Mitglieder der Zwölf Stämme bei einer Demonstration (Archivbild von 2004)
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Mitglieder der Zwölf Stämme bei einer Demonstration (Archivbild von 2004)

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Elfjährige bei Zwölf Stämmen: Die Aussicht auf eine "heile Welt"

Ist die vermisste Elfjährige freiwillig mit ihren Eltern zur Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme verschwunden? Ihre Betreuerin hält das für möglich – auch weil dem Mädchen wohl eine "heile Welt" versprochen wurde. Die Polizei hält sich derzeit bedeckt.

Von dem am Wochenende in Schwaben verschwundenen elfjährigen Mädchen aus einer Pflegefamilie fehlt weiterhin jede Spur. Ihre Betreuerin hält es für plausibel, dass sie freiwillig mit ihren leiblichen Eltern mitgegangen ist. Zu denen hatte sie offenbar ein gutes Verhältnis und möglicherweise falsche Vorstellungen vom Leben bei der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme.

"Je älter sie wurde, desto bewusster wurde ihr das Spannungsfeld", sagt Gunde Hartmann vom Kinderschutzbund Dillingen. Sie war als Betreuerin dabei, wenn die leiblichen Eltern das Mädchen besuchten. Alle sechs Wochen kamen diese aus Tschechien nach Dillingen, um ihre Tochter zu sehen.

Treffen zwischen Eltern und Tochter nach klaren Regeln

Im Rahmen des sogenannten "begleiteten Umgangs" hatten die Eltern darauf einen gesetzlichen Anspruch, obwohl ihnen das Sorgerecht entzogen worden war. Allerdings gab es klare Regeln: Die Treffen fanden in den Räumlichkeiten des Kinderschutzbundes in Dillingen statt und Gunde Hartmann war als Betreuerin dabei.

Anfangs fiel dem Mädchen die Trennung von den Eltern schwer

Anfangs seien vor allem die Trennungen nach den Treffen furchtbar gewesen, erzählt Hartmann im Gespräch mit dem BR. Mit knapp drei Jahren war die heute Elfjährige in eine Pflegefamilie gekommen. Zu Beginn habe das Kind immer furchtbar geweint, wenn ihre Eltern wieder gehen mussten. Auch den Eltern sei die Trennung immer schwer gefallen, berichtet ihr Pflegevater. Später sei das Spannungsfeld zwischen Pflegefamilie und leiblichen Eltern für das Kind immer größer geworden, so Hartmann. Sie habe das daraufhin dem Jugendamt gemeldet – in den letzten zwei Jahren hätten die Eltern sie dann nur noch alle sechs Wochen besuchen dürfen.

Betreuerin: Elfjährige liebte ihre Eltern

Dass das Mädchen ihre Eltern liebe, sei keine Frage, so die Betreuerin. Sie merke das auch in vielen anderen Begegnungen: Auch wenn Kinder geschlagen würden, wollten sie trotzdem zu ihren Eltern, so Hartmann. Mit elf, zwölf Jahren gebe es außerdem zuhause oft mal Konflikte. Vielleicht war es also auch ein Zeitpunkt, an dem das Mädchen leichter zu überzeugen war, mit den leiblichen Eltern mitzugehen, vermutet Hartmann.

Eltern zeigten Videos vom vermeintlich glücklichen Landleben

Gunde Hartmann befürchtet allerdings, dass der Elfjährigen nicht klar war, was sie erwartet – und dass es nur schwer ein Zurück aus der Gemeinschaft der Zwölf Stämme gibt, der die Eltern angehören. Daran seien auch die leiblichen Eltern schuld, denn diese hätten dem Mädchen die Idee einer "heilen Welt" in der Familie vermittelt. Die Eltern hätten ihr immer Filme mitgebracht, mit Bildern von ihrem Leben auf dem Land, mit Tieren, singenden Menschen, fröhlich spielenden Kindern auf dem Feld. Das Mädchen habe so eine Idee vom Leben bei den Zwölf Stämmen bekommen, die wohl mit der Realität nichts zu tun habe.

Konflikt zwischen Eltern und Kind könnte groß werden

Zum Abschied hätten sie ihr sinngemäß immer wieder gesagt: Sie müsse durchhalten, alles werde gut. Gott werde alles lenken, weil Gott wolle, dass alles gut werde. In der gemeinsamen Zeit sei es den Eltern immer darum gegangen, dass sich das Mädchen wohlfühle. Das sei ihnen wohl auch gelungen. Gunde Hartmann fürchtet aber, dass in einigen Wochen oder Monaten der Konflikt sehr groß werden wird – dann nämlich, wenn die Elfjährige mit dem realen Leben bei den Zwölf Stämmen in Kontakt kommt.

Bruder wollte nie im Heim bleiben

Auch ihre Pflegeltern, bei denen sie jetzt acht Jahre lang gelebt hat, habe die Elfjährige sehr gern gemocht, davon ist Hartmann überzeugt. Bei ihrem Bruder, der vor fünf Jahren ebenfalls verschwunden war und seitdem bei den Eltern lebe, sei das anders gewesen. Er war im Heim untergebracht, ihm habe es dort nie gefallen. Er habe immer gesagt, dass er zu den Eltern zurück wolle. Mit zwölf Jahren sei er verschwunden und dann bei den leiblichen Eltern wieder aufgetaucht. Er konnte die Behörden davon überzeugen, dass er bei Vater und Mutter bleiben wolle, so dass das auch genehmigt wurde.

Den Eltern war das Sorgerecht entzogen worden, weil sie der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme angehören. Zu den dort üblichen Erziehungsmethoden gehört es, Kinder mit Ruten zu schlagen. Aussteiger berichten, dass es kein Spielzeug gab, dass sie als Kinder hart arbeiten mussten und vom Leben außerhalb der Gemeinschaft ferngehalten wurden. Weil sie in Deutschland nicht nach ihren Vorstellungen leben dürfen, sind Mitglieder der Zwölf Stämme im Jahr 2017 von Klosterzimmern im Landkreis Donau-Ries nach Tschechien übergesiedelt.

Noch immer fehlt jede Spur

Von der Elfjährigen fehlt noch immer jede Spur. Laut Polizei gingen einige Hinweise ein, denen man nachgehe. Auf Grund zweier Mails, die aller Wahrscheinlichkeit nach vom Vater des Mädchens sowie von der Glaubensgemeinschaft stammen, geht die Polizei davon aus, dass das Mädchen bei den Eltern ist. Ob ihr Ziel aber die Niederlassung in Tschechien in der Nähe von Prag ist, wo die Familie seit Längerem lebte, oder ein anderer Sitz der Zwölf Stämme in Europa, etwa in Spanien, das ist nicht bekannt.

Skalna/Tschechien: Hier sollen die Zwölf Stämme wohnen
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