Wald mit Feldrand in der Oberpfalz
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Wald mit Feldrand in der Oberpfalz

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Durch Anbau auf Öko-Flächen den Hunger bekämpfen?

30 Prozent der Welt-Getreideexporte stammen aus der Ukraine und Russland - und drohen durch den Krieg auszufallen. Preise steigen, Millionen Menschen sind vom Hunger bedroht. Kann eine Nutzung von aktuellen und künftigen Öko-Flächen das verhindern?

Wenn von "ökologischen Vorrangflächen" (ÖVF) die Rede ist, dann sind damit sehr viele unterschiedliche Flächen gemeint. Zum Beispiel Brachflächen oder Flächen, auf denen Zwischenfrüchte angebaut werden - das sind schnell wachsende Pflanzen, die zwischen zwei Hauptfrüchten, zum Beispiel Getreide, Kartoffeln oder Rüben, angebaut werden, wobei die Ernte der Zwischenfrucht nicht zum Verkauf bestimmt ist, sondern als Futter oder zur Gründüngung verwendet wird.

Andere Formen der ökologischen Vorrangflächen können Hecken, Feldgehölze oder Feuchtgebiete neben dem Acker sein. Aber auch Feldrandstreifen, Streifen an Waldrändern oder Pufferrandstreifen an Gewässern.

Fünf Prozent der Flächen im Umweltinteresse nutzen

Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU müssen seit 2015 die meisten landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als fünfzehn Hektar Ackerland fünf Prozent ihrer Flächen im Umweltinteresse nutzen, diese also als ökologische Vorrangflächen ausweisen, um ungekürzte Direktzahlungen aus der Agrarförderung der EU zu erhalten. Damit soll die Biodiversität, also die Vielfalt der Ökosysteme und die Mannigfaltigkeit der Arten, gefördert werden.

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Seit der Maisernte 2020 brachliegendes Feld in der Allacher Lohe am Stadtrand von München

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der sich abzeichnenden Knappheit bei wichtigen landwirtschaftlichen Gütern wie Getreide, Mais und Öl hatte die EU-Kommission im März 2022 eine außergewöhnliche und befristete Ausnahmeregelung erlassen.

Diese gibt für das laufende Jahr 2022 ökologische Vorrangflächen für den Anbau sämtlicher Kulturen frei, also sowohl für Futter- als auch für Nahrungsmittel. Dies betrifft nach Angaben der Kommission vier Millionen Hektar in den Mitgliedsstaaten. Dort könnten, genehmigt durch die EU, jetzt beispielsweise Mais, Sommergerste, Erbsen oder Sonnenblumen angebaut werden.

Deutschland zurückhaltend

Diese Ausnahmegenehmigung wurde von der Bundesregierung allerdings nicht in vollem Umfang genutzt. Stattdessen gab das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für 2022 nur den Aufwuchs auf ökologischen Vorrangflächen der Kategorien "Brache" und "Zwischenfrüchte" als Futter frei - als Beitrag zur Futterversorgung und, um die Wirkungen der steigenden Futtermittelpreise für die Landwirtinnen und Landwirte abzumildern.

Betroffen davon sind in Deutschland laut BMEL Flächen von über einer Million Hektar. Das, was auf diesen Flächen aufwächst, darf normalerweise nicht genutzt werden, sondern wird untergepflügt für die Bodenverbesserung.

Özdemir: "Andere Krisen nicht ausblenden"

Zur Begründung, warum die Ausnahmegenehmigung der EU nicht voll umgesetzt und nicht auch der Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln genehmigt worden sei, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, man könne es sich nicht leisten, andere Krisen auszublenden, die ebenfalls für Hungersnöte auf der Welt sorgten: "Auch wenn manche das gerne ausblenden, Klimakatastrophe und Artensterben sind real existierende Probleme, die wir lösen müssen. Alles, was wir heute aufschieben, rächt sich morgen doppelt und dreifach."

