Blick von der Marienbrücke in die Pöllatschlucht
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Der Mordprozess um das Gewaltverbrechen bei Schloss Neuschwanstein wird mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft fortgesetzt.

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Gewalttat bei Neuschwanstein: Opfer richtet Bitte ans Gericht

Der Mordprozess um die Gewalttat im vergangenen Sommer bei Schloss Neuschwanstein nähert sich dem Ende: Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrem Plädoyer begonnen. Zuvor wurde ein Brief des überlebenden Opfers verlesen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Noch bevor die Staatsanwaltschaft am Vormittag mit ihrem Plädoyer begonnen hat, wurde im Gerichtssaal ein Brief der jungen Frau vorgelesen, die die Tat überlebt hat. Heute sind auch die Eltern der getöteten 21-Jährigen im Gerichtssaal. Die Tat sorgte international für Entsetzen: Am 14. Juni vergangenen Jahres soll ein 31-jähriger US-Amerikaner zwei amerikanische Touristinnen in der Nähe von Schloss Neuschwanstein angegriffen haben. Laut Anklage vergewaltigte er eine der beiden Frauen und stieß die Studentinnen in die Pöllatschlucht. Die ältere der beiden Frauen überlebte den 50-Meter-Sturz mit Prellungen, Schürf- und Platzwunden, ihre 21-jährige Freundin starb wenige Stunden nach dem Angriff im Krankenhaus.

Eltern der Getöteten im Gerichtssaal

Zum ersten Mal sind die Eltern der getöteten 21-jährigen US-Amerikanerin beim Prozess anwesend. Sie sind beide ganz in schwarz gekleidet, tragen schwarze FFP-2 Masken, die sie bei Prozessbeginn abnehmen und begrüßen die Staatsanwaltschaft und die Vertreter der Nebenklage mit Handschlag. Für sie ist ein eigener Übersetzer da. Rund 40 Zuschauer und Zuschauerinnen verfolgen den Prozess. Der Angeklagte - in Handschellen - hält sich beim Betreten des Gerichtssaals wie an den anderen Prozesstagen einen roten Schnellhefter vors Gesicht, die Eltern der getöteten 21-Jährigen verfolgen ihn aufmerksam auf dem Weg zu seinem Platz. Die Mutter der Getöteten sieht ihn die ganze Zeit mit Tränen in den Augen an. Bis zum Prozessbeginn dreht er ihnen den Rücken zu.

Überlebende richtet Bitte ans Gericht

Bevor die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer begonnen hat, wurde dem Angeklagten ein Brief des zweiten Opfers, das die Tat überlebt hat, übergeben. Der Angeklagte liest ihn, für das Gericht und das Publikum wird er von einem Dolmetscher übersetzt. Beim Lesen des Briefs, der die Folgen der Attacke für sie beschreibt, kämpft der Angeklagte mit den Tränen, die Eltern der getöteten jungen Frau weinen. In dem Brief geht es um die verlorene Zukunft und die Freundschaft der beiden Frauen. Die 22-Jährige schreibt, sie sei seit einigen Monaten in Therapie, aber die Angst sei manchmal unerträglich und es sei sehr schwer, sich um seine Zukunft zu kümmern, wenn man erfahren habe, wie schnell das Leben vorbei sein könne. Sie richtet in ihrem Brief auch eine Bitte an das Gericht. Es solle berücksichtigen, welchen Schmerz der Angeklagte nicht nur ihr und ihrer getöteten Freundin, sondern auch ihren Eltern, ihrer Familie, ihren Freunden und ihrem Umfeld zugefügt habe. Die Richter sollten auch dafür sorgen, dass er das nie wieder tun könne.

Geständnis zum Prozessauftakt

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 31-jährigen US-Amerikaner unter anderem Mord, versuchten Mord und Vergewaltigung vor. Beim Prozessauftakt vor zwei Wochen ließ der Angeklagte seine Verteidiger eine Erklärung verlesen. Darin legte er ein weitgehendes Geständnis ab.

Allerdings bestreitet der Mann, dass er tatsächlich vorgehabt hatte, die Frauen zu töten. "Der Angeklagte weiß, dass er für seine Taten die Verantwortung tragen muss", hieß es in der Erklärung. "Er ist tief beschämt. Die Taten, insbesondere der Mord und die Vergewaltigung, lasten schwer auf seinem Gewissen."

