Ein Flussregenpfeifer steht auf einer Ackerbrache in Bayern.
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Für den Artenschutz sollen wieder Ackerflächen brachliegen.

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"Absoluter Wahnsinn": Ackerflächen stilllegen für Artenschutz

Für mehr Artenschutz sollen ab nächstem Jahr vier Prozent der Ackerflächen brachliegen – zum Ärger der Landwirte. Nach Ernteausfällen in diesem Jahr fürchten sie um die Versorgungssicherheit. Das Bundesumweltministerium setzt auf mehr Artenschutz.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Wenn Landwirt Simon Sedlmair aus dem Landkreis Dachau über seinen Acker geht, sieht man klar eine Trennlinie. Der Acker wurde geteilt. Auf der einen Seite des Feldes darf er für ein Jahr nichts anbauen. Denn von seinen insgesamt 70 Hektar Ackerland muss er vier Prozent stilllegen, bei ihm sind das etwa drei Hektar. Für ihn ein "absoluter Wahnsinn". Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, warum man in der jetzigen Zeit Flächen stilllegen sollte. Auf der ganzen Welt gebe es Probleme mit der Lebensmittelversorgung und hier müssen Flächen brach gelegt werden. "Das kapiert keiner mehr", betont Sedlmair. Die stillgelegte Fläche muss brach liegen oder kann zum Beispiel mit einer Kleemischung begrünt werden.

Ausnahmeregelung wegen Ukraine-Krieg

Die EU will mehr Artenschutz. Deshalb knüpft sie ihre Direktzahlungen an Landwirte an bestimmte Umweltauflagen, wie beispielsweise die Stilllegung von vier Prozent der Ackerflächen. Vergangenes Jahr wurde die EU-Maßnahme wegen des Ukraine-Kriegs ausgesetzt. Damals war nicht klar, ob es womöglich Getreideengpässe gibt. Die Argumentation im vergangenen Jahr: Es gehe darum, die Ernährung sicherzustellen und einen Engpass zum Beispiel bei Weizen zu verhindern. Es gab nur eine Bedingung: Die Betriebe durften auf den Flächen nur Getreide, Sonnenblumen und Hülsenfrüchte anbauen – keinen Mais.

Bundeslandwirtschaftsministerium gegen Erntemaximierung

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte sich dafür eingesetzt. Denn Putin spiele mit dem Hunger auf Kosten der Ärmsten der Welt. Jetzt hat sich die Lage nach Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums aber geändert. Es schreibt auf BR-Anfrage: "Mittlerweile haben sich die Getreidemärkte wieder stabilisiert. Die notwendigen EU-Regelungen zum Schutz von Klima, Artenvielfalt und Umwelt können nicht erneut ausgesetzt werden, weil dafür das EU-Basisrecht geändert werden müsste."

Außerdem gingen kurzfristige Erntemaximierungen zulasten der natürlichen Ressourcen und gefährdeten damit langfristig die Versorgungssicherheit, so das Ministerium weiter. Vor dem Hintergrund der Klimakrise dürfe der Klima- und Artenschutz nicht zurückgefahren werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium schreibt: "Wer jetzt immer noch Klima- und Artenschutz mit fadenscheinigen Argumenten zurückfahren will, der ist alles andere – nur sicherlich kein Freund der Landwirtschaft."

  • Zum Artikel: Der Ukraine-Krieg und Bayerns Landwirtschaft

Ausgesetzte Flächenstilllegung hatte kaum Auswirkungen

Mitte August hatte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski mitgeteilt, dass die ausgesetzte Flächenstilllegung auf das diesjährige Erntejahr kaum Auswirkungen gehabt habe. EU-Landwirte hätten ihre Anbaufläche für Getreide nicht vergrößert. Dennoch sei die Getreideproduktion in diesem Jahr um fünf Prozent gestiegen. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass die EU die Ausnahmeregelung verlängert. Sprich: Ab sofort müssen Landwirte ihre Produktion einschränken – zum Schutz der biologischen Vielfalt und der Bodenqualität.

Unverständnis bei Landwirten im Landkreis Dachau

Landwirt Simon Sedlmair hat seine vier Prozent, die er stilllegen muss, auf mehrere Äcker verteilt. Auf einem seiner Maisäcker muss er auf einem Teil der Fläche die Stoppeln für ein Jahr stehenlassen. Auf der anderen Hälfte baut er nächstes Jahr Weizen an. Das Argument des EU-Agrarkommissars, die Getreideernte dieses Jahr sei gut ausgefallen, kann er als Kreisobmann des Bauernverbands im Landkreis Dachau nicht nachvollziehen – denn hier gab es dieses Jahr Ernteausfälle. Der Weizen hat teilweise keine Lebensmittelqualität.

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Landwirt Sedlmair fürchtet um die Versorgungssicherheit.

Andere Teile von Bayern hat es teilweise noch schlimmer erwischt. Mais zerhagelt, Weizen unter Wasser. Insgesamt wurden aber - nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Landesamts - vier Prozent mehr Getreide geerntet als im letzten Jahr. Verglichen mit dem langjährigen Mittel (dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre) war es in Bayern ein Rückgang um 0,3 Prozent.

Kritik vom Bauernverband, Verständnis beim Bund Naturschutz

Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands, hält die Entscheidung, wieder Flächen stillzulegen, für "aus der Zeit gefallen". Er sagte dem BR: "Hier dann stilllegen und die Produkte von irgendwo in der Welt importieren mit den Fußabdrücken, die sie dann haben, das wäre sehr unehrlich und das wäre auch nicht nachhaltig."

Dagegen ärgert es Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, "dass einige Landwirte behaupten, sie bräuchten jeden Quadratzentimeter, um Lebensmittel zu produzieren". Das sei der falsche Weg. Er verwies im BR auf die ökologische Bedeutung von Ackerrainen, Hecken und Wasserläufen in der Agrarlandschaft.

Simon Sedlmair aus dem Landkreis Dachau hofft derweil immer noch, dass sich an der EU-Maßnahme noch etwas ändert. Er fürchtet, dass am Ende dann einfach Getreide zugekauft wird, wenn die Erntemenge in Deutschland nicht reicht.

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