Mitglieder der Jüdischen Studierendenunion protestierten 2018 in Frankfurt/Main gegen die Gruppe "Juden in der AfD"
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Mitglieder der Jüdischen Studierendenunion protestierten 2018 in Frankfurt/Main gegen die Gruppe "Juden in der AfD"

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"Juden in der AfD": Provokation als politisches Kalkül?

Eine AfD-Politikerin aus Franken wirbt damit, Jüdin zu sein. Kritiker werfen ihr vor, sie würde ihre Religion instrumentalisieren. Doch was hat es damit auf sich? BR-Recherchen zeigen: Sie selbst verfügt über Kontakte ins extrem rechte Milieu.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit am .

Ekaterina Gutner aus Nürnberg gehört bislang nicht zu den bekannten Gesichtern innerhalb der bayerischen AfD. Sie selbst kam laut eigenen Angaben 1990 aus Russland nach Deutschland und wohnte in Sachsen. Doch erst kürzlich machte sie durch eine Aussage bei Twitter auf sich aufmerksam. "Der Zentralrat der Juden darf sich ab jetzt über eine Jüdin (noch schlimmer - mit Migrationshintergrund) als AfD-Bezirkskandidatin Mittelfranken freuen", schrieb die Übersetzerin. Immer wieder sorgen AfD-Politiker durch antisemitische Äußerungen für Skandale, die AfD wird in Teilen als antisemitisch und rechtsextrem eingestuft. Damit konfrontiert schreibt Gutner, dass sie seit 2016 in der Partei sei und noch "keinem einzigen Antisemiten begegnet" sei.

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Jüdin outet sich als Höcke-Fan

Gutner tritt als begeisterte Anhängerin von Björn Höcke auf, veröffentlicht etliche Bilder des AfD-Politikers auf ihrem Profil in sozialen Netzwerken. Sie schreibt beispielsweise zu einem Bild, das Höcke im Arm einer Frau zeigt: "Wir, Russinnen, tragen immer eine gewisse Verantwortung für unsere deutschen Männer und ihren Erfolg." Ihre Nähe zu Höcke verwundert. So war der Chef der AfD in Thüringen Gesicht des mittlerweile aufgelösten Flügels der AfD, der vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als rechtsextrem eingestuft wurde. Antisemitische Chiffren und Verschwörungstheorien seien "Bestandteil der gesamten politischen Programmatik" des offiziell aufgelösten rechtsextremen "Flügels", stellte das BfV in seinem Lagebild Antisemitismus im Jahr 2020 fest.

Antisemitismusvorwürfe gegen AfD-Politiker

Ekaterina Gutner hingegen schwärmt regelrecht von Höcke. Nennt ihn in einem Schreiben an den BR einen "guten Redner, Historiker, Philosoph". Zudem sei er "nicht zuletzt einfach als Mensch populär (feinfühlig, gebildet, romantisch)". Sie wünsche sich "mehr solche guten Redner in der Partei". Sie selbst schätze Höcke als Philosemiten ein, also als jemanden, der dem Judentum gegenüber wohlgesinnt sei. Das Jüdische Forum jedoch, das sich gegen Antisemitismus einsetzt, warf Höcke vor, antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet zu haben. So sprach er bei einer AfD-Veranstaltung von "globalistischen Eliten" die eine "Neue Weltordnung" etablieren wollten. In diesem Zuge sprach er auch von George Soros "und anderen Superreichen", die mit ihren Stiftungen "souveräne Staaten unterwandern" würden. George Soros ist US-amerikanischer Jude. Bei Anhängern von Verschwörungsmythen steht er laut der zivilgesellschaftlichen Amadeu Antonio Stiftung für ein angeblich übermächtiges, jüdisches Kollektiv.

Keine Berührungsängste nach Rechtsaußen

Auch für die mittelfränkische AfD-Landtagskandidatin Elena Roon wirbt Ekaterina Gutner in sozialen Netzwerken. Die Russlanddeutsche Roon war 2017 bundesweit in die Schlagzeilen geraten, weil sie Hitler-Bilder in einer internen AfD-Chatgruppe geteilt hat. "Vermisst seit 1945 – Adolf bitte melde Dich! Deutschland braucht Dich!" hieß es auf dem Bild, dazu ein Konterfei von Adolf Hitler. Zudem verbreitete Roon in einem russischen Netzwerk ein Video einer Holocaustleugnerin, wie BR-Recherchen offenlegten.

Auch sonst hat Gutner offenbar keine Berührungsängste mit rechten Akteuren. Dieter M. (Name von der Red. geändert), der laut ihren Angaben Bilder für ihren Auftritt in sozialen Netzwerken anfertigt, ist nach BR-Recherchen ein ehemaliger Nürnberger Pegida-Aktivist und mit führenden NPD-Protagonisten aus Bayern verbandelt. So markierte Dieter M. deren Plakate in sozialen Netzwerken mit "gefällt mir" und kommentierte intern mehrere Propaganda-Bilder der rechtsextremen Partei mit "Die Motive auf den Plakaten finde ich sehr gut und gelungen."

