Am Dillinger Amtsgericht soll wegen des Sorgerechts für ein Mädchen der Zwölf Stämme verhandelt werden.
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Am Dillinger Amtsgericht soll wegen des Sorgerechts für ein Mädchen der Zwölf Stämme verhandelt werden.

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"Zwölf Stämme"-Mädchen: Bekommen Eltern Sorgerecht zurück?

Seit Mitte Oktober ist ein Mädchen aus Eppisburg verschwunden. Dort lebte es bei einer Pflegefamilie. Viel spricht dafür, dass es bei den leiblichen Eltern ist. Die gehören den "Zwölf Stämmen" an. Sie wollen jetzt das Sorgerecht wieder haben.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Das Dillinger Amtsgericht verhandelt heute wegen des Sorgerechts für ein Mädchen der Zwölf Stämme. Erschienen sind die Eltern mit ihrer Tochter dort nicht. Die Verhandlung fand trotzdem statt, ausgesagt hatten unter anderem die Pflegeeltern des Mädchens und Mitarbeiter des Jugendamtes. Das sagte der zuständige Amtsgerichtsdirektor Johann Popp dem BR. Neben dem Streit um das Sorgerecht beschäftigt der Fall auch die Staatsanwaltschaft: Sie ermittelt gegen die Eltern wegen des Verdachts der Kindesentziehung.

Europaweite Fahndung läuft noch

Im Schriftverkehr mit dem Amtsgericht hatten die Eltern eine der Niederlassungen der Zwölf Stämme in Tschechien als Adresse angegeben. Auch wenn die tschechische Polizei sie dort bisher nicht angetroffen hat, geht die Polizei davon aus, dass das Mädchen dort bei seinen leiblichen Eltern ist. Nach ihnen und ihrer Tochter wird seit Mitte Oktober europaweit gefahndet. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt außerdem gegen die Eltern wegen des Verdachts der Kindesentziehung.

Deshalb haben die Eltern über ihren Anwalt neben dem Antrag auf die Erteilung des Sorgerechts auch einen Antrag auf "sicheres Geleit" bei der Staatsanwaltschaft Augsburg gestellt. Ob dem stattgegeben wurde oder ob dieser Antrag überhaupt schon behandelt wurde, dazu gibt es keine Auskunft vom zuständigen Pressesprecher der Staatsanwaltschaft.

Familienrichter will Kind persönlich befragen

Der Familienrichter am Amtsgericht Dillingen besteht auf jeden Fall darauf, das Kind persönlich anzuhören. Der Anwalt der Eltern hatte unterdessen vorgeschlagen, die Anhörung per Videoschalte durchzuführen. Die Familie lebe in Tschechien, so hätte man ihr die Anfahrt ersparen können.

Der zuständige Richter fürchtet jedoch, dass die inzwischen Zwölfjährige dabei von den Eltern oder anderen beeinflusst werden könnte. Er wolle sehen, wie das Kind reagiere und von ihm selber hören, ob es lieber bei seinen leiblichen Eltern oder seinen Pflegeeltern leben will.

Zwei Verfahren: Familienrecht und Strafrecht

Dabei ist dieses familiengerichtliche Verfahren zu trennen von den strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Eltern. Vor dem Familiengericht geht es darum, ob die Eltern das Sorgerecht zurückbekommen. Also vor allem darum, ob in diesem Fall das Kindeswohl in Gefahr wäre und ob das Kind auch wirklich zu seinen leiblichen Eltern will.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts der Kindesentziehung

Die Staatsanwaltschaft ermittelt unterdessen wegen des Verdachts der Kindesentziehung gegen die Eltern: Laut Polizei besteht der Verdacht, dass sie ihre Tochter am Nachmittag des 16. Oktobers abgepasst und einfach mitgenommen haben, obwohl sie dazu kein Recht hatten. Wie vielen anderen Eltern, die der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme angehören, wurde ihnen das Sorgerecht entzogen.

Ein Grund dafür ist, dass es zu den Erziehungsmethoden der Zwölf Stämme gehört, Kinder mit Ruten zu schlagen. Deshalb war das Kind seit seinem dritten Lebensjahr bei der Pflegefamilie im Holzheimer Ortsteil Eppisburg untergebracht. Der Pflegevater hatte das Mädchen auch als vermisst gemeldet, als es Mitte Oktober nach dem Joggen nicht zur Pflegefamilie zurückkam.

Mädchen ist wahrscheinlich in Tschechien

Nach einer großangelegten, erfolglosen Suchaktion meldeten sich Angehörige der Zwölf Stämme im Namen des Vaters, das Kind sei bei seinen Eltern, ihm gehe es gut. Man geht davon aus, dass die Familie in Tschechien bei einer Niederlassung der Zwölf Stämme lebt.

Kind bei Pflegefamilie nie ganz angekommen

Acht Jahre lang hatte das Kind bei der Pflegefamilie in Eppisburg gelebt. Dort war es jedoch wohl nie ganz angekommen. Die leiblichen Eltern durften das Mädchen alle acht Wochen unter der Aufsicht von Mitarbeitern des Kinderschutzbundes besuchen. Die Trennung von den leiblichen Eltern sei dem Kind immer sehr schwer gefallen, so der Pflegevater.

Er hatte schon den Eindruck, dass sich das Kind in den acht Jahren bei ihnen wohlgefühlt habe. Seine leiblichen Eltern habe sie aber dennoch sehr vermisst. Allerdings hatten die Besuche der Eltern mit ihrer Lebenswirklichkeit bei den Zwölf Stämmen natürlich wenig zu tun.

Bruder des Mädchens durfte zu Eltern zurück

Einige Kinder, die nach einer Razzia bei den Zwölf Stämmen im September 2013 zu Pflegeeltern oder in Heime kamen, sind inzwischen wieder bei ihren Eltern. Darunter auch der Bruder des vermissten Mädchens aus Eppisburg. Er war mit knapp zwölf Jahren im Jahr 2016 aus dem Heim ausgerissen.

Wenig später ging ein anonymer Anruf beim zuständigen Donau-Rieser Jugendamt ein, der Junge sei bei seinen Eltern. Letztendlich konnte er die Behörden dann auch überzeugen, dass es sein freier Wille sei, dort zu leben. Er durfte bleiben.

Der Gerichtstermin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

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