Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller
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Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller im Kontrovers-Interview

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Kirchenrechtler: "Dementi Ratzingers wenig glaubwürdig"

Was wussten die Kardinäle Ratzinger, Wetter und Marx von den Missbrauchsfällen eines Pfarrers in ihrer Erzdiözese? Kirchenrechtler Thomas Schüller hält im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers das Dementi Ratzingers für wenig glaubwürdig.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Wer hat wann was gewusst im Zusammenhang mit den Missbrauchstaten von Pfarrer H., der viele Jahre Kinder missbrauchte und offenbar von seinen Vorgesetzten in der Katholischen Kirche gedeckt wurde? Verantwortungsträger der katholischen Kirche in Deutschland können nächste Woche unter Druck geraten. Das Ergebnis eines Gutachtens soll vorgestellt werden, das den Fall von Pfarrer H. und andere Missbrauchstaten im Erzbistum München und Freising untersucht hat, in Auftrag gegeben vom Bistum selbst.

Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller von der Universität Münster erklärt im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers, welche Sprengkraft dieses Gutachten haben kann. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Missbrauch und Reformbedarf in der Katholischen Kirche.

"Große Verantwortungslosigkeit" bei Missbrauch

Ranghohe Kleriker waren offenbar gewarnt, dass Pfarrer H. pädophil ist. Allerdings griff jahrzehntelang keiner grundlegend ein, er wurde nur immer wieder versetzt. Und trotz eindringlicher Hinweise hatte der Pfarrer weiterhin immer wieder Kontakt mit Kindern. Für Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller zeigt sich darin eine große Verantwortungslosigkeit der Entscheidungsträger: "Man hat offenen Auges mit dem Wissen um seine gefährliche Kraft Kinder weiter in Gefahr gebracht."

Was wussten die Kardinäle im Erzbistum München und Freising?

Die Geschichte, die das Gutachten aufarbeiten soll, beginnt in der Zeit von Erzbischof Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Obwohl er und seine Personalverantwortlichen um die Vorgeschichte von Pfarrer H. gewusst haben mussten, vermutet Kirchenrechtler Schüller, haben sie ihn als Seelsorger eingesetzt. Die darauffolgenden Kardinäle Friedrich Wetter und Reinhard Marx ebenso.

"Dementi nicht glaubwürdig"

Wenn ein Priester aus einer anderen Diözese eingesetzt werden soll, dann machten sich die Entscheidungsträger, etwa der Generalvikar, über die Vorgeschichte kundig und dann würden auch die Bischöfe informiert, das ist für Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller klar. Demnach müssten die Erzbischöfe Ratzinger, Wetter und Marx der Diözese München und Freising auch Bescheid gewusst haben. Das Dementi von Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., er habe von den Missbrauchstaten nichts gewusst, hält Schüller deshalb für unglaubwürdig. "Das heiligmäßige Bild von ihm wird erschüttert werden."

Gutachten mit hoher Sprengkraft

Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller rechnet im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers damit, dass das Missbrauchsgutachten das bestätigen wird, was "in vielen Diözesen in Deutschland der Fall war, dass die Bischöfe systematisch vertuscht haben". Und neben der Verantwortlichkeit von Kardinal Joseph Ratzinger und Kardinal Friedrich Wetter, stelle sich seiner Meinung nach auch die Frage, ob Kardinal Reinhard Marx erneut seinen Rücktritt anbieten wird.

Missbrauchsaufarbeitung: "Kirchen können Problem nicht selbst lösen"

Die Staatsanwaltschaften müssten noch entschiedener bei Verdachtsfällen in der Kirche vorgehen als in der Vergangenheit, fordert Kirchenrechtler Thomas Schüller. Bis in die 1980er Jahre hätten die Staatsanwaltschaften die Kirchen mit Samthandschuhen angepackt und zu sehr den Bischöfen geglaubt, dass sie präventive Maßnahmen ergreifen. Das habe sich auf das Strafmaß ausgewirkt und es sei deshalb dann vielfach nur zu Bewährungsstrafen für die kirchlichen Täter gekommen.

Zudem müsse der Bundestag eine gesetzliche Grundlage für eine unabhängige Kommission schaffen – so wie das bereits in angelsächsischen Ländern geschehen ist. Denn Kirchenrechtler Schüller ist überzeugt, dass nur so eine unabhängige Aufarbeitung stattfindet: "Die Kirchen können das Problem nicht selbst lösen."

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