Menschenmasse auf dem Oktoberfest 2016
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So voll könnte es in diesem Jahr auf dem Oktoberfest wieder werden.

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Corona auf dem Oktoberfest: Die wichtigsten Infos

Das Oktoberfest findet nach zwei Absagen wieder statt – ohne Corona-Maßnahmen. Hingehen oder nicht? Sind Sie noch unsicher? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Fragen, Daten und Einschätzungen von Experten.

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Das Oktoberfest auf der Theresienwiese in München findet erstmals seit 2019 wieder statt. Corona-Maßnahmen wird es auf dem größten Volksfest weltweit nicht geben. Also einfach rein ins Zelt, lieber an der frischen Luft aufs Kettenkarussell oder doch daheim bleiben? Hier finden Sie Daten, Fakten und Experteneinschätzungen für Ihren Wiesnaufenthalt.

Werden sich auf der Wiesn Menschen in Massen mit Corona anstecken?

Weitgehend geschlossene Räume, viele Menschen auf engem Raum, Gesang und Bier: Aus der Sicht von Fachleuten gibt es keinen Zweifel, dass ein großes Fest wie die Wiesn die Gefahr erhöht, sich mit Corona anzustecken. Virologe Oliver Keppler sagte Mitte August im Interview mit BR24: "Auf einer Skala von 1 bis 10 liegt die Wahrscheinlichkeit einer SARS-CoV-2-Exposition nach mehreren Stunden im Zelt nach meiner Einschätzung bei 9 bis 10."

Die Erfahrungen aus dem vergangenen Sommer bestätigen diese Einschätzung. An vielen Orten in Bayern kam es im zeitlichen Zusammenhang mit großen Volksfesten zu sehr starken Anstiegen der Neuinfektionszahlen – etwa in Erlangen nach der Bergkirchweih und in Straubing nach dem Gäubodenvolksfest. Die folgende Grafik zeigt dies eindrücklich:

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Die Corona-Daten des RKI haben nach wie vor viele Schwachstellen – so kann aus ihnen nur ein zeitlicher, kein gesicherter kausaler Zusammenhang zwischen Volksfesten und Infektionsgeschehen hergestellt werden. Allerdings ist laut der Einschätzung vieler Experten dieser Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen.

Laut Christoph Spinner, dem Pandemiebeauftragten am Klinikum rechts der Isar, gibt es mittlerweile erste Untersuchungen, die dies auch bestätigen. Mit Blick aufs Oktoberfest sagte der Infektiologe: "Sehr wahrscheinlich wird es zu einem mindestens zwei bis dreifachen Anstieg der Infektionszahlen im Raum München kommen."

Welche persönlichen Risiken birgt eine Infektion in der aktuellen Situation?

Es gibt von Fachleuten unterschiedliche Einschätzungen dazu, wie gefährlich eine Corona-Infektion in der aktuellen Pandemiephase für den Einzelnen ist.

Virologe Oliver Keppler hält es für wichtig, dass im Bezug auf Corona eigenverantwortliche Entscheidungen getroffen werden. Allerdings brauche es für verantwortliches Handeln eben auch fundiertes Wissen für eine realistische Einschätzung. "Es ist für viele jedoch schwierig, ihr Risiko für schwere Covid-19-Verläufe oder auch Spätfolgen abzuschätzen", sagte Keppler im Gespräch mit BR24. "Alter, Vorerkrankungen, Übergewicht, Herzkreislauferkrankungen, Impf- und Infektionsvorgeschichte spielen hier unter anderem eine Rolle – das ist komplex in der Gewichtung."

Langzeitfolgen einer Corona-Infektion sind noch nicht weitgehend erforscht, immer wieder bringen Studien neue Erkenntnisse. Die WHO etwa veröffentlichte in dieser Woche eine wissenschaftliche Schätzung: Rund 17 Millionen Europäer haben in den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie unter Long-Covid-Symptomen gelitten. Laut Oliver Keppler sind längerfristige gesundheitliche Einschränkungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit bei Post-Covid-Patienten aller Altersgruppen zu beobachten. Das Krankheitsbild sei komplex und es werde noch Jahre brauchen, bis man es genauer einordnen und therapieren könne. "Die Risiken und die Belastung der Gesamtbevölkerung durch Covid-19 mit der 'Wiesn-Grippe' zu vergleichen ist eine unangemessene Verharmlosung", so der Virologe. "Wir haben weiterhin eine hochaktive Pandemie."

