DP-Lager Föhrenwald aus der Luft.
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DP-Lager Föhrenwald aus der Luft.

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75 Jahre: Gedenken an Displaced Persons im Lager Föhrenwald

Mit einer Ausstellung, Filmpremiere und einem Festakt wurde am Sonntag in Wolfratshausen Waldram an die Eröffnung des DP-Lagers Föhrenwald vor 75 Jahren erinnert. Dort waren nach dem Zweiten Weltkrieg jüdische Überlebende der Shoah untergebracht.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Im Lager Föhrenwald sammelten sich nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands tausende Männer, Frauen und Kinder, die den deutschen Vernichtungsfeldzug überlebt hatten – im Lager, im Versteck oder im Exil in der Sowjetunion. Ihre Heimatorte in Osteuropa waren zerstört, ihre Freunde und Familien ausgelöscht. Sie waren Heimatlose – displaced persons, kurz DPs, wie sie von der US-Amerikanischen Besatzungsmacht genannt wurden.

"Es war eine Opfergesellschaft, die sich da zusammengefunden hat, es wurde unheimlich viel geweint und immer fielen Namen von denen, die umgebracht worden sind", erzählt die Journalistin und Gründerin der Münchner Literaturhandlung Rachel Salamander. Sie war zwei Jahre alt, als sie 1951 mit ihrer Familie nach Föhrenwald kam. "Es war kalt, es war feucht, es war unwirtlich und ich habe das Ganze auch noch sehr mit Hunger verbunden."

Zwangsarbeit in der "Schokoladenfabrik"

Die Häuser, in denen die jüdischen DPs untergebracht wurden, waren einstige Wohngebäude für Arbeiter von Sprengstoff- und Munitionsfabriken, die die Nazis ab 1937 ganz in der Nähe im Wald errichten ließen – getarnt als Schokoladenfabrik. Nach Kriegsbeginn schufteten dort Zwangsarbeiter aus den von der Wehrmacht überfallenen Ländern Europas für die deutsche Rüstungsindustrie. Nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands 1945 quartierte die US-amerikanische Besatzungsmacht dort jüdische Überlebende ein. "Die Menschen, die in den DP-Lagern lebten, waren ja ganz besondere Menschen, die waren Träger ganz besonderer Erfahrungen. Jeder trug ja ein Stück Vernichtung in sich", berichtet Rachel Salamander.

"Aber sie waren furchtlos, sie waren sehr bestimmt. Und für Kinder gab es eine absolute Geborgenheit, weil alles Trachten und alles Blicken in die Zukunft bezog sich auf die Kinder." Rachel Salamander, Zeitzeugin

Kinderboom im Flüchtlingslager

Rund 700 Kinder wurden allein in Föhrenwald geboren – jedes einzelne ein kleiner Sieg über den Vernichtungswahn der Nazis. Und das mitten im Land der Täter.

"Wir lebten quasi in einer autarken Zone. Und wir wussten