Wegen ihrer MS-Erkrankung ist Barbara Windbergs auf die Unterstützung einer Assistenzkraft im Alltag angewiesen.
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Würzburgerin wehrt sich gegen Leistungskürzung

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Teilhabe mit Behinderung – aber nur zehn Stunden täglich

Nase putzen, Brot schmieren, Haare hinter die Ohren – Hürden im Alltag für manche Menschen mit Behinderung. Mit persönlicher Assistenz soll selbstbestimmtes Leben möglich sein. Was aber, wenn Leistungen gekürzt werden? Ein Beispiel aus Würzburg.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

"Ich hätte gerne eine Handvoll Feldsalat", sagt Barbara Windbergs zur Frau am Gemüsestand. Hier am Markt in Würzburg kauft sie ihre frischen Lebensmittel am liebsten. Ihre Hände liegen regungslos im Schoß. Unaufgefordert sucht eine Frau, die neben Windbergs Rollstuhl steht, die 2,80 Euro aus der Handtasche. Windbergs ist vor 37 Jahren an Multiple Sklerose erkrankt. Alltägliches wird zur Herausforderung, weshalb eine Assistentin jeden Tag 16 Stunden bei ihr ist, ihr ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Bis der Bezirk Unterfranken ihr diese Hilfen gekürzt hat.

Eingliederungshilfe: Errungenschaft für mehr Selbstbestimmung

"Ich weiß nicht, wie sich die Behörden das vorstellen. Was ein Strich auf dem Papier für Auswirkungen auf ein ganzes Leben für einen Menschen hat", sagt Windbergs, den Bescheid vom Dezember 2022 vor sich. Zehn Stunden seien ausreichend, erklärt der Bezirk Unterfranken darin schriftlich. Er ist zuständig für die Übernahme von Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß dem Bundesteilhabegesetz. 14.000 Personen in Unterfranken erhalten solche Leistungen in unterschiedlichen Formen, vom betreuten Wohnen über Fahrdienst bis zum sogenannten Persönlichen Budget, das Windbergs in Anspruch nimmt und selbst darüber verfügt.

Konsequenz der Kürzung: Sechs Stunden regungslos warten

Sechs Stunden weniger – was würde das für Barbara Windbergs bedeuten? "Da müsste ich in der Mitte was kürzen. Das heißt nach dem Mittagessen würden die Leute gehen. Dann würde ich sechs Stunden darauf warten, dass die wiederkommen." Sechs Stunden, in denen Barbara Windbergs sich nicht bewegen könnte. Wo die Assistentin sie zurückgelassen hat, würde sie die 60-Jährige am Abend wieder antreffen. "Also, das hat nichts mit dem echten Leben zu tun."

Teilhabe nicht möglich – Windbergs klagt

Echtes Leben ist es für sie nur, wenn es selbstbestimmt ist und eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Die Entscheidung des Bezirks wollte Windbergs nicht hinnehmen. Sie holte sich anwaltliche Hilfe und klagte. Solange zahlte sie die sechs Stunden Assistenz täglich aus eigener Tasche. Rund 2.700 Euro kostete sie das im Monat. Das Geld musste sie sich von Freunden leihen.

Bündnis für Zivilcourage: "Muss ermöglicht werden"

Ein Fall von struktureller Diskriminierung, findet das Würzburger Bündnis für Zivilcourage und Demokratie und fordert, Positionen, die solche Entscheidungen treffen, diverser zu besetzen. "Wenn es so ist wie bei Frau Windbergs, dass der Anteil des selbstbestimmten Lebens eine große Rolle spielt, nicht das pflegerische, dann ist die Gesellschaft und sind die Behörden aufgerufen, das zu ermöglichen. Und eben nicht so jemanden in ein Heim zu drängen."

Bedarfsermittlung rechnet Leistungen minutengenau zusammen

Wie kommt der Bezirk auf die Kürzung? Auf Nachfrage heißt es vom Bezirk Unterfranken, man könne sich wegen des Sozial-Datenschutzes nicht zu diesem konkreten Fall äußern. In der Begründung, die Windbergs uns zeigt, ist der tägliche Bedarf minutengenau tabellarisch aufgelistet. Aufstehen: sechs Minuten. Transfer in den Rollstuhl: vier Minuten. Haarpflege: 4,3 Minuten. Essen: 45 Minuten. Für den Toilettengang sieht der Bezirk 48 Minuten vor, exakt zwölf mal vier Minuten. "Das macht man natürlich alles am Stück", kommentiert Windbergs sarkastisch.

Eilverfahren bestätigt Windbergs Bedarf

Mitte April kam dann die Entscheidung des Eilverfahrens beim Sozialgericht: Windbergs bekommt ihre 16 Stunden wieder finanziert. Die Erleichterung ist groß – vorerst. Die knapp 12.000 Euro kann sie ihren Freunden jetzt zurückzahlen. Der Bezirk kann aber jetzt Beschwerde gegen den Beschluss einlegen.

Barbara Windbergs (rechts) im Rollstuhl beim Frühstück. Ihre Assistentin hilft ihr.
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Barbara Windbergs (rechts) im Rollstuhl beim Frühstück. Ihre Assistentin hilft ihr.

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