Grafik des Zentralbaues und dessen Standort bei der Tassilolinde
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Grafik des Zentralbaues und dessen Standort bei der Tassilolinde

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Fraueninsel: Werden die geheimnisvollen Mauern ausgegraben?

Spektakuläre Entdeckung auf der Fraueninsel: Tief in der Erde orten Archäologen im Sommer einen romanischen Zentralbau in Form eines Achtecks – eine Anlehnung an die Grabeskirche in Jerusalem. Die Wissenschaft schwärmt. Wird der Fund nun freigelegt?

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Am höchsten Punkt der Fraueninsel, auf einer Wiese hinter der mächtigen Tassilolinde, verstecken sich die geheimnisvollen Mauern tief in der Erde – wie es der Zufall so will, unter einem Peace-Symbol aus Blumenstöcken, das von einer Aktion im Zuge des Ukraine-Kriegs im Sommer übriggeblieben ist. Dass die Archäologen mittig darunter unbekannte Mauern orteten, sei schon verrückt, sagt Armin Krämmer, Bürgermeister der Gemeinde Chiemsee.

Überraschung in der Tiefe: "Das war schon spektakulär!"

Eigentlich war es bei der Suche der Wissenschaftler darum gegangen, die Grundmauern der Kirche St. Martin zu finden, die während der Säkularisierung vor mehr als 200 Jahren abgerissen worden war. Auf einem Stich aus dem Jahr 1701 ist diese Kirche noch auf dem Hügel hinter den Klosteranlagen zu erkennen.

Die Spezialisten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege wurden bei ihren Messungen mit einem Bodenradargerät dann relativ rasch fündig. Roland Linck, Geophysiker beim Landesamt für Denkmalpflege, erinnert sich an den großen Moment: "Das war schon spektakulär! Wir haben zuerst die Grundmauern der gesuchten Kirche St. Martin gefunden und gesagt: Wunderbar! Als ich dann tiefer ging, tauchten auf einmal mehr Mauern auf mit einem komplett anderen Grundriss. Das war schon sehr überraschend für uns."

Grafik: So könnte der romanische Bau ausgesehen haben

Wissenschaftler: "Das ist etwas ganz Außergewöhnliches!"

Auch für Lincks Kollegen, den Mittelalter-Archäologen Marc Miltz, war der Fund auf der Fraueninsel ein großartiges Erlebnis: "Als ich zum ersten Mal das Messbild gesehen habe, konnte ich es kaum glauben. Sowas wünscht sich jeder Archäologe. Das ist etwas ganz Außergewöhnliches!"

Als sich langsam die achteckige Form der Mauern herausstellte, war Miltz wie elektrisiert. Sogleich tauchte die Frage auf: Warum wussten wir nichts von diesem Bau? "Wenn man etwas Besonderes bauen wollte im Mittelalter, dann hat man das im Achteck gemacht", erklärt der Experte.

Aber warum wird ein solch imposantes Gebäude in den Schriften um die erste Jahrtausendwende nicht erwähnt? Das sei die große Frage bei diesem Fund, sagt auch Miltz. Wurde der Zentralbau womöglich gar nicht vollendet? Hatte sich das Kloster bei den vielen Bauten übernommen? Das sei alles noch sehr spekulativ, sagt der Archäologe. Antworten müssten erst noch gefunden werden.

Sollen die Mauern freigelegt werden?

Bei so vielen Möglichkeiten und Unsicherheiten: Wäre es da nicht sinnvoll, die Fundamente auszugraben und nach weiteren Erkenntnissen zu forschen? Der Generalkonservator will sich da nicht festlegen. Bei jeder Grabung gehe irgendetwas anderes kaputt, meint er. "Aber wenn sie mich als Menschen fragen, nicht als Denkmalpfleger, dann denke ich: Irgendwann müssen wir schon mal nachschauen!"

Tatsächlich laufen bei der Gemeinde schon Fragen von Hobby-Historikern ein, wann und wo man denn die geheimnisvollen Mauern genauer anschauen könne, erzählt Armin Krämmer. Der Bürgermeister sieht wie sein Gemeinderat eine Ausgrabung sehr kritisch. "Nein, das wollen wir eigentlich nicht! Vielleicht wäre eine Probenentnahme der Gesteine an einer Ecke denkbar." Die virtuelle Darstellung, wie man sie aus den Radardaten errechnet habe, reiche völlig aus, sagt Krämmer.

Blick unter die Erde mit elektro-magnetischen Wellen

Wie genau finden Wissenschaftler wie Linck eigentlich heraus, dass sich ein derartiger Bau unter der Erde befindet? Linck und sein Kollege Miltz arbeiten dafür mit einer dreirädrigen Karre, in die sie unten ein Radargerät und oben einen Monitor einhängen. In geraden Linien, immer hin und her, wird eine große Wiese wie auf der Fraueninsel systematisch gescannt. Die elektromagnetischen Wellen werden von Steinen und Erde unterschiedlich reflektiert und aufgezeichnet. Auf dem Display erscheinen dann Wellen mit dunkleren und helleren Stellen.

Roland Linck vergleicht das Bild mit einer Röntgen-Aufnahme beim Arzt. Wenn der Physiker Auffälligkeiten erkennt, hält er sein Gefährt an.

Im Video: Achteckiger Fund auf der Fraueninsel

Zufällig genau unter einem riesigen Peace-Zeichen aus Blumen versteckt sich ein sensationeller Fund auf der Fraueninsel im Chiemsee.
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Zufällig genau unter einem riesigen Peace-Zeichen aus Blumen versteckt sich ein sensationeller Fund auf der Fraueninsel im Chiemsee.

Form eines Kreuzes: Ein Abbild der Grabeskirche in Jerusalem

Das Landesamt hat aus den Messbildern Animationen hochgerechnet und beeindruckende Bilder veröffentlicht. So könnte der Zentralbau ausgesehen haben: 19 Meter im Durchmesser, an die 20 Meter hoch, ein Oktogon, also Achteck, als Außenhülle, vier Anbauten – zusammen ergibt das die Form eines Kreuzes.

Das sei eine klare Anlehnung an die Grabeskirche in Jerusalem, sagt Generalkonservator Mathias Pfeil. Er ist begeistert vom spektakulären Fund seines Suchtrupps. "So etwas haben wir noch nie gefunden, das ist einzigartig", schwärmt Bayerns oberster Denkmalpfleger.

Wahrscheinlich der Seligen Irmengard gewidmet

Es müsse sich um einen Memorialbau gehandelt haben, meint Pfeil. Ob er zu Ehren der Seligen Irmengard gedacht war, könne man nicht mit Sicherheit sagen. Irmengard, eine Ur-Enkelin von Karl dem Großen, war die erste Äbtissin des Klosters. Sie starb im Jahr 866.

Um das Jahr 1.000 herum, sagt Pfeil, habe es eine starke Verehrung dieser Frau gegeben. Gleichzeitig gab es am Kloster intensive bauliche Veränderungen. Und da man die Entstehung der gefundenen Grundmauern in diese Zeit einordne, sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Zentralbau der Seligen Irmengard gewidmet war.

Idee: Blumen sollen unterirdisches Achteck "sichtbar" machen

Vielleicht werden die Bewohner der Fraueninsel den Grundriss des uralten Oktagons demnächst mit Blumen sichtbar machen, so wie vorher das Friedenszeichen. Sie wollen hier behutsam umgehen mit ihren ganz besonderen Bodenschätzen.

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