Für die meisten Schüler ist es ja erst einmal eine feine Sache, wenn eine Stunde ausfällt. Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker sehen das aber natürlich anders. Schließlich sollen die Kinder gut gewappnet sein, wenn sie aus der Schule kommen. Im Wahlkampf streiten die Kandidaten deshalb auch gern über die Qualität der Bildung und darüber, wo die Regierenden angeblich zu wenig dafür tun.
So behauptete der FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen in der Kontrovers-Wahlarena: "Wir haben momentan die Situation, dass wir fast zehn Prozent der Unterrichtsstunden nicht regulär stattfinden können." CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer dagegen sagte: "Wir haben eine mobile Reserve mit fast 2.500 Lehrern, die wir für Vertretungen brauchen. Es fallen 1,6 Prozent der Stunden aus. Das sind zwei Stunden im Monat pro Schüler."
Wer von den beiden hat recht?
Beide – doch jeder von beiden interpretiert die Zahlen zu seinen Gunsten. Genauer betrachtet verbergen sich in den Details durchaus Probleme.
Korrekt ist: Laut Kultusministerium fielen 2017/2018 1,6 Prozent der Schulstunden ersatzlos aus.
Korrekt ist aber auch: Weitere 6,8 Prozent des Unterrichts wurden "nicht regulär" gehalten. Mit den Ausfällen zusammen macht das dann 8,4 Prozent. Genau das meint FDP-Mann Hagen mit "fast 10 Prozent".
Was bedeutet "nicht regulär"?
Entscheidend für eine Einschätzung ist also, was sich konkret hinter den Wörtern "nicht regulär" verbirgt. Das Ministerium verwendet dafür andere Worte: "nicht planmäßig gehaltene Stunden". Das sind Vertretungsstunden – also Unterrichtsstunden, die eine andere Lehrkraft hält als die, die im Stundenplan steht. Wegen Krankheit, Mutterschutz, Elternzeit oder auch, weil der eingeplante Lehrer zum Beispiel auf Fortbildung oder auf Exkursion mit einer anderen Klasse geht. Und wenn die Klasse selbst auf Exkursion ist, gilt auch das als nicht planmäßiger Unterricht. Die 6,8 Prozent nicht planmäßig gehaltenen Stunden schlüsselt das Ministerium nicht weiter auf nach den Gründen für die Vertretung.
Die "fast 10 Prozent", mit denen Hagen rechnet, sind demnach übertrieben – da ja auch Wandertage oder Fahrten der Kinder eingerechnet sind, die kaum als verschwendete Schulzeit zu sehen sind.
Wenn Kreuzer hingegen die 6,8 Prozent des "nicht regulären" Unterrichts ganz abzieht und den Wählern sagt, es handle sich um lediglich 1,6 Prozent Ausfall, dann stimmt das im strengen Sinne. Denn nur dieser Anteil von Stunden fällt tatsächlich komplett aus – und die Schüler haben frei. Aber die Frage ist, wie gut der Unterricht ist, den die Schüler in "nicht regulären" Stunden bekommen, die nicht gestrichen werden – und ob das nicht auch hinzugerechnet werden muss zu dem Anteil an Unterricht, der den Schülern nichts oder nur wenig bringt.
In der Kritik stehen die Vertretungsstunden also, weil in diesen nicht immer garantiert ist, dass die Schulzeit der Kinder nicht verplempert wird. Vertretungsstunde kann schließlich Verschiedenes heißen: Die Kinder dürfen Hausaufgaben machen, der Lehrer der Nachbarklasse achtet auch noch mit auf die Vertretungsklasse und so weiter. In den besten Fällen übernimmt ein Lehrer, der das ansonsten ausfallende Fach unterrichtet, oder einer, der die betroffene Klasse in einem anderen Fach unterrichtet.
Welche Probleme sieht die Opposition?
Der bildungspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Thomas Gehring, kritisiert: "Schon zu Anfang jedes Schuljahrs ist die mobile Reserve in Bayern leer." Auch Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen kritisierte zu Schulbeginn, dass "die sogenannte mobile Reserve im Grunde bereits zum Schulanfang ausgeschöpft" sei. In Bayern würden laut SPD 2.500 Lehrer anderer Schularten an den Grund- und Mittelschulen unterrichten, um den Bedarf zu decken. "Es hat nichts mehr mit Qualität zu tun, wenn Mathelehrer Kindern das Lesen und Schreiben beibringen."
Welche Probleme sehen Lehrer?
Selbst wenn Stunden nicht ersatzlos ausfallen, ergeben sich für Lehrer und Schüler Probleme – so sieht das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern. "Die Situation ist überhaupt nicht optimal", sagt der GEW-Landesvorsitzende Anton Salzbrunn dem Bayerischen Rundfunk. An Förderschulen etwa falle Unterricht nie aus. Dort besteht der Anspruch, dass zwei Lehrer in einer Klasse sind, und die Schüler können nicht alleine gelassen werden. Was bedeutet: Wird eine Lehrkraft krank, muss die zweite die Klasse alleine stemmen. An Grund- und Mittelschulen hingegen springen laut Salzbrunn zum Teil Studierende ein, um Ausfälle zu vermeiden.
Und egal, an welcher Schule: Wenn Lehrkräfte zwei Klassen betreuen oder Seiteneinsteiger unterrichten, fehle letztlich die Lehrkraft, die ihnen vom Lehrplan her zusteht, so Salzbrunn. Das Land müsse schlicht mehr Lehrer einstellen, um das Problem zu beheben. Was bislang passiert, reiche nicht.
Die GEW fordert außerdem, dass die Ausbildung von Lehrern nicht mehr schulartbezogen ist, damit die Lehrer flexibler einsetzbar sind – und gleiche Besoldung für Grund- und Mittelschullehrer wie für Gymnasiallehrer.
Sind Vertretungsstunden kein Problem für die Regierung?
Auch Kultusminister Bernd Sibler (CSU) erkennt in den nicht planmäßig gehaltenen Stunden ein Problem, zumindest teilweise. "Sie sind einerseits Ausdruck eines lebendigen Schullebens: Wir alle wünschen uns doch Projekttage, Klassenfahrten oder Exkursionen", teilte er dazu dem Bayerischen Rundfunk mit. "Andererseits verstehe ich es natürlich auch, wenn Eltern einmal unzufrieden sind, weil der Unterricht ihrer Kinder beeinträchtigt wird." Sibler will die digitale Bildungsplattform mit dem Namen mebis ausbauen und die Situation damit verbessern. Dort können Lehrer Aufgaben und Materialien für ihre Klassen hinterlegen.