Chiemseeufer mit Felsen und Möven
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Der Chiemsee ist auch ein riesiger Sonnenenergie-Speicher

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Alternative Energiequelle: Heizen und Kühlen mit Seewasser

Ob Chiemsee oder Tegernsee - Seen sind riesige Energiespeicher. Die Energie könnte genutzt werden, um Heizwärme zu gewinnen und zugleich eine weitere Seen-Erwärmung verhindern. In Bayern gibt es jetzt erste Projekte.

Über dieses Thema berichtet: UNKRAUT am .

Um gut zwei Grad ist der Chiemsee in den letzten 40 Jahren wärmer geworden. Bei vielen bayerischen Seen ist im Zuge des Klimawandels eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Die Gemeinde Prien am Chiemsee will diese Wärme jetzt nutzen - und damit gleichzeitig etwas gegen die weitere Seen-Erwärmung tun.

Die Idee: Das Erlebnisbad in Prien soll in Zukunft mit sogenannter Seethermie geheizt werden. Auch am Tegernsee gibt es solche Pläne: Dort baut ein privater Investor in Bad Wiessee ein Hoteldorf, dass er mit Seewärme heizen und kühlen will. Doch während im Nachbarland Schweiz die Seethermie bereits etabliert ist, betritt man in Bayern damit quasi rechtliches Neuland.

Prien: Erlebnisbad mit Seethermie heizen?

Der Priener Bürgermeister Andreas Friedrich rechnet es vor: 4,5 Millionen Kilowattstunden im Jahr, so hoch ist der Energiebedarf des Schwimmbads bisher. Noch wird dafür Erdgas genutzt. Doch das soll sich ändern, zumindest teilweise. Wenn Gebäude und Becken die meiste Zeit des Jahres mit Seewasserwärme geheizt würden, würde das etwa 160 Tonnen CO2 im Jahr einsparen, sagt Friedrich.

Möglich wäre das und es wäre - Fördergelder und hohe Gaspreise einkalkuliert - auch wirtschaftlich rentabel. So lautet das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie. Der Gemeinderat hat sich dafür entschieden, bis ins Detail geplant und genehmigt ist allerdings noch nichts.

So könnte es funktionieren: Rohre mit etwa zwölf Zentimeter Durchmesser leiten mindestens vier bis acht Grad warmes Chiemseewasser Richtung Ufer. Etwa 50 Kubikmeter, also 50.000 Liter, pro Stunde. Dort gibt das Wasser über einen Wärmetauscher Wärme an einen zweiten Wasserkreislauf ab und fließt danach etwas kälter als vorher wieder zurück in den Chiemsee. Das Wasser des zweiten Kreislaufs läuft durch eine Wärmepumpe, die mit Solarstrom betrieben wird. Dort werden in einem physikalischen Prozess die gewünschten Heiztemperaturen erzeugt.

Heizen mit Seewasser: In Bayern noch keine Vorgaben

Eine eigentlich bekannte Technik, das gleiche Grundprinzip wie bei Geothermie oder einer Luft-Wärmepumpe. Nur angewendet hat es in Bayern, wie auch im restlichen Deutschland, bisher kaum einer. Auch, weil die Investitionskosten relativ hoch sind und das Erdgas im Vergleich dazu günstig war.

Die Folge: Den zuständigen Behörden fehlen schlicht noch Bewertungskriterien als Grundlage für Genehmigungen.

Voraussetzung für eine Genehmigung in Bayern: Das Ökosystem See darf nicht beeinträchtigt werden. Aber wie muss geplant und gebaut werden, damit das gewährleistet ist? Das Seewasser fließt etwas kälter als vorher in den See zurück, wenn damit geheizt wird - wie hoch dürfen die Temperaturunterschiede sein? Wie muss das Wasser strömen, damit etwa Fische nicht gefährdet werden? Und wie verkraftet der See die Verlegung der Rohre, die Bauarbeiten am Ufer?

Andreas Holderer vom Wasserwirtschaftsamt Rosenheim, in dessen Gebiet auch das Seethermie-Projekt am Tegernsee fällt, erklärt: "Es gibt momentan keine Vorgaben in Bayern, auch deutschlandweit gibt es noch keine Vorgaben."

Das Bayerische Landesamt für Umwelt arbeite daran. Vorerst aber, so Holderer, orientiere man sich an den erprobten Kriterien der Schweiz. Denn: "Ich glaube, wir müssen in der momentanen Klima- und CO2-Diskussion offen sein für neue Lösungen. Und das hier ist eine neue Lösung."

Seethermie in der Schweiz bereits etabliert

An fast allen großen Schweizer Seen gibt es entweder schon Seethermie-Anlagen oder sie sind in Planung. Und zwar nicht nur für einzelne Gebäude, sondern für ganze Stadtteile. Am Vierwaldstätter See etwa werden in einem Projekt fast 7.000 Haushalte mit Wärme und Kälte versorgt. Aber auch die Energieversorger am Genfersee, am Zürichsee, am Zugersee oder am Bodensee setzen auf Seethermie.