Dass die ökologischen Vorrangflächen nicht in vollem Umfang für die Bewirtschaftung freigegeben wurden, wurde scharf kritisiert, unter anderem vom Bauernverband. Auf den Stilllegungsflächen nur eine Nutzung des Aufwuchses zu gestatten, anstatt, wie von Brüssel genehmigt, dort auch den Anbau von Getreide, Mais, Eiweißpflanzen, Futterpflanzen und anderen zuzulassen, sei "viel zu kurz gesprungen, um der ethisch gebotenen Verantwortung nachzukommen", so der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes Walter Heidl: "Die Agrarpolitik in Deutschland und der EU hat die Verantwortung, alles Machbare zu tun, um die Versorgungssicherheit in Europa und vor allem auch in ärmeren Schwellen- und Entwicklungsländern sicherzustellen."

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Ernte eines plötzlich knapper werdenden Guts: Mähdrescher auf einem Weizenfeld bei Neutraubling in der Oberpfalz

Deutliche Kritik kam auch von Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU). Özdemirs Nein zur Umwandlung von Brachflächen zu Ackerland und damit die Entscheidung, diese Flächen nicht zu nutzen, obwohl in einigen Regionen der Welt infolge auch des Ukraine-Kriegs sich viele Menschen "die teurer werdenden Lebensmittel nicht mehr leisten können oder gar Hungersnöte drohen, ist eine ethische Bankrotterklärung", lautet der Vorwurf Kanibers.

Flächenvergleich: Ökologie und Energie

In Deutschland lag der Anteil der beantragten ökologischen Vorrangflächen 2021 bei 1,4 Millionen Hektar. Der Deutsche Bauernverband (DBV) geht davon aus, dass eine teilweise Nutzung dieser Flächen möglich wäre. So könnten laut Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied auf 250.000 Hektar rund 1,5 Millionen Tonnen Weizen angebaut werden.

Dem gegenüber stehen nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Statistischen Bundesamtes 14 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, die für den Anbau von Energiepflanzen genutzt werden - rund 2,3 Millionen Hektar. Ein Teil davon, der Rapsanbau für Biokraftstoffe, der im Jahr 2019 noch einen Rückgang verzeichnet hatte, stieg im Jahr 2020 auf 575.000 Hektar.

Eine Nutzung solcher Flächen oder auch der Flächen, die dem Futteranbau dienen - laut Statistischem Bundesamt knapp zehn Millionen Hektar oder 60 Prozent - wäre nach Ansicht des Bund Naturschutz in Bayern die wesentlich sinnvollere Alternative, so der Sprecher des Arbeitskreises Landwirtschaft, Max Kainz: "Der Verzicht auf den Beimischungszwang von Biodiesel oder die Reduzierung des Kraftfuttereinsatzes in der Tierhaltung, auch durch eine Reduzierung der Tierzahlen, wären geeignetere und schnell wirksame Ansatzpunkte, um die Versorgung mit Getreide und Speiseölen sicherzustellen."

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Blühendes Rapsfeld mit Auto

Bundesrat stimmt Özdemir-Entwurf zu

Ein vorläufiges Ende der Debatte markierte der Bundesrat in seiner Sitzung am 8. April, indem er den vom Bundeslandwirtschaftsministerium beschlossenen Maßnahmen für ökologische Vorrangflächen zustimmte, auch wenn es an Kritik daran nicht mangelte: Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) sagte, diese Flächen für die Lebensmittelproduktion auch in Deutschland zu nutzen, wäre angesichts der gegenwärtigen Krise ein wichtiges Signal gewesen - auch gegen weitere Spekulationen an den globalen Agrarmärkten.

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Walter Heidl. Anders als andere EU-Länder wie zum Beispiel Österreich sei Deutschland seiner Verantwortung für die Versorgungssicherheit auch in ärmeren Schwellen- und Entwicklungsländern nicht nachgekommen.

Ab 2023: EU-weit vier Prozent stilllegen?

Das Konzept der ökologischen Vorrangflächen, über deren Nutzung aktuell gestritten wird, wird in der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, die 2023 beginnt, abgelöst durch das Konzept einer Flächenstilllegung von vier Prozent der Ackerfläche - die dann jedoch, anders als die ökologischen Vorrangflächen, überhaupt nicht mehr genutzt werden dürfen, sondern wirklich stillgelegt werden sollen. Das Konzept ist neu, aber die Frage bleibt auch hier: Ist diese Planung angesichts des Krieges in der Ukraine und der Folgen auf den Agrarmärkten in dieser Form haltbar?

