. Dort hat auch die Engländerin Susan Mallett studiert. In Deutschland wurde nur zwischen 2001 und 2015 eine Weiterbildung in diesem Bereich angeboten. Nun wird Konduktive Pädagogik und Inklusion lediglich als ein Schwerpunkt an der Evangelischen Hochschule Nürnberg (EVHN) gelehrt. "Das ist aber keine grundständige Berufsausbildung, deswegen wird der Beruf von den Krankenkassen nicht als leistungspflichtig anerkannt", sagt Desits, die selbst an der EVHN lehrt. Im Herbst soll an der Universität für Weiterbildung Krems ein berufsbegleitender, kostenpflichtiger Master-Studiengang entstehen.

Wunsch nach Berufsanerkennung und Finanzierung

Die Bundesverbände fordern, dass der Beruf in Deutschland künftig offiziell anerkannt wird. Eine fundierte Forschung und Ausbildung sind Grundbausteine dafür. Das wünscht sich auch Susan Mallett für Felicia und viele andere Menschen mit Behinderung, die ein Stück weit selbstbestimmter leben möchten. Die 66-Jährige ist überzeugt, dass noch mehr Menschen wie sie diesen Job mit Leidenschaft ausüben könnten. "Ich komme gerne in die Arbeit. Es ist mir wichtig, in die Seele von den Betroffenen zu gucken und ihre Leidenschaften kennenzulernen."

Eine behinderte Frau und Ihre Betreuerin backen zusammen.
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Konduktoren helfen behinderten Menschen dabei, selbständiger zu werden. Doch anerkannt ist der Beruf in Deutschland nicht.

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