Die Schweiz hat dafür klare Vorgaben: Die Gewässer-Ökologie darf sich nicht verschlechtern. So darf das Wasser höchstens drei Grad kälter oder wärmer als vorher in den See zurückfließen, in Forellenregionen 1,5 Grad - die einzelnen Kantone haben zum Teil noch strengere Vorschriften. Wichtig auch: Das Wasser muss sich schnell wieder im restlichen See verteilen. Und es soll nicht in eine andere Seeschicht zurück, als es entnommen wurde.

Warum, erklärt der Schweizer Wasserbauingenieur Eduard Schiebelbein an einem Beispiel: Wenn zum Beispiel am Zugersee aus einer Tiefe von 30 bis 40 Metern relativ nährstoffreiches Wasser entnommen wird, dann aber in die obere Gewässerschicht zurückgeleitet wird, würde das dort im Sommer eine regelrechte Algenexplosion auslösen.

Auswirkungen auf Gewässer-Ökologie?

Auch bei den Baumaßnahmen müsse einiges beachtet werden, so Schiebelbein: Wenn möglich, sollten die Rohre durch eine spezielle Bohrtechnik weitgehend unterirdisch verlegt werden, im sensiblen Uferbereich und im Seegrund.

Weil deutlich mehr Wärme als Kälte gebraucht wird, werden die Seen in der Summe eher gekühlt als erwärmt - allerdings in sehr geringem Maße. Denn die thermisch genutzte Wassermenge ist im Vergleich zur gesamten Seewassermenge klein. Das hat das Wasserforschungsinstitut "eawag" der ETH Zürich beispielhaft für den Bodensee berechnet. Die Wassertemperatur würde hier um 0,05 Grad Celsius sinken, wenn die Seethermie ökologisch vertretbar ausgeschöpft würde. Im Winter könnte demnach dem Bodensee Wärme in der Größenordnung der Energieproduktion eines Kernkraftwerks für rund eine Million Menschen entnommen werden, ohne die Wassertemperatur an der Oberfläche wesentlich zu verändern.

Problem für Seethermie: Invasive Muscheln

Es gibt aber auch Hindernisse: Die Investitionskosten sind hoch und amortisieren sich erst nach längerer Betriebszeit. Seethermie-Projekte seien daher vor allem für die öffentliche Hand und in größeren Dimensionen rentabel, so eine Studie der "eawag" von 2018. Weil Fernwärmeleitungen verlegt werden müssen, bietet sich Seethermie vor allem für seenahe Kommunen an.

Ein Problem für die Seethermie können invasive Muschelarten wie die Quagga-Muschel sein, die in Tiefen bis zu 100 Meter lebt und sich klimawandelbedingt ausbreitet. Im Bodensee etwa ist sie schon angekommen. Aber auch andere Muschelarten wie Zebra- oder Wandermuschel vermehren sich und können die Rohre verstopfen. Das erhöht den Wartungsaufwand an den Rohren - und erfordert neue Lösungen, die von vornherein eingeplant werden müssten, sagt Wasserbauingenieur Schiebelbein, etwa leicht abmontierbare Rohr-Enden, damit die Taucher sie nicht auf 35 Meter Tiefe reinigen müssen.

Hoteldorf am Tegernsee will mit Seewärme heizen und kühlen

Die Planer des nachhaltigen Hoteldorfs am Tegernsee haben Eduard Schiebelbein als Berater mit ins Boot geholt. Hier sind die Planungen schon weiter fortgeschritten und die Dimensionen deutlich größer als am Chiemsee: Durch 40 Zentimeter dicke Rohre sollen jede Sekunde 160 Liter Wasser - etwa eine Badewanne voll - aus dem See und wieder zurückfließen, um das Hoteldorf zu heizen und zu kühlen. Die Wärmepumpe wird außerdem mit Solarstrom betrieben, damit ganz ohne schädliche Treibhausgase geheizt werden kann. Es soll, so der verantwortliche Planer Wolfgang Spiegl, "nicht aus dem Kamin rauchen". Weil deutlich mehr gekühlt als geheizt werden soll, hätte die Seethermie einen minimal kühlenden Effekt auf den See - im kaum messbaren Bereich zwar, aber angesichts der klimabedingten Erwärmung der Seen ein durchaus gewünschter Effekt.

In den nächsten Monaten will Spiegl den wasserrechtlichen Genehmigungsantrag für das Projekt einreichen. Der wird dann bei Andreas Holderer vom Wasserwirtschaftsamt Rosenheim auf dem Schreibtisch landen.

Die Schweizer Erfahrungen machen dabei allen Beteiligten am Tegernsee Mut: Wenn richtig geplant und gebaut wird, hat die Seethermie demnach keinen nachteiligen Einfluss auf die Gewässerökologie. Und das Potenzial ist nach einer Studie des Wasserforschungsinstituts "eawag" groß - denn nicht nur die schier unerschöpfliche Wärme der Seen könnte genutzt werden, sondern auch die der Flüsse.

Im Video: Was macht die Hitze mit Bayerns Seen?

09.06.2023, Bayern, Garching: Eine Badeinsel schwimmt auf dem Garchinger See. Die europäische Umweltagentur hat in ihrem jährlichen Badegewässerbericht dem Garchinger See eine schlechte Wasserqualität bescheinigt. Foto: Matthias Balk/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Garchinger See

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