Drei Menschen stehen vor Wandgärten und betrachten eine Pflanze.
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Die Gründer von "Myriad": Dr. Marvin und Yannic Hönle sowie Miríam Martin haben den erdlosen Gemüseanbau aus dem All ins Wohnzimmer geholt.

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99 Prozent weniger Wasser: Wandgärten mit Weltraumtechnik

Ein Bayreuther Startup hat einen vertikalen Wandgarten für Innenräume entwickelt, der mit wenig Wasser und ohne Erde auskommt. Dahinter steckt Aeroponik. Auch in der Internationalen Raumstation ISS wachsen Gemüse und Kräuter auf diese Art.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Die Geschäftsräume des Bayreuther Startups "Myriad" sind halb Büro, halb Testlabor. Ein frischer Duft nach Kräutern liegt in der Luft. Kaum ein Quadratmeter Wand in den Räumen des Unternehmens ist weiß geblieben, überall haben die Gründer ihre hängenden Gemüsebeete, die "Myriadgarden" aufgehängt. Sie sind Wandschmuck und Mini-Garten in einem.

Ein Beet ganz ohne Erde

Bei dem Wandgarten handelt es sich um ein Gartensystem für innen, in dem 16 Pflanzen Platz haben: Basilikum, Mini-Tomaten, Sauerampfer, Linsen oder Salate, um nur einige zu nennen. Die Wurzeln dieser Pflanzen stecken nicht in Erde, sondern hängen frei in der Luft. Nährstoffe erhalten sie mit dem Gießwasser.

Mitgründer Yannic Hönle schiebt ein paar Blätter beiseite und deutet auf die 16 Pflanzlöcher. "Dort kommen die kleinen Netztöpfe mit den Setzlingen hinein." Die Netztöpfe sind frei von Erde, die Setzlinge stecken in kompostierbaren Kokosfasern. Diese Methode des Gemüseanbaus hat einen eigenen Namen: "Wir nutzen Aeroponik", sagt Yannic Hönle, "wie auf der ISS."

Inspiriert vom Gemüseanbau im Weltall

Aeroponik bedeutet, dass die Wurzeln der Pflanzen in einem abgeschlossenen Raum im Innern des Wandgartens frei in der Luft hängen. Ein feiner Sprühnebel versorgt die Wurzeln täglich mit Wasser und Nährstoffen. Die Nährstofflösung wird vorher ins Gießwasser geträufelt. Sie enthält alle Metalle, die die Pflanzen benötigen.

Auf ähnliche Weise, aber viel aufwändiger, bauen die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS Gemüse an. Weil Wurzeln die Nährstoffe aus Sprühnebel besser aufnehmen können als aus Erde, wachsen die Pflanzen deutlich schneller.

Mit-Gründerin Miriam Martín hat früher in der Raumfahrt gearbeitet und diese Anbautechnik dabei kennengelernt. So entstand gemeinsam mit ihrem Partner Yannic Hönle an der Uni Bayreuth die Idee, diese Technik für private Kunden zu adaptieren. Unterstützt wurden ihre Forschungen unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium.

Minimaler Wasserverbrauch: Eine Technik mit Zukunft

Ganz unten im Bauch des Wandgartens steckt ein sechs Liter großer Wassertank. "Einmal auffüllen genügt für einen Monat", sagt Yannic Hönle. Der Garten selbst besprüht dann die Wurzeln und piept, wenn der Tank leer ist. Ein paar Wochen Urlaub sind also kein Problem für das vertikale Beet.

Gründer Yannic Hönle und der promovierte Pflanzengenetiker Marvin Hönle sowie Miriam Martín haben ausgerechnet, dass der Wandgarten 99 Prozent weniger Wasser benötigt als ein Beet mit Erde. Wasser, das von den Wurzeln nicht aufgenommen wird, fließt zurück in den Tank.

Für Klimaschutzexperte Stefan Heinrich aus Bayreuth macht dieser geringe Verbrauch den Wandgarten zu einer wertvollen Innovation: "Im Zuge der Klimakrise und der Wasserknappheit ist diese Technik mit Sicherheit ein Teil der Lösung des Problems."

Licht kommt von LED-Leuchten

Zwei schwarze Metallbügel umspannen den Wandgarten. Sie dienen den integrierten LED-Leuchten als "Himmel". Die Leuchten wurden von den Gründern so programmiert, dass sie den Pflanzen die optimale Menge und Stärke an Tageslicht-ähnlicher Strahlung geben.

"Die Kosten belaufen sich auf etwa drei Euro pro Monat", erklärt Miriam Martín, die für die Technologie der vertikale Gärten verantwortlich ist. Ein Touchscreen am Rahmen wird vom Besitzer zu Beginn mit Informationen über die angebauten Pflanzen gefüttert. Alles Weitere macht der Garten selbst: Zum Beispiel das Licht ein- und ausschalten und gießen. "Wir müssen nur ernten", sagt Miriam, während sie ein Basilikumblatt pflückt und es in den Mund steckt.

Erste Kunden sind begeistert

Marco Marino ist einer der ersten Käufer eines Myriadgardens. Der Bayreuther würde ihn nicht mehr hergeben. "Das Gemüse und die Kräuter schmecken viel besser als aus dem Supermarkt. Und die Tomaten erst! Als ich die ersten gepflückt habe, dachte ich: Aha, so schmecken also Tomaten." Der beleuchtete grüne Garten mit Farbtupfern von roten Blüten oder gelben Tomaten macht eine Figur wie ein Kunstwerk im offenen Wohnraum des leidenschaftlichen Kochs. Das intelligente System per Touchscreen war für Marco Marino kein Problem: "Sogar ich habe das geschafft, dann kann es wirklich jeder," sagt er.

Weitere Ideen gibt es schon

Die Wandgärten sind bislang keine Massenproduktion. Die Bayreutehr Gründer von stehen noch am Anfang ihres Weges – die Technik ist fertig, doch nur für wenige verfügbar. Derzeit kann ein Wandgarten für knapp 600 Euro vorbestellt werden – geliefert wird im Herbst oder Winter.

An weiteren Ideen, die Gärten zu optimieren, mangelt es den Gründern nicht. Was sie jetzt benötigen, ist Geld, das sie in Produktion und weitere Entwicklungsarbeit investieren können. Sie hoffen auf Investoren und Käufer, die sich für den Charme und die Möglichkeiten dieser Form des nachhaltigen "Vertical Gardenings" für Privatleute, Schulen, Kantinen, Bars oder Restaurants begeistern lassen.

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