Verschiedene alte Arzneimittel
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Aktuell werden Altarzneimittel in Deutschland hauptsächlich über den Hausmüll und anschließende Müllverbrennung entsorgt.

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Erlanger tüfteln an Wirkstoff-Recycling aus alten Medikamenten

Alte Arzneimittel werden in Deutschland nach der Entsorgung verbrannt. Forschende der Uni Erlangen-Nürnberg sehen in ihnen aber eine wertvolle Ressource – und wollen ihre Wirkstoffe zurückgewinnen. Ein Projekt mit Potenzial für die Zukunft.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Franken am .

Alte Arzneimittel sind wertvolle Ressourcen und viel zu schade für die Müllverbrennung. Auf diese einfache Formel lässt sich der Forschungsansatz der Erlanger Wissenschaftler herunterbrechen. Denn die in alten Tabletten und Kapseln enthaltenen Chemikalien können recycelt werden, sagt Projektleiter Markus Heinrich, Professor für Pharmazeutische Chemie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU): Zum einen seien die alten Arzneimittel eine hervorragende Ausgangsbasis für Forschung im pharmazeutischen Bereich, etwa weil neue Wirkstoffe auf ihrer Basis entstehen könnten, sagt der Projektleiter. Zum anderen lassen sich die Chemikalien seinen Worten zufolge gut in der Ausbildung der Studierenden einsetzen: Als Proben für die Bestimmung und Identifikation der Stoffe.

Rund 500 unterschiedliche Substanzen aus Alt-Pillen

Um an die begehrten Wirkstoffe zu gelangen, müssen die Forschenden zunächst die Hilfsstoffe abtrennen, also das wirklose "Füllmaterial", das jede Tablette beinhaltet. Schon das fordert dem Professor zufolge viel Knowhow. Das Rückgewinnen der eigentlichen Wirkstoffe erst recht: Um die 500 verschiedene Substanzen hat das Projektteam mit dem Medikamentenmüll bereits erhalten – mit etwa 200 davon gearbeitet. 2022 waren es vier Tonnen Altmedikamente, von denen etwa zwei Tonnen recycelt werden konnten. Der Rest wurde der Müllverbrennung zugeführt.

Tabletten besser als Tropfen und Säfte

In der Müllverbrennung landen alte Arzneimittel in Deutschland standardmäßig. Das dient dem Umweltschutz, weil so gewährleistet wird, dass die Wirkstoffe nicht in die Umwelt gelangen – etwa ins Grundwasser. In Erlangen sammelt die FAU in einer eigenen Sammelstation am Chemikum. Auf den Wertstoffhöfen des Zweckverbands Abfallwirtschaft (ZVA) in Erlangen sowie an der Müll-Umladestation am Hafen können Bürgerinnen und Bürger ihre Medikamente ebenfalls für das Projekt abgeben.

Weil in den Containern dort auch verschreibungspflichtige Arzneimittel landen, wird alles selbstverständlich entsprechend gesichert und bewacht. "Genauso wie der übrige Sondermüll", erklärt ZVA-Geschäftsleiterin Silke Knörlein. Außerhalb der Öffnungszeiten ist dort kein Zugang. Feste Medikamente – wie Tabletten und Kapseln – eignen sich besonders gut für die Wiederaufbereitung und werden bei den ZVA-Abgabestellen deshalb getrennt gesammelt. Ein zweiter Container ist für Säfte und Salben vorgesehen. Außerdem beteiligen sich Erlanger Apotheken an dem Projekt.

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Projektteam der FAU um Prof. Markus Heinrich mit Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) und ZVA-Geschäftsführerin Silke Knörlein.

Für Erlangens Oberbürgermeister Florian Janik, den Vorsitzenden des Erlanger Zweckverbands Abfallwirschaft, ist die Medikamentensammlung nicht nur Forschungs-Förderung, sondern auch Umweltschutz: "Auf keinen Fall im Klo runterspülen", betont Janik, "denn die Stoffe verschwinden nicht wieder aus dem Wasser. Wenn es nicht im Abwasser landet, ist es gut am Klärwerk, aber am Schluss ist es auch sinnvoll für die gesamte Umwelt."

Künftige Versorgungsengpässe vermeiden

Für FAU-Forscher Heinrich steckt in der Wirkstoff-Rückgewinnung noch deutliches Potenzial. Die Wiederverwendung der Wirkstoffe soll nicht nur Ressourcen und Energie sparen, sondern auch die Umwelt vor Einträgen durch nicht fachgerecht entsorgte Medikamente schützen. Langfristig und im größeren Maßstab könnten mit dem Verfahren aus Erlangen auch Versorgungsengpässe bei Wirkstoffen ausgeglichen werden, ist Heinrich überzeugt. "Es ist ein universeller Wert, die Techniken zu haben, Wirkstoffe aus Altmedikamenten zurückzugewinnen. Es gibt viele Anwendungszwecke und das wollen wir erforschen."

Wegbereiter für neue Antibiotika

Die rück-gewonnenen Stoffe gibt die Uni inzwischen auch an andere Universitäten und Hochschulen ab. Nur in neuen Medikamenten dürfen sie nicht verwendet werden – weil ihr Reinheitsgrad noch nicht ausreicht und die Universität nicht entsprechend zertifiziert ist. Als Forschungschemikalien können die Stoffe aber dennoch schon jetzt neue Entwicklungen anstoßen: Im Bereich der Antibiotika etwa sei Forschung schon allein wegen der vielen Resistenzen wichtig, erläutert Heinrich. Hier könnten die zurückgewonnenen Wirkstoffe chemisch verändert und praktisch als Forschungswerkzeuge eingesetzt werden. So dass dann mit ihrer Hilfe neue, verbesserte Antibiotika entwickelt werden könnten.

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