Minutengenaue Rekonstruktion der Tat

In bisher drei Prozesstagen versuchte das Gericht, den Ablauf der Gewalttat vom 14. Juni 2023 möglichst genau zu rekonstruieren. Anhand der Auswertung von Navigations-Apps, GPS-Daten sowie Fotos und Videos auf dem Handy des Angeklagten konnten Ermittler ein detailliertes Bewegungsprofil des Angeklagten erstellen und minutengenau nachvollziehen, was sich an dem Tag abgespielt hat.

Nach der Aussage der Überlebenden hatten die beiden Studentinnen den Angeklagten auf einem Wanderweg in der Nähe der Marienbrücke durch Zufall kennengelernt. Unter dem Vorwand, ihnen einen besonders guten Aussichtspunkt auf Schloss Neuschwanstein zeigen zu wollen, soll er sie an eine schwer einsehbare Stelle abseits des Hauptwanderwegs gelockt haben. Dort griff er nach Aussage der Studentin ihre Freundin urplötzlich von hinten an und begann, sie zu würgen.

Als die 22-Jährige der Freundin zur Hilfe kommen wollte, soll der Mann sie gepackt und nach einem kurzen Kampf über den Abgrund in die Pöllatschlucht gestoßen haben. "An den Sturz kann ich mich nicht mehr erinnern", sagte die 22-Jährige kurz nach der Tat beim Ermittlungsrichter aus. Das Video der Aussage wurde im Gericht gezeigt. "Irgendwann kam ich wieder zu mir. Ich war an einem umgestürzten Baumstamm gelandet."

Teile der Tat hat der US-Amerikaner selbst gefilmt

Laut Anklage begann der Mann anschließend, die Freundin der 22-Jährigen oben am Abhang mit einem Gürtel bis zur Bewusstlosigkeit zu strangulieren und zu vergewaltigen. Die Tat hat der 31-Jährige mit seinem Handy zum Teil selbst gefilmt. Die beiden kurzen Videos wurden neben anderen Aufnahmen im Gerichtssaal gezeigt.

Nach der Tat soll der Angeklagte die 21-Jährige ebenfalls in die Schlucht gestoßen haben. Ihre Freundin, die in Todesangst in dem Steilhang ausgeharrt und mehrere Notrufe abgesetzt hatte, musste mit ansehen, wie die 21-Jährige nach dem Sturz bewusstlos und halbnackt neben ihr an dem Baumstamm zu liegen kam. Die Frauen wurden mit dem Rettungshubschrauber in verschiedene Kliniken geflogen. Die 21-jährige Studentin erlag dort noch in der Nacht ihren Verletzungen.

Gutachter: Angeklagter ist voll schuldfähig

Im Prozess sagte der psychiatrische Gutachter aus, er sehe bei dem 31-jährigen Angeklagten keine Hinweise auf psychiatrische Störungen – er ist voll schuldfähig. Es läge auch keine sexuell-sadistische Störung oder eine Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit vor.

Laut einem Mitarbeiter der Rechtsmedizin bestätigen auch die Blut- und Haarproben, die bei dem Angeklagten genommen worden waren, dass der Mann zum Tatzeitpunkt nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stand. Kurz nach der Tat nahm die Polizei den Mann ohne Gegenwehr in der Nähe der Marienbrücke fest.

Angeklagter verfolgt den Prozess regungslos

Den Prozess am Landgericht Kempten verfolgte der Angeklagte die meiste Zeit bisher regungslos mit gesenktem Blick. Lediglich als Briefe der Eltern und der Zwillingsschwester vorgelesen wurden, in denen sie ihre Tochter und Schwester als sehr intelligenten, hilfsbereiten und liebenswürdigen Menschen beschrieben, kämpfte er mit den Tränen. Als die Fotos und Videos vom Tattag im Gerichtssaal gezeigt wurden, blickte er beschämt auf den Boden und wischte sich mehrmals über die Augen.

Nach drei Prozesstagen mit vielen Aussagen von Zeugen, Ermittlern und Gutachtern neigt sich der Prozess um die Gewalttat bei Schloss Neuschwanstein mit den Plädoyers nun seinem Ende entgegen. Wann das Gericht ein Urteil verkünden wird, ist noch nicht bekannt.

Im Falle einer Verurteilung muss der Angeklagte mit einer langen Haftstrafe rechnen. Bei der Frage, ob bei dem 31-Jährigen die medizinischen Voraussetzungen für eine mögliche Sicherungsverwahrung vorliegen, wollte sich der psychiatrische Gutachter am letzten Verhandlungstag nicht festlegen.

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