Vier Jugendliche Jungen lesen ein Arbeitsblatt
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Schüler des ersten neuen G9-Jahrgangs

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Zurück zum G9 am Gymnasium: Mit neuer Zuversicht Richtung Abi

G9, G8, wieder G9 – aber anders. Das bayerische Gymnasialsystem hat sich in den letzten 20 Jahren oft gewandelt. Aktuell herrscht Zuversicht im neuen System. Wird jetzt alles gut? Eine Bestandsaufnahme in einer 11. Klasse – bei den G9-Pionieren.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Etwa 20 Jahre ist es her, da hat der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber das bayerische Gymnasialsystem grundlegend reformiert. Statt 13 Klassen in neun Jahren sollte ein Jahr weniger in der Schule den Jugendlichen einen schnelleren Karriereeinstieg ermöglichen und Abhilfe im demografischen Wandel schaffen. Aus G9 wurde G8 – und das quasi über Nacht.

Die Folgen: Debatten über zu hohe Belastungen und Stress für die Kinder, ein mit zu wenig Vorlaufzeit erzwungener Umbruch für die Schulen. Empirische Studien über die tatsächlichen Auswirkungen des G8 gibt es allerdings nur wenige. In der Tendenz haben sich in der Praxis aber keine zeitlichen Vorteile für G8-Absolventen ergeben – eher studieren sie seltener als "G9er", brechen im ersten Jahr öfter ab und beginnen nicht direkt nach dem Abitur ein Studium.

Zurück zum G9 an bayerischen Gymnasien

Im Jahr 2018 dann das von vielen ersehnte Comeback: Das neue G9 wurde in Bayern eingeführt. Diesmal nicht als Hauruck-Aktion, sondern mit allen Beteiligten im Austausch: dem Bayerischen Philologenverband, der Direktorenvereinigung, der Landes-Eltern-Vereinigung sowie dem Landesschülerrat.

Das erste neue Abitur schreiben die G9-Pioniere 2026, der erste Jahrgang befindet sich aktuell in der 11. Jahrgangsstufe. Ingo Schneider, Schulleiter am Friedrich-List-Gymnasium im unterfränkischen Gemünden zeigt sich zufrieden mit der bisherigen Entwicklung und blickt optimistisch auf das neue G9. Es sei das Beste aus beiden Welten – dem G8 und dem G9. Auch die Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium funktioniere auf Augenhöhe.

Fehlende Bücher bereiten keine Probleme

Eine eher kleine Herausforderung scheint für die Gymnasien zu sein, dass noch immer einige Schulbücher fehlen. Wirtschaft und Religion sind die betroffenen Fächer in Gemünden. Das liege zum einen an langwierigen Prüfungsprozessen für die Zulassung, so das Kultusministerium auf BR-Nachfrage – zum anderen wisse man sich da doch sehr gut zu behelfen, so Schneider.

Auch die Schüler selbst wirken gelassen. Finn Knoblach ist Klassensprecher der 11. Klasse in Gemünden. Er sehe sich nicht als Versuchskaninchen, meint er. Vielmehr sei es spannend, als Pionier bei den Ersten des neuen Systems dabei zu sein. Außerdem finde er es angenehm, dass die Lerninhalte mit mehr Zeit vertieft werden können.

Euphorie-Bremsen: Lehrermangel und wenig Flexibilität

Nicht nur ins Schwärmen geraten die "Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft" (GEW) und der Bayerische Philologenverband (BPV). Beide bewerten den Schritt zum G9 positiv, warnen jedoch vor einem – zum jetzigen Stand – unvermeidlichen Problem: Ein zusätzliches Jahr benötige auch mehr Lehrkräfte, die es aber absehbar nicht geben wird.

Peter Stegmann, Bezirksvorsitzender des BPV in Unterfranken, verweist auf die aktuelle Lehrerbedarfsprognose des Bayerischen Kultusministeriums. Demnach würden im Jahr 2025 etwa 3.400 Gymnasiallehrkräfte benötigt, erwartet werden aber nicht einmal 1.800. Im neuen Koalitionsvertrag zwischen CSU und den Freien Wählern ist vereinbart, dass bis zum Jahr 2028 6.000 neue Lehrstellen geschaffen werden sollen.

Und auch Jörg Nellen, Geschäftsführer der GEW Unterfranken, schlägt in die gleiche Kerbe. Außerdem kritisiert er, ähnlich wie der BPV, die Wahlmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler beim Abitur. Deutsch und Mathematik sind weiterhin verpflichtende Abiturprüfungsfächer.

Zwar gibt es, angelehnt an die früheren Leistungskurse, auch ein individuell wählbares Leistungsfach – zwei, wie im alten G9, wären aber vor allem dem BPV lieber gewesen. Allerdings können Deutsch und Mathematik nach der neuen Substitutionsregel als Prüfungsfächer vermieden werden: Möchte man Mathematik vermeiden, sind zwei andere "MINT"-Fächer Pflicht, möchte man Deutsch vermeiden, muss es durch zwei Fremdsprachen ersetzt werden.

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"TED-Talk" als Lehrmittel auf der digitalen Tafel

Schulen fühlen sich gehört

Insgesamt verfestigt sich aber ein guter Eindruck des neuen G9-Systems. Im Gegensatz zur Einführung des G8 im Jahr 2004 fühlen sich die Akteure gehört und mit ihren Anliegen ernst genommen. Als nächste Herausforderung steht für die Schulen die Wahl des individuellen Leistungsfachs an.

Eine spannende Aufgabe, wie Schulleiter Ingo Schneider es formuliert, vor der man aber keine Angst habe. Denn dazu bestünde im neuen G9 ohnehin keinerlei Anlass. Auch die Vorbereitungen auf das Abitur werden ohne "alte" Abiturprüfungen als Vorlage gut laufen: Laut Ingo Schneider wird es Musteraufgaben geben – für ihn ein weiteres Zeichen, dass die neue Oberstufe gut vom Ministerium vorbereitet worden ist.

Kaum bayerische Abiturienten 2025

Eine Besonderheit steht 2025 bevor: Zwischen dem letzten regulären G8-Jahrgang 2024 und dem ersten des G9 2026 finden keine flächendeckenden Abiturprüfungen statt. Abitur schreiben in diesem Jahr dann nur etwaige Wiederholer oder aber G9er, die durch die sogenannte individuelle Lernzeitverkürzung die 11. Klasse übersprungen haben.

Laut Kultusministerium haben das bisher aber weniger als 2.000 Schülerinnen und Schüler in ganz Bayern genutzt. Um die Schulen dabei zu entlasten, werden Sammelklassen an einzelnen Schulen eingerichtet, heißt es auf Nachfrage des BR. In Unterfranken sind beispielsweise 15 Standorte für bisher 243 Schülerinnen und Schüler vorgesehen.

Zwei Mädchen aus der 11ten Klasse am Weg zum G9 Abitur in Gemünden.
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Die 11. Klasse

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