Sahra Wagenknecht und Hubert Aiwanger
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Sahra Wagenknecht und Hubert Aiwanger

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Geplante neue Partei: Muss Aiwanger vor Wagenknecht zittern?

Ähnlich wie Hubert Aiwanger bei den Freien Wählern will Sahra Wagenknecht mit ihrer geplanten Partei auch enttäuschte Bürger erreichen. Schon bei der Europawahl 2024 könnten beide um Wählerstimmen konkurrieren. Eine Gefahr für die Freien Wähler?

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit am .

Hubert Aiwanger nannte keinen Namen, als er die fortschreitende "Spaltung unserer deutschen Politiklandschaft" beklagte. Doch den meisten dürfte klar gewesen sein, wen der Freie-Wähler-Chef kürzlich in seiner Parteitagsrede im Sinn hatte: Er sprach von "irgendwelchen Leuten", die bisher "nur Talkshow-mäßig unterwegs waren" und nun plötzlich "Parteien gründen mit irgendwelchen schrägen Ideologien".

Am Montag kündigte Ex-Linken-Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht tatsächlich die Gründung einer linkskonservativen Partei an, die schon zur Europawahl im Juni antreten soll. Bei allen programmatischen Unterschieden zu den Freien Wählern gibt es auch Schnittmengen. Wie Aiwanger hat Wagenknecht unter anderem jene Wähler im Blick, die von den Ampel-Parteien und der Union enttäuscht sind. Könnte eine Wagenknecht-Partei neben der AfD auch den Freien Wählern das Wasser abgraben – möglicherweise schon bei der Europawahl?

Freie Wähler haben zwei Europaabgeordnete

Laut dem Schweinfurter Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst, der zusammen mit Wagenknecht die Linke verlassen hat, wird "selbstverständlich" auch die Gründung eines bayerischen Landesverbands vorbereitet, wie er der Münchner "Abendzeitung" sagte. Für die Europawahl ist das aber noch gar nicht nötig – dort können Parteien auch mit einer einheitlichen Bundesliste antreten.

Da es bei der Europawahl in Deutschland vorerst keine Sperrklausel gibt, reichten den Freien Wählern 2019 2,2 Prozent für zwei Sitze im Europaparlament. Nach den Zugewinnen der Freien Wähler bei der bayerischen Landtagswahl Mitte Oktober zeigte sich Aiwanger zuversichtlich, dass seine Partei bei der Europawahl im Juni "ein noch sehr viel besseres Ergebnis" einfahren werde als 2019. Schon vor mehreren Wochen gaben die FW das Ziel aus, die Zahl der Europaabgeordneten von zwei auf vier zu verdoppeln.

Parallelen bei der Wähleransprache

Für eine Wagenknecht-Partei könnte die Europawahl dem Politologen Heinrich Oberreuter zufolge zur "Generalprobe" für weitere Urnengänge werden. Im Welt-TV-Interview verwies er auf Parallelen zwischen Wagenknechts und Aiwangers Wähleransprache: "Kritik an kulturellen Erscheinungen durch die Migrationswelle, Kritik an der sozialen Verunsicherung der normalen 'kleinen Bürger' durch Energiepolitik, Heizungskosten und all diese Geschichten." Die Freien Wähler hätten bei der Landtagswahl stark auf die Forderung gesetzt, "den kleinen Bürger zu schützen", und dabei gezeigt, dass eine solche Ansprache erfolgreich sein könne.

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, sagte Welt TV, Wagenknecht werbe wie andere Parteien rechts der Mitte mit dem gesunden Menschenverstand. Dabei bediene sie "ein bisschen den Populismus", allerdings "deutlich sachlicher als zum Beispiel die AfD und auch sachlicher als zum Beispiel die Freien Wähler".

Im Brandenburg-Trend des RBB zählten Mitte September vor allem Anhänger von AfD (57 Prozent) und Freien Wählern (54 Prozent) zu den Befürwortern einer möglichen neuen Wagenknecht-Partei. Nun ist Brandenburg nicht Bayern, auch gehört die brandenburgische Freie-Wähler-Landtagsfraktion nicht zur FW-Bundesvereinigung um Aiwanger, arbeitet mit dieser aber zumindest zusammen.

Politologe verweist auf Unterschiede

Nach Einschätzung des Münchner Politikwissenschaftlers Stefan Wurster müssen die Freien Wähler eine Wagenknecht-Partei nicht besonders fürchten. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik gebe es deutliche Unterschiede. Wagenknecht sei wirtschaftspolitisch klar links aufgestellt, die Freien Wähler stünden hier in der "Mitte oder sogar Mitte-rechts", sagt er im BR24-Interview. "Da konkurriert man nicht um dieselben Wähler." Näher sind sich Wagenknecht und Aiwanger dagegen gesellschaftspolitisch, wo die frühere Linken-Politikerin Wurster zufolge "eher restriktiv-konservative" Positionen vertritt.

Auch Wurster verweist darauf, dass Aiwanger im Landtagswahlkampf verstärkt "populistische Töne" angeschlagen habe. Ein Teil des Wahlerfolgs der FW habe darauf beruht, die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung "aufzunehmen". Insofern sei es möglich, dass ein Teil der FW-Wähler zu einer Wagenknecht-Partei abwandern könnte. "Aber eine starke Konkurrenz zwischen den Freien Wählern und dieser neuen Partei, wenn sie überhaupt erfolgreich ist, sehe ich eigentlich nicht", erläutert der Politik-Professor.

Umfragen, die Wagenknecht ein Wählerpotenzial bei ganz verschiedenen Parteien bescheinigen, sind laut Wurster mit ganz großer Vorsicht zu sehen: Solange eine neue Partei noch gar nicht klar definiert sei, biete sie zunächst eine "Projektionsfläche, in die man alles Mögliche hineininterpretieren kann". Wenn dann später klarer werde, wofür sie wirklich stehe, "dann kann sich das ändern".

FW-Generalsekretärin appelliert an Wähler

Die Freien Wähler lässt die mögliche linkskonservative Konkurrenz mit Blick auf die Europawahl aber offenbar nicht völlig kalt. Die bayerische Freie-Wähler-Generalsekretärin Susann Enders zeigt sich auf BR24-Anfrage zwar optimistisch, dass sich die bisherige Arbeitsweise ihrer Partei weiterhin bewähren werde. Zugleich appelliert sie aber an die Wählerinnen und Wähler: "Die Bürger sollten genau hinsehen, ob sie Sahra Wagenknechts Neuinszenierung einer 'Linken mit bürgerlichem Mäntelchen' hinterherlaufen oder ob sie weiterhin auf unsere verlässliche Freie-Wähler-Politik der gesellschaftlichen Mitte setzen."

Im Audio: Klaus Ernst im Interview

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst.
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Der Linke-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst hat dem Parteivorstand seinen Parteiaustritt mitgeteilt. Er geht zum "Bündnis Sahra Wagenknecht".

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