Der Bayerische Bauernverband (BBV) gibt sich hierzu bedeckt. Die Flächenstilllegungen ab 2023 seien jetzt noch kein Thema, so der stellvertretende Generalsekretär des BBV, Matthias Borst: "Was und wie es für das Jahr 2023 um Versorgungsfragen konkret steht, ist aktuell mit vielen Unbekannten versehen. Wir gehen davon aus, dass sich die Politik eher Richtung Herbst 2022 ein Bild zur Einschätzung der Versorgung in 2023 machen und dann über Handlungsoptionen entscheiden wird."

Bund Naturschutz: Erträge zu gering

Der Bund Naturschutz in Bayern verweist darauf, dass ein Aussetzen der Flächenstilllegung ab 2023 auf vier Prozent der Gesamtfläche eine Mehrproduktion von allenfalls ein bis zwei Prozent bewirken würde. Der Beitrag sei auch deshalb vergleichsweise gering, führt Max Kainz vom Bund in Bayern aus, weil "die Flächenstilllegungen auf den ertragsschwachen Standorten platziert werden und auch eine Fruchtfolge eingehalten werden muss. Diese Menge ist, wenn sie exportiert wird, zu gering, um einen substantiellen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten."

Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) verweist auf Anfrage darauf, dass die stillgelegten Flächen wenig Ertrag bringen würden: "Auch bei einem Aufschub der Stilllegung würde selbst auf den Brachen nicht überall Getreide im Allgemeinen oder Weizen im Speziellen angebaut werden können, da die Standorte dafür oftmals nicht geeignet sind, weil die Böden zu schlecht sind."

Kurzanalyse: Wenig Einfluss auf den Weltmarktpreis

Auch die den Grünen nahestehende Böll-Stiftung geht davon aus, dass sich die weltweite Produktionsmenge von Getreide durch einen Aufschub der Flächenstilllegung nur um 0,4 Prozent steigern ließe. Der Weltmarktpreis könnte dadurch lediglich um 0,4 bis 2,2 Prozent gesenkt werden. Dies sei zudem noch eine eher optimistische Annahme, da Begrenzungen wie Arbeitskräfte- oder Wassermangel nicht einbezogen worden seien. Wenn in der EU hingegen wie geplant Flächen nicht mehr genutzt würden, kommt die Stiftung auf eine Steigerung des Weltmarktpreises für Getreide um 0,1 bis 0,6 Prozent.

Die Auswirkungen durch den Krieg selbst könnten den Angaben zufolge im schlimmsten Fall bis zu 20 Prozent Preissteigerung bedeuten, im besten Fall 2,5 Prozent. Das Fazit der Böll-Stiftung: Hilfreicher als die Flächenstilllegung zurückzudrehen, seien Finanzhilfen für die Länder des globalen Südens, damit sich diese auch teurere Lebensmittel kaufen könnten.

Fazit:

Tatsächlich ist es nur schwer quantifizierbar, welche Menge an Ackerfrüchten bei einem - zumindest vorläufigen - Verzicht auf die von der EU ab 2023 geplanten Flächenstilllegungen auf diesen Flächen geerntet werden könnte. Hier sind allenfalls Schätzungen möglich.

Sicher ist: Die geplanten Flächen in den Mitgliedsländern ab 2023 nicht, wie geplant, stillzulegen, ist nur eine Option um auf die schwieriger werdende Versorgungslage, vor allem in ärmeren Ländern, zu reagieren. Denn: Neben den Flächen, die der Natur zurückgegeben werden sollen, gibt es große Flächen, die derzeit nicht für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden, sondern dem Anbau von Tierfutter, Bioenergie und Pflanzen für die industrielle Verwertung dienen - in Deutschland laut Statistischem Bundesamt immerhin deutlich mehr als zwei Drittel.

Und: Die Notwendigkeit, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten, wie sie auch der jüngste Bericht des Weltklimarates anmahnt, hat nichts an Dringlichkeit eingebüßt, auch wenn diese Debatte aktuell durch den Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen überschattet wird.

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