Fünf Windräder stehen in der Landschaft, im Hintergrund eine bewaldete Hochebene.
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Windkraftanlage stoßen bei Anwohnern oft auf Widerstand. Zudem befürworten Politiker die Wende, behindern sie aber mit paradoxen Gesetzen.

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Energiewende ja - aber bitte nicht vor meiner Tür!

Erneuerbare Energien halten fast 90 Prozent der Bundesbürger für wichtig. Doch Windräder etwa vor der eigenen Haustüre lehnen viele ab. Gewollte Projekte dagegen werden wegen unterschiedlicher Urteile und Beschlüsse jahrelang behindert.

Die Gemeinde Wülfershausen will gemeinsam mit der Nachbarortschaft Wargolshausen schon lange mehrere Windräder aufstellen. Zwei Windparks sollen es werden, für die insgesamt zehn Windräder haben die Bürger jetzt eigene Gesellschaften gegründet.

  • Zum Artikel: Kritik an der Windkraft: Wie umweltschädlich sind Windräder?

Gelder aus der Stromerzeugung fließen wieder zurück in die Gemeinde, und mit einem einheimischen Betreiber fühlen sich die Bürger wohler als einem unbekannten Investor trauen zu müssen. Das klingt nach Einvernehmen und einem positiven Beispiel einer Kommune, die sich für die Energiewende und erneuerbare Energien einsetzt. Doch bevor das Realität werden kann, müssen acht nagelneue Windrad-Fundamente abgerissen werden.

Windrad-Drama in mehreren Akten – die 10H-Regelung

Die Geschichte der geplanten Windkraftanlagen in Unterfranken beginnt 2010. Im Herbst 2014 bekommt Wülfershausen die Genehmigung, kurz vor dem Beschluss und der Einführung der sogenannten 10H-Regelung. Diese schreibt den 10-fachen Abstand der Windrad-Höhe zum nächsten Wohnhaus vor.

Die Bayerischen Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer wollte damit wohl die Windkraftgegner besänftigen. Die Bestimmung in der Bayerischen Landesbauordnung tritt aber erst Mitte November 2014 in Kraft. Trotz Proteste und Popularklagen gilt die Regelung bis heute - bundesweit einzigartig. Seit 2017 ist der Windkraftausbau in Bayern deshalb nahezu zum Erliegen gekommen.

  • Zum Artikel: Windpark Wülfershausen-Wargolshausen kommt – aber abgespeckt.

Die Klagen, Urteile und ihre Folgen

Mehr als 1.200 Bürger stellten sich damals gegen das deutlich größer dimensionierte Windpark-Vorhaben in Wülfershausen/Wargolshausen, gründeten Bürgerinitiativen, und klagten sich durch sämtliche Instanzen. Viel Zeit vergeht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gibt dem Bau am Rande der Rhön 2016 dennoch grünes Licht.

Wegen des technischen Fortschritts galten die damals genehmigten Windräder als veraltet, zu wartungsintensiv und weniger effizient, als die eines anderen Herstellers. Das Gericht gestattet in diesem Zug auch einen Änderungsantrag für den Bau eines anderen Windradtyps. Kurz: es dürfen mit diesem Beschluss kleinere, leisere und effizientere Windräder aufgestellt werden. Der Bau beginnt. Im Herbst 2018 wurden Fundamente für die Windräder gegossen.

"Kasperletheater" im Bayerischen Landtag

Wieder klagten Windkraftgegner, diesmal gegen den Freistaat Bayern. Der hätte die Neuerungen aus deren Sicht gar nicht erlauben dürfen. Die Folge: ein Baustopp, die neuen Fundamente und Windradteile stehen seitdem nutzlos herum. Dann im Sommer 2020 der Paukenschlag aus dem Landtag: mit der CSU-Mehrheit ergeht der Beschluss, die Gemeinden dürfen den Windpark bauen, aber nur mit den Windrädern, die 2014 zugelassen wurden, also den weniger effizienten.

"Das ist Kasperlestheater sonders gleichen, ich weiß auch nicht was im Bayerischen Landtag in den Köpfen der Abgeordneten vorgegangen ist, um diesem Projekt einfach den Garaus zu machen". Wolfgang Seifert 1. Bürgermeister

Weil es für die bereits gegossenen, aber nahezu baugleichen Fundamente nun keine Baugenehmigung mehr gibt, müssen diese jetzt abgerissen und neue gegossen werden. Für den ersten Bürgermeister der Gemeinde Wülfershausen unverständlich. Er habe noch nie so konträre Aussagen im Rahmen eines Bauprojekts gehört, und einen solchen Nonsens erleben müssen. Viel Zeit und Geld habe dieses jahrelange Hin und Her gekostet. Die jetzt schon aufgelaufenen sechs Millionen Euro müsse dann der Stromkunde bezahlen, wenn die Windparks ans Netz gingen, so Seifert im BR-Interview.