Infektiologe Christoph Spinner dagegen sieht Corona bereits in die endemische Phase eintreten und plädiert dafür, das Virus künftig wie jede Atemwegserkrankung zu behandeln. Dafür spreche etwa, dass es durch Impfungen und viele Infektionen nun eine stabile Immunität in der erwachsenen Bevölkerung gebe. "Es scheint fast denkbar, dass mehr als zwei Drittel aller Deutschen inzwischen Kontakt mit dem Virus hatten." Auch die Behandlung sei durch neue Medikamente besser geworden und die Sterblichkeit im Vergleich zu den ersten Wellen deutlich niedriger.

Wird es wegen der vielen Corona-Fälle zur Überlastung der Münchner Kliniken kommen?

Mehr Neuinfektionen haben in den bisherigen Corona-Wellen auch immer mehr Corona-Patienten in Krankenhäusern und auf Intensivstationen bedeutet. Die folgenden Grafiken zeigen das:

Allerdings sind hier die Erfahrungswerte von anderen großen Volksfesten sehr divers. In Erlangen kam es nach der Bergkirchweih zu einer erhöhten Anzahl von Corona-Patienten – in den Kliniken um Straubing war nach dem Gäubodenvolksfest keine große Veränderung spürbar. In beiden Fällen waren die Krankenhäuser nicht aufgrund der Corona-Patienten überlastet. Allerdings gab es in Erlangen eine erhöhte Anzahl an Corona-Ausfällen unter den Ärzten und Pflegern.

Christoph Spinner sieht darin auch in München das größere Problem – für die Münchner Krankenhäuser, aber auch für andere öffentliche Einrichtungen einschließlich des Rettungsdienstes. Im Kontext des Oktoberfests erwarte man etwa 20 bis 30 Prozent mehr Notfallpatienten – dabei sei im Raum München ohnehin jedes dritte bis vierte Krankenhausbett aufgrund Pflegepersonalmangels nicht mehr betreibbar. In diesem System, welches ohnehin schon auf Überlast laufe, mache sich jeder weitere ausgefallene Kopf bemerkbar.

Virologe Oliver Keppler sprach im Interview mit BR24 Mitte August von einer chronischen Belastung des Gesundheitssystems – abwiegelnde Verweise auf wenig aussagekräftige Inzidenzen oder eine niedrige Anzahl Corona-Intensiv-Patienten nannte er "im besten Fall naiv". Das Personal sei erschöpft. "Operationen werden jetzt schon in einigen Kliniken wieder abgesagt", sagte der Experte. "Das klingt für manche vielleicht abstrakt, aber wenn es einen selbst, Angehörige oder Freunde betrifft, versteht man die Brisanz."

Das Gesundheitsreferat der Stadt München sieht aktuell verschiedene Ursachen eines erhöhten Infektionsrisikos – neben dem Oktoberfest etwa auch das Ferienende mit vielen Reiserückkehrern und das beginnende Schul- und Kita-Jahr. Deshalb werde zusätzlich zu den Risikogruppen insbesondere auch dem medizinischen Personal eine erneute Boosterung mit einem neueren Impfstoff empfohlen, der die aktuell zirkulierenden Varianten besser abdeckt. Auf BR24-Anfrage schreibt eine Sprecherin, dass die Kliniken grundsätzlich für den Herbst auf eine neuerliche Zunahme von Hospitalisierungen durch Covid-19 vorbereitet seien. "Inwieweit das Oktoberfest, dessen Gäste vielfach ja von auswärts kommen, erhebliche Auswirkungen auf die Münchner Versorgungssituation haben wird, lässt sich aktuell nicht beurteilen."

Was können Wiesn-Besucher tun, um sich und andere zu schützen?

Experten und auch das Gesundheitsreferat der Stadt München sehen als wichtigste Maßnahme einen ausreichenden Impfschutz. "Für die Münchner*innen gilt es jetzt, ihren Impfstatus zu überprüfen und sich gegebenenfalls entsprechend der aktuellen STIKO-Empfehlung zeitnah boostern zu lassen", schreibt Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek.

