Menschenmenge auf der Bergkirchweih in Erlangen 2022
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Nach der Bergkirchweih in Erlangen stiegen die Fallzahlen in der Stadt und im Landkreis Erlangen-Höchstadt drastisch an.

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Wie die Corona-Zahlen nach der Erlanger Bergkirchweih hochgingen

In Erlangen sind die Corona-Fallzahlen nach einem Volksfest in die Höhe geschossen. Ein kausaler Zusammenhang liegt laut Experten nahe, kann aber nicht belegt werden. Das Klinikum ist nicht überlastet, hat aber mit hohem Krankenstand zu kämpfen.

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Seit Ende Mai steigt in nahezu allen bayerischen Städten und Landkreisen die Anzahl der Corona-Neuinfektionen wieder an. Laut Experten und Fachstellen ist das wenig überraschend: Es gibt keine Kontaktbeschränkungen oder vorgeschriebene Hygienemaßnahmen für Treffen und Veranstaltungen mehr.

Anstieg der Corona-Neuinfektionen in Erlangen besonders drastisch

In einigen Regionen nahmen die Fallzahlen nicht stetig zu, sondern gingen sprunghaft in die Höhe – oftmals im zeitlichen Zusammenhang mit einem lokalen Volksfest. Am deutlichsten war das in der Stadt Erlangen und dem benachbarten Landkreis Erlangen-Höchstadt zu beobachten.

In Erlangen fand von 2. bis 13. Juni die Bergkirchweih statt. Am zweiten Juni lag die 7-Tage-Inzidenz in Erlangen bei 169, in den darauffolgenden Wochen stieg sie auf über 1.500 (Nachmeldungen inbegriffen, Stand: 4. Juli 2022). Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung im Vergleich zu anderen Landkreisen und dem bayernweiten Durchschnitt:

Grafik: Corona-Inzidenzen nach Volksfesten

Hinweis zur Grafik: Dadurch, dass die bayerischen Gesundheitsämter an Wochenenden und Feiertagen keine Fallzahlen mehr ans RKI melden, kommt es zu größeren Verzerrungen auch in der 7-Tage-Inzidenz. Zudem geht das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) davon aus, dass die Dunkelziffer aktuell höher ist als zu früheren Zeitpunkten.

Nach Angaben des LGL spiegeln sich Ansteckungen im Rahmen von Großereignissen spätestens nach 14 Tagen in den Fallzahlen wider, wenn man Ansteckungsfähigkeit, Inkubationszeit und die Dauer bis zur Meldung der Fälle berücksichtigt. Der zeitliche Zusammenhang des drastischen Anstiegs mit der Bergkirchweih ist also gegeben.

Auch die Tatsache, dass die Fallzahlen aktuell wieder zurückgehen, spricht für ein einzelnes Ereignis als Ursache – ebenso wie die Verteilung der Neuinfektionen auf hauptsächlich mittlere Altersgruppen:

Grafik: Corona-Neuinfektionen in Erlangen nach Altersgruppen

Bernd Salzberger, Infektiologe am Universitätsklinikum in Regensburg, sagte im Gespräch mit dem BR24-#Faktenfuchs, dass es aus infektiologischer Sicht unbestreitbar sei, dass solche Feste die Verbreitung des Coronavirus begünstigten. "Ich glaube schon, dass das ein wenig wie Öl ins Feuer gießen ist", sagte der Fachmann. "Man muss da jetzt nicht unbedingt von Superspreading-Ereignissen sprechen, aber sicher von Spreading-Ereignissen."

Mehr Corona-Fälle: Vieles spricht für kausalen Zusammenhang mit der Bergkirchweih

Trotz aller Indizien: Dass die Bergkirchweih die Hauptursache für die Explosion der Corona-Fallzahlen in Erlangen und dem Landkreis Erlangen-Höchstadt war, kann schlussendlich nicht belegt werden.

Das zuständige Gesundheitsamt in Erlangen erklärt: "Dass es während der 'Bergzeit' zu mehr Corona-Infektionen gekommen ist, liegt nahe, auch wenn wir bei den einzelnen Infektionen nicht wissen, wo sie stattfanden. Schließlich haben sich die Menschen ja nicht nur draußen getroffen, sondern vor und nach dem Bergbesuch auch in Innenräumen. Dass die Infektionszahlen wieder steigen, erleben wir aber nicht nur in Erlangen, sondern überall. Und es gibt eine Vielzahl von Ursachen, die das erklären können: Der Wegfall der Maskenpflicht, der Wegfall von Auflagen für Zusammenkünfte oder auch die vermehrte Reisetätigkeit."

Warum ein kausaler Zusammenhang von Neuinfektionen mit einem bestimmten Volksfest so schwer zu belegen ist, warum die Datenlage zu den Infektionsumfeldern in Deutschland nach zwei Jahren Pandemie immer noch dürftig ist und wie man auf die neue Corona-Lage reagieren kann, lesen Sie hier im Detail:

Mehr Corona-Patienten, aber wenige schwere Verläufe

Was bedeuten solche massiven Anstiege der Neuinfektionen wie in Erlangen nun für Stadt oder Landkreis, aber auch für ganz Bayern? Entsprechend der Entwicklung, die bereits aus den vergangenen Corona-Wellen bekannt ist, steigt mit zeitlicher Verzögerung auch die Belastung der Krankenhäuser durch Corona-Patienten.