Repowering – wenn Windräder in die Jahre kommen

Im oberfränkischen Lautertal sollen drei Windräder durch neue ersetzt werden. Nach knapp 20 Jahren Laufzeit und nur jeweils einem Megawatt Stromausbeute pro Jahr gelten sie als unrentabel. Dafür sind sie inklusive Rotorblatt-Spitze nur 99 Meter hoch – das ist in Windraddimensionen klein.

Diese sollen nun ausgetauscht werden gegen neue, leistungsfähigere und 250 Meter hohe Windräder. Bei 2,5 facher Windrad-Höhe und sechs mal größerer Stromerzeugung überlegt die Gemeinde nun das "Repowering" also den Austausch.

Windräder ja – aber nicht so hoch

Es herrscht Unmut in der Gemeinde mit über 4.400 Einwohnern. Zwei der sechs Ortsteile sehen das Repowering kritisch, die Bürger hätten sich zwar an den Anblick der bestehenden Windanlagen gewöhnt, so Udo Oppel, Sprecher des Ortsteiles Rottenbach im BR-Interview.

Doch in dieser Dimension seien in der ganzen Region noch keine einzige Windanlage bislang aufgestellt worden. Es fehlten die Erfahrungswerte bezüglich Schlagschatten, Lärm und der Auswirkungen auf die Natur. Dies müsse genau geprüft werden.

"Dann kann man da natürlich im Rahmen des Verfahrens mehr mitbestimmen, was die Anzahl angeht, die Höhe der Windräder und des Abstandes". Karl Kolb, 1. Bürgermeister Lautertal

10H-Regelung erlaubt Mitbestimmung

Die Planungen der Gemeinde im Landkreis Coburg sind noch am Anfang. Beim Austausch von Windrädern auch höheren, kann es bei der 10H-Regel eine Ausnahme geben. Das sieht die 2014 erlassene Bestimmung in Bayern vor. Dafür muss die Kommune im Rahmen einer Bauleitplanung sorgen. Das heißt: sie muss von der Bürgerbefragung bis hin zur Standortwahl das Heft in die Hand nehmen.

Das sei zwar mehr Aufwand, erklärt der erste Bürgermeister Lautertals Karl Kolb im BR-Interview, dafür könne die Gemeinde aber mitbestimmen. Vor allem, wenn es um eine Standortwahl der neuen Windräder, um deren Anzahl oder auch um die Höhe gehe. Darin bestehe jetzt noch eine Chance für die Bürger, so Kolb, sollte sich die Gesetzeslage ändern, würden die Gemeinden bei möglichen Planungen künftig nur noch im Rahmen des Bundesimmissionsschutzgesetzes angehört werden. Entscheidungen träfen dann andere, so Kolb.

  • Zum Artikel: Rechenfehler: Infraschall von Windrädern schwächer als behauptet

Kommt 10H zu Fall?

Derzeit sieht es nicht nach einer Abschaffung der 10H-Regelung in Bayern aus. Allerdings wird dies auch in den beiden Gemeinden Unter- und Oberfrankens unter dem Eindruck der Flutkatastrophen nach Starkregenereignissen in Berchtesgaden, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz neu bewertet. Die beiden Bürgermeister Seifert und Kolb glauben nicht mehr an eine lange Haltbarkeit.

Wolfgang Seifert, der Bürgermeister in Wülfershausen äußerte sich im BR-Interview deutlich. Der Ministerpräsident können nicht einerseits Bäume umarmen und andererseits in Bayern weiter die Energiewende ausbremsen. Seine Gemeinde wolle eine Beitrag dazu leisten, die Welt besser zu verlassen als die jüngere Generation sie vorgefunden habe. Karl Kolb, Lautertals Bürgermeister, verweist ebenfalls auf die sich häufenden Naturkatastrophen und fordert im BR-Interview mehr Aufgeschlossenheit für erneuerbare Energien.

Vielleicht gäbe es mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen und einem neuen Bayerischen Klimaschutzgesetz ohne die 10H-Regelung künftig weniger Streitereien und dafür mehr Glaubwürdigkeit der Bevölkerung für die aktuelle Energiepolitik, so die beiden Kommunalpolitiker aus Franken.

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