Die Ermittler bewahren eine Vielzahl von Asservaten auf, um sogenannte Cold Cases vielleicht doch noch aufklären zu können.
Bildrechte: Bayerisches Landeskriminalamt LKA

Dank der Fortschritte bei der DNA-Analyse können Ermittler mittlerweile teilweise auch Jahrzehnte zurück liegende Fälle aufklären.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Cold Cases: Wie neue DNA-Analysen auf die Spur von Tätern führen

Warum rollen Ermittler Cold Cases wieder auf? Ein Grund ist, dass sich die forensische DNA-Analyse rasant entwickelt hat und neue Erkenntnisse möglich macht. Im Mordfall einer bayerischen Studentin kam es so nach 45 Jahren zu einer Festnahme.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Mit zahlreichen Messerstichen im Rücken- und Nackenbereich: So wurde die Studentin Cornelia Hümpfer im April 1978 an einer Ortsverbindungsstraße bei Kolitzheim im Landkreis Schweinfurt leblos aufgefunden. 45 Jahre später kam es jetzt zu einer Festnahme im Mordfall der 18-Jährigen aus Dittelbrunn. Der Tatverdächtige sitzt in den USA in Auslieferungshaft. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt teilt am Dienstag (25. Juli) der dpa mit, dass die Auslieferung noch lange dauern kann. Der Tatverdächtige könne sich nämlich juristisch gegen den Schritt wehren. Bislang ist unklar, ob sich der mutmaßliche Mörder in den USA zu den Vorwürfen geäußert hat.

Festnahme 45 Jahre nach Mord an Studentin

Der inzwischen 69-jährige Tatverdächtige war damals ein in Schweinfurt stationierter US-Soldat. Schon unmittelbar nach dem Mord geriet er als möglicher Täter in den Fokus von Ermittlern. Er konnte aber nicht überführt werden, der Fall blieb 45 Jahre lang ungelöst – und wurde zu einem sogenannten Cold Case. Nun wurde der ehemalige Angehörige der US-Streitkräfte in den Vereinigten Staaten durch forensische DNA-Spuren festgenommen.

Festnahme durch forensische DNA-Analyse

Dass eine Festnahme nach so langer Zeit überhaupt möglich war, liegt auch daran, dass sich die forensische DNA-Analyse im Labor extrem entwickelt hat und neue Erkenntnisse möglich macht. Deshalb können sich Ermittler nun auch wieder Kriminalfälle vornehmen, die oft Jahrzehnte zurückliegen – wie den Mord an Cornelia Hümpfer.

Bandkollege des Opfers: "Der blanke Horror"

Für Johannes Neugebauer wurde das Verbrechen mit der Festnahme auf einen Schlag wieder lebendig. Er war mit dem Mordopfer befreundet, beide wirkten in der Band "Jericho" der evangelischen Dreieinigkeitsgemeinde in Schweinfurt mit. Und er hat die Umstände von damals bis heute nicht vergessen. "Es war der blanke Horror", erinnert er sich im Interview mit BR24.

Neugebauer ist seit mehr als 30 Jahren Pfarrer, arbeitete auch lange als Notfallseelsorger und wurde dadurch oft mit schwierigen Situationen konfrontiert. Nun verspürt er selbst, "dass ich nach so vielen Jahren noch immer traumatisiert bin und ständig Bilder und Sequenzen im Kopf habe, die mit Conny und der Tat zu tun haben."

Bildrechte: Privat
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Die damals 18-Jährige Cornelia Hümpfer aus Dittelbrunn wurde vor 45 Jahren im Landkreis Schweinfurt ermordet.

Gleiches Grundprinzip beim genetischen Fingerabdruck

Zur Festnahme des mittlerweile 69 Jahre alten Tatverdächtigen kam es in den USA, weil DNA-Spuren von ihm an tatrelevanten Kleidungsstücken des Mordopfers gefunden wurden. Dank Fortschritten, die die Molekularbiologie in den letzten 20 Jahren gemacht hat, und die sich nach Auskunft des LKA "auch in der Bearbeitung des genetischen Fingerabdruckes" niederschlagen.

Wobei das Prinzip grundsätzlich gleich blieb. Noch immer wird der genetische Fingerabdruck einer Person mit dem genetischen Fingerabdruck verglichen, der aus einer Spur am Tatort gewonnen wurde. Dann wird dieser Vergleich statistisch bewertet. Und weiterhin werden nach Auskunft des LKA nur Bereiche analysiert, die mit Ausnahme des Geschlechts keinen Aufschluss über das Äußere einer Person geben können.

Auch hat sich die fundamentale Analyse dieser Bereiche im menschlichen Genom nicht geändert. Datensätze, die etwa 2021 in die DNA-Analysedatei DAD des Bundeskriminalamtes eingestellt werden, können noch immer mit Daten von 1998 abgeglichen werden.

Großer Fortschritt: mehr und reinere DNA

Was sich aber nachhaltig verändert hat: Die Menge an DNA, die aus einzelnen und auch aus schwierigen Spuren gewonnen wird, wurde in den letzten Jahren "um ein Vielfaches" gesteigert. Zudem weist die DNA heute einen wesentlich höheren Reinheitsgrad auf. Substanzen in den Proben, die vor einigen Jahren die Qualität der Ergebnisse deutlich beeinträchtigten, werden aktuell immer seltener zum Problem, wie die Behörde auf Anfrage von BR24 mitteilte.

Neben der DNA-Menge ist auch die Anzahl der analysierten Genorte gestiegen. "Wurden 1998 gerade mal fünf verschiedene Genorte in einer Analyse untersucht, ist aktuell die Analyse von 16 verschiedenen Genorten in einem einzigen Ansatz Standard", so das LKA.