AfD-Politikerin lobt Jürgen Elsässer: Treibt "Stimmvieh zusammen"

Selbst bei einer Veranstaltung der rechtsextremen Szene war Gutner schon zu Gast. Videomaterial, das dem BR vorliegt, zeigt sie freudig filmend beim Sommerfest des Compact-Magazins im August des vergangenen Jahres. Dort trafen sich unter anderem Compact-Chef Jürgen Elsässer, der Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke aus Oberfranken, Martin Sellner von der Identitären Bewegung oder Martin Kohlmann von der rechtsextremen Gruppierung "Freie Sachsen". Über Elsässer schwärmt Gutner: "Erwähnenswert an ihm ist, dass er im Osten ganz schön viel an Stimmvieh zusammentreibt." Auf dem Videomaterial ist Gutner zu sehen, wie sie nur wenige Meter neben einem ehemaligen NPD-Kader aus Thüringen steht.

Israelitische Kultusgemeinde: Instrumentalisierung von Judentum

Die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg (IKGN) geht davon aus, dass im Falle Ekaterina Gutner "eine Instrumentalisierung von sich als jüdisch ausgebenden Personen seitens der AfD betrieben wird." Die AfD-Politikerin ist laut IKGN kein Mitglied der eigenen Gemeinde. Über die Motivlage von Ekaterina Gutner, sich einer "in Teilen faschistischen und antisemitischen Partei, die am äußersten rechten Rand steht und demokratiefeindlich auftritt anzuschließen, könnten wir nur mutmaßen", teilte IKGN-Geschäftsführer Oren Osterer dem BR auf Anfrage mit. Ihm sind keine IKGN-Mitglieder bekannt, die in der AfD sind. Daher "spielen Juden in der AfD in unserem Gemeindeleben keine Rolle", bilanziert er.

Artur Abramovych ist der Vorsitzende der Gruppe "Juden in der AfD", die ihm zufolge bundesweit 20 Vollmitglieder hat. Er meint, dass die AfD nicht mehr Antisemiten beherberge "als die übrigen Parteien auch."

Kritik: "Juden in der AfD" für antimuslimische Parolen vorgeschoben

Die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg hingegen hat sich bereits 2021 dem Aufruf "Juden gegen die AfD" angeschlossen, der von 72 überregionalen jüdischen Organisationen unterschrieben wurde. In dem Aufruf heißt es unter anderem: "Die AfD schiebt Juden vor, um ihre rassistischen und antimuslimischen Parolen unter das Volk zu bringen. Aber dieses Feigenblatt wollen und werden wir nicht sein." Damit konfrontiert meint Abramovych von den "Juden in der AfD": "Ich halte die AfD für national gesinnt, aber nicht für rassistisch. Die Diffamierung nationaler Gesinnung als Rassismus ist ein grassierendes Problem Westeuropas."

Anders bewertet das die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg. "Die AfD ist auch in Bayern eine rechtsextreme und antisemitische Partei. Am Beispiel von Frau Gutner sieht man die Vernetzung der AfD bis in faschistische Kreise hinein, und dass sie sich als Fan von Björn Höcke outet, ist auch selbstentlarvend" so Stephan Doll, Vorsitzender der Allianz. Die Bezeichnung "Juden in der AfD" sei aus Sicht der Allianz "reines politisches Kalkül". Dass eine Kandidatin der AfD für den Bezirkstag in Mittelfranken ihr Judentum in den Vordergrund stellt, sei laut Doll "der dreiste Versuch, das wahre Gesicht der AfD zu verstecken."

Studie bescheinigt AfD Antisemitismus

Schon 2021 hat sich Prof. Lars Rensmann von der Universität Passau in einer Studie mit dem "Antisemitismus in der AfD" auseinandergesetzt, die das American Jewish Committee in Berlin herausgegeben hat. Der Politikwissenschaftler kommt darin zum Ergebnis, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa aufs Innigste mit Nationalismus und Antisemitismus verbunden seien. Das treffe "auch auf die AfD zu, die sich zur deutschen Parteienvertretung einer autoritär-nationalistischen 'Gegenrevolution' entwickelt hat". Trotz anderslautender Lippenbekenntnisse würden bei der Partei und ihren Wählern "Israelfeindschaft, Holocaustrelativierung, antisemitisches Verschwörungsdenken und judenfeindliche Bilder einen prominenten Platz" einnehmen.

Die mittelfränkische Bezirkskandidatin Ekaterina Gutner hingegen meint, dass die AfD die einzige Partei sei, "die die Interessen der Juden ernst nimmt." In seiner Studie zum Antisemitismus in der AfD hat sich Lars Rensmann auch mit den "Juden in der AfD" beschäftigt. Diese Gruppe, die mit antisemitischer Ideologie inkompatibel erscheine, erweise sich ihm zufolge "als politisch irrelevante Kleingruppe, welche zudem vor allem allgemeine migrations- und frauenfeindliche AfD-Positionen" übernehme.

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