Das gelte vor allem für Angehörige von Risikogruppen, etwa Menschen mit Vorerkrankungen, Ältere und deren Haushaltsangehörige. "Mit Blick aufs Oktoberfest sollte vor allem jeder über 60-Jährige noch mal eine Blick in den Impfpass werfen, ob die zweite Boosterung schon erfolgt ist", sagt Christoph Spinner. Diese schützte nachweislich insbesondere auch vor Covid-bedingter Hospitalisierung und Tod, böte also doch noch einen wesentlichen zusätzlichen Schutz.

Soll eine Infektion vermieden werden, empfiehlt das Gesundheitsreferat außerdem das eigenverantwortliche Tragen einer FFP2-Maske. Wer die überfüllten Zelte meidet und stattdessen den Außenbereich des Oktoberfests genießt und beim Anstehen Abstand hält, senkt sein Risiko weiter.

Zum Schutz der anderen Besucher rät das Gesundheitsreferat zu einem freiwilligen Test vorab. Außerdem sollten die Besucher nach der Wiesn ihren Gesundheitszustand für ca. zehn Tage beobachten und bei Symptomen engmaschig testen, damit eine Weiterverbreitung möglichst verhindert wird. Dies gilt insbesondere wieder für Menschen, die viel Kontakt mit Personen aus den unterschiedlichen Risikogruppen haben.

Warum findet das Oktoberfest ohne Corona-Maßnahmen statt?

Das aktuell gültige Infektionsschutzgesetz erlaubt keine behördlichen Auflagen auf kulturellen Veranstaltungen wie dem Oktoberfest – Zugangsbeschränkungen, verpflichtende Hygienekonzepte und Maskenpflicht sind nach derzeitiger Gesetzeslage also nicht möglich. Laut dem Gesundheitsreferat der Stadt München üben die Schausteller- und Gastronomiebetriebe das Hausrecht auf den ihnen überlassenen Flächen aus. Welche Hygienemaßnahmen ergriffen werden, liege also bei ihnen, sowie natürlich auch bei den Besuchern und Besucherinnen selbst.

Die neue Auflage des Infektionsschutzgesetzes, die am 1. Oktober in Kraft tritt, beinhaltet dagegen die Möglichkeit für die Bundesländer, wieder Maßnahmen anzuordnen – etwa eine Maskenpflicht in Innenräumen oder Zugangsbeschränkungen zu kulturellen Veranstaltungen wie dem Oktoberfest.

Laut Peter Inselkammer, Sprecher der Münchner Wiesnwirte, wird es in den Zelten keine Maßnahmen geben. Er begründete diese Entscheidung Anfang September folgendermaßen: "Weil wir keine Maßnahmen sehen, die grundlegend was bringen würden." Man werde alles so handhaben, wie man es den ganzen Sommer über in der Gastronomie getan habe. Schausteller-Sprecherin Yvonne Heckl berichtete, dass zumindest Mitarbeitende regelmäßig getestet würden und auf Wunsch Masken bekämen. Viele Kolleginnen und Kollegen hätten auch Hygienespender angeschafft, die sie nun auch auf der Theresienwiese aufstellen werden.

Sowohl Wiesnchef Clemens Baumgärtner als auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) pochen wenige Tage vor Beginn der Wiesn auf die Eigenverantwortung der Besucher. Baumgärtner sagte im BR24 Thema des Tages: "Wir haben eine klare Gesetzeslage, wir dürfen Volksfeste so feiern." Holetschek äußerte gegenüber dem "Straubinger Tagblatt" und der "Abendzeitung" die Meinung, dass "die Maske auf der Wiesn wenig Sinn mache".

Auch Infektiologe Christoph Spinner meint, dass Maßnahmen wie eine Zugangsbeschränkung auf dem Oktoberfest nicht durchführbar und auch nicht sinnvoll seien. "Insbesondere die Kontrolle, also die Exekution scheint kaum realisierbar, und der Effekt ist vollkommen unklar."

Somit liegt die Entscheidung, wie mit Corona auf dem Oktoberfest umgegangen wird, also tatsächlich bei jedem Besucher und jeder Besucherin selbst.