Damit ist die "statistische Aussagekraft der erzielten Ergebnisse heute um vieles höher" als in den 1990er-Jahren. Zudem seien in den letzten Jahren "enorme Fortschritte in den biostatistischen Methoden zur Bewertung komplexer Mischspuren" erzielt worden.

Mittlerweile internationaler Abgleich von Datensätzen

Der Bestand in der DNA-Datei des Bundeskriminalamtes ist aktuell auf rund 818.000 Personendatensätze und 399.000 Spurendatensätze angewachsen. Allein dort wurden vor 25 Jahren Personen- oder Spurendatensätze gegeneinander abgeglichen. Mittlerweile gibt es jedoch einen internationalen Abgleich von Datensätzen, an dem sich 25 europäische Staaten beteiligen. Dies führte auch zu einer Angleichung der Qualitätsstandards.

Neueste molekularbiologische Methoden sollen laut Auskunft des LKA bei Spuren unbekannter Herkunft weiterhelfen, um Spurenverursacher genauer zu charakterisieren. Dafür werden – neben der klassischen Verwendung des genetischen Fingerabdruckes für eine Zuordnung von Spur und Person – weitere Bereiche des Genoms "unter strikten gesetzlichen Vorgaben" untersucht.

DNA-Analyse: Augen, Haut und Haare

Sie sollen Aufschluss über das Aussehen, also Augen-, Haut- und Haarfarbe, und Alter einer Person geben. "Diese zusätzlichen Informationen werden nicht in der DNA-Analysedatei gespeichert", bekräftigt das LKA, "und diese Untersuchungen machen bisher nur einen sehr geringen Teil der forensischen DNA-Untersuchungen aus."

Die Behörde stellt klar, dass damit jedoch "keine absoluten Aussagen getroffen" werden können, sondern dass äußere Merkmale "nur mit gewissen Wahrscheinlichkeiten" vorherzusagen sind. Auch eine Vorhersage des Alters eines unbekannten Spurenverursachers sei "momentan bei den meisten Spuren noch nicht durchführbar."

LKA: Von genetischem Steckbrief "weit entfernt"

Für einen kurzen Zeitraum war es in Bayern ab 2018 auch erlaubt gewesen, die biogeografische Herkunft zu bestimmen. "Diese Bestimmung wird aktuell nicht mehr durchgeführt", stellt das LKA fest. Ermöglicht wurde dies durch eine Technologie namens "Next Generation Sequencing (NGS)" bzw. "Massive Parallel Sequencing (MPS)".

Sie unterscheidet sich laut Experten deutlich von herkömmlichen Verfahren zur Erstellung des klassischen genetischen Fingerabdruckes. Doch auch mit den Möglichkeiten, nun Augen-, Haut- und Haarfarbe sowie Alter festzustellen, sehen sich Ermittler von einem "genetischen Steckbrief", der seit Jahren als revolutionärer Fortschritt für die Kriminalistik diskutiert wird, "weit entfernt".

Für möglich hält das LKA künftig jedoch weitere Aussagen, etwa zu Haarbeschaffenheit oder Haaransatz. Daneben konzentrieren sich Ermittler zunehmend auf die Spurenart. So könne eine DNA-Spur einer Gewebeart Aufschluss über einen möglichen Tathergang geben.

Gefahr: Verjährung von Delikten

Die Beamten schließen nicht aus, dass der heutige Stand der Technik in der DNA-Analytik "schon in zehn Jahren überholt" sein könnte. Trotzdem sei es nötig, Cold Cases schon jetzt zu bearbeiten. Denn es bestehe die Gefahr, dass Fälle verjähren. Zudem sei es möglich, dass Tatbeteiligte sterben und eine erfolgreiche Aufklärung eines Falles deshalb ohne Konsequenzen bleibt.

Zwar überprüft das LKA ungeklärte Mord-, Tötungs- oder Sexualdelikte regelmäßig und untersucht sie mit "immer sensitiver werdenden DNA-Methoden", die oft Chancen für neue Ermittlungsansätze bieten. Trotzdem bleibe die Bearbeitung von Cold Cases sehr zeitintensiv.

Probleme dabei: Bei den meisten Asservaten aus Altfällen galten noch nicht die Standards, die heute helfen, DNA-Kontaminationen zu vermeiden. Oft seien Speichelproben von berechtigten oder tatverdächtigen Personen für einen Vergleich nicht mehr verfügbar. Zudem müsse ein neu gewonnenes DNA-Muster aus einem Altfall sehr sorgfältig darauf überprüft werden, ob es tatsächlich tatrelevant sei.

Ein Dutzend ungeklärter Fälle

Deshalb gibt es immer wieder Fälle, die auch trotz erneuter und intensiver Untersuchungen nicht aufgeklärt werden können. Aktuell lagern "ein gutes Dutzend Cold Cases" im LKA – jeweils mit einer Vielzahl von Asservaten, die stets akribisch nach minimalen Spuren abgesucht werden müssen.

Johannes Neugebauer würdigt die Arbeit der Polizei. "Ich kann nach so vielen Jahren keinen Hass mehr gegen den Täter entwickeln", sagt der Geistliche, "aber ich kann den Ermittlern meinen Respekt dafür zollen, dass sie so hartnäckig an dem Fall drangeblieben sind."

Im Video: 25 Jahre DNA-Datenbank der Kriminalpolizei

Seit 25 Jahren gibt es die Gen-Datenbank des Bundeskriminalamtes.
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk 2023
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Seit 25 Jahren gibt es die Gen-Datenbank des Bundeskriminalamtes.

Dieser Artikel ist erstmals am 23. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!