Die beiden Kenngrößen, die zur Beurteilung dieser Belastung in der Regel herangezogen werden, sind die 7-Tage-Inzidenz der Hospitalisierungen und die Anzahl der behandelten Corona-Intensivpatienten auf Bundeslandebene. Die folgende Grafik zeigt, dass die Anzahl hospitalisierter Corona-Fälle in Bayern bereits den Aufwärtstrend der Fallzahlen widerspiegelt:

Grafik: Hospitalisierte Corona-Fälle in Bayern

Hinweis zur Grafik: Die täglich gemeldete Hospitalisierungs-Inzidenz ist aufgrund mehrerer Faktoren (Meldeverzug, Berechnungsmethode, symptomlose Fälle) stark verzerrt – ein mit statistischen Methoden berechneter Schätzwert des RKI wird daher mit angegeben.

Falk Stirkat, Notfallmediziner aus Erlangen, hat in dieser Stadt eine solche Entwicklung erfahren. Im Gespräch mit der BR Frankenschau aktuell am 21. Juni berichtete er von einer vermehrten Anzahl an Corona-Patienten, die sich beim ärztlichen Bereitschaftsdienst meldeten: "Vor der Bergkirchweih hatten wir in einer Schicht vielleicht mal einen Corona-Patienten, vielleicht auch gar keinen – jetzt hatte ich am Wochenende in drei Schichten mehr als 60."

Allerdings scheint es sich bei den meisten aktuellen Fällen und Hospitalisierungen nicht um besonders schwere oder lebensbedrohliche Verläufe zu handeln – die Anzahl der Corona-Patienten auf bayerischen Intensivstationen steigt nur leicht an:

Grafik: Corona-Fälle auf Intensivstationen

Dass dies auch in Erlangen der Fall ist, bestätigt Christian Bogdan, Professor für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie am Uniklinikum Erlangen und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko). "Im Klinikum hat die Anzahl der Patienten, die genuin wegen Corona-Infektionen aufgenommen werden, die hohen Fallzahlen in keiner Weise abgebildet", sagt der Experte.

Aufgrund des universellen Aufnahme-Screenings würden immer wieder Menschen herausgepickt, die bei der Aufnahme positiv sind, obwohl sie wegen etwas ganz anderem gekommen seien. Die hohen Fallzahlen hätten in Erlangen jedenfalls zu keiner Überlastung mit hohen Patientenzahlen in den Normal- oder Intensivstationen geführt.

Krankenstand durch vermehrte Corona-Fälle ist das eigentliche Problem der Kliniken

Das eigentliche Problem für das Gesundheitssystem, so Professor Bogdan, liege an anderer Stelle: Die hohen Fallzahlen beträfen natürlich auch Mitarbeiter der Kliniken und Krankenhäuser. Wenn viele von ihnen dann nicht zur Arbeit gehen könnten, auch wenn die Infektion in den meisten Fällen mild verlaufe, dann habe das natürlich grundsätzlich eine negative Auswirkung.

Diese Auswirkungen habe man im Klinikum Erlangen im zeitlichen Zusammenhang mit der Bergkirchweih zu spüren bekommen: "Man kann die vermehrten Ausfälle natürlich mit der Kirchweih in kausalen Zusammenhang stellen", sagt Christian Bogdan. "Und natürlich hatten wir auch Fälle, wo die kranken Mitarbeiter angegeben haben, dass sie gemeinsam die Bergkirchweih besucht haben." Der hohe Krankenstand habe selbstredend gewisse Konsequenzen – etwa, dass diejenigen, die nicht erkrankt seien, einspringen und Ausfälle kompensieren müssten.

Volksfest ein Grund für Anstieg der Fallzahlen – aber nicht der einzige

Laut dem Infektionsimmunologen ist es unstrittig, dass während des Volksfestes die Zahl der Fälle weiter angestiegen ist und dass es insofern einen Zusammenhang gibt. Allerdings sei es ein grundsätzlicher Fehler anzunehmen, dass alle Fälle, die in der Zeitperiode aufgetreten sind, auf dieses eine Ereignis zurückzuführen seien. So habe es in der Beobachtungszeit auch noch genügend andere Veranstaltungen und Zusammenkünfte ohne Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen gegeben, wie zum Beispiel die Rückkehr von Urlaubsreisenden im Rahmen der Pfingstferien.

Aus Sicht von Bogdan gibt die aktuelle Situation derzeit auch keinen Anlass, wieder strenge Reglementierungen einzuführen. Wichtig seien jetzt vor allem zwei Dinge: zum einen, dass Menschen, für die eine SARS-CoV-2 Infektion ein größeres Risiko darstellt, geschützt werden und sich auch selbst schützen (etwa durch freiwilliges Maskentragen). Und dass sich möglichst viele Menschen – sofern noch nicht geschehen – gegen Covid-19 entsprechend den Stiko-Empfehlungen impfen bzw. boostern lassen: "Die Impfung bietet unverändert Schutz vor schweren und tödlich verlaufenden Covid-19-Erkrankungen", so der Professor für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie.

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