Offiziell gilt das inzwischen zwölf Jahre alte Mädchen als vermisst: Mitte Oktober war es nach dem Joggen nicht zu seinen Pflegeeltern zurückgekommen. Bald allerdings meldete sich die Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme: Dem Kind gehe es gut, es sei bei seinen Eltern. Inzwischen haben sie beim Amtsgericht Dillingen das Sorgerecht beantragt und dafür als Wohnsitz eine Niederlassung der Zwölf Stämme in Tschechien angegeben. Der Anhörungstermin dafür war am gestrigen Donnerstag - die Hauptpersonen aber fehlten.
Anhörung ohne Eltern und Kind
Gekommen waren allerdings alle anderen Beteiligten: Die Pflegeeltern, bei denen das Mädchen acht Jahre lang gelebt hat, der Anwalt der leiblichen Eltern, Michael Kremnitz, und Vertreter des Jugendamts. Über drei Stunden lang wurde gesprochen. Die zentrale Frage: Was ist das Beste für das Kind? Das hätte der Richter die Zwölfjährige gerne persönlich gefragt. Ihr Anwalt hatte vorab beantragt, die Befragung per Videoschalte durchzuführen - das lehnte der Richter ab. Seine Sorge: Das Mädchen könnte beeinflusst werden.
Pflegeeltern: Wille des Kindes respektieren
Anwalt Michael Kremnitz kritisierte gegenüber dem BR, dass das Jugendamt auf die Rückführung des Kindes bestehe. So sieht es das deutsche Recht allerdings vor: Das Sorgerecht liegt derzeit bei den Pflegeeltern. Die Polizei geht davon aus, dass die Eltern das Mädchen Mitte September abgepasst und mitgenommen haben. Auch wenn sie freiwillig mitgegangen und es ihr eigener Wille war, hätten die Eltern nicht das Recht gehabt, ihre Tochter mitzunehmen. Dass die Vermisste bei ihren Eltern ist, gilt als sehr wahrscheinlich: Angehörige der Zwölf Stämme hatten das bereits kurz nach dem Verschwinden des Mädchens dem Pflegevater mitgeteilt, außerdem haben die Eltern im Zuge ihres Antrags auf Erteilung des Sorgerechts einen Wohnsitz in Tschechien angegeben.
Dilemma: Laufende Ermittlungen
Seit dem Verschwinden des Mädchens ermittelt die Polizei gegen die Eltern wegen des Verdachts der Kindesentziehung. Die Fahndung läuft, europaweit. Niederlassungen der Zwölf Stämme in Tschechien wurden laut Polizei bereits durchsucht - erfolglos. Allerdings waren schon mehrfach weggelaufene Kinder der Zwölf Stämme von Beamten gesucht worden, teilweise schon zu der Zeit, als die Glaubensgemeinschaft noch in Klosterzimmern bei Nördlingen wohnte. Auch da verliefen die Suchen mehrfach erfolglos.
Den Eltern drohte die Festnahme
Die Polizei hatte sich offenbar erhofft, die Eltern bei dem Gerichtstermin greifen zu können: Mehrere Streifen waren unterwegs, ein Polizeibus um die Ecke postiert. Doch: Sie sind ja nicht gekommen. Aus ihrer Sicht - verständlich. Sie mussten damit rechnen, zumindest vorübergehend festgenommen zu werden, ihr Kind wäre zumindest vorerst wieder in Obhut genommen worden.
Entscheidung dauert noch
Um zu erfahren, was das Mädchen wirklich will und wo es leben will, wäre es dennoch am besten, sie persönlich anhören zu wollen. Nachdem dies gestern nicht möglich war, will der Familienrichter jetzt alle Aussagen erst einmal auswerten. Möglicherweise werde er noch Stellungnahmen der Beteiligten anfordern, es werde einige Wochen dauern, bis er zu einer Entscheidung komme, so Richter Albert Stadelmayr.
Anwalt: Mädchen wird zur Gejagten
Der Anwalt der Eltern kritisiert unterdessen, dass inzwischen das Mädchen zur Gejagten geworden sei. Man solle sich mehr auf das Wohl des Kindes konzentrieren. Weil das jedoch nach Ansicht der Behörden gefährdet war, kam es 2015 zum Sorgerechtentzug für zahlreiche Zwölf Stämme Eltern: Damals war bekannt geworden, dass Erziehungsmethoden wie das Züchtigen mit der Rute zu den Erziehungsmethoden der Zwölf Stämme gehöre. Deshalb wurden etwa 40 minderjährige Kinder in Obhut genommen.
Die meisten sind inzwischen zurück - weil sie volljährig wurden, oder weil sie die Richter davon überzeugt hatten, dass sie dies so wollten. Auch der Bruder des jetzt vermissten Mädchens ist bei seinen Eltern: 2016 war er aus dem Heim abgehauen, ein anonymer Anrufer teilte dem Jugendamt mit, das Kind sei bei seinen Eltern. Damals konnte er das Gericht überzeugen - er durfte bleiben. Die leiblichen Eltern seien eben nicht zu ersetzen - so sieht das auch der Pflegevater, bei dem das Mädchen acht Jahre lang gelebt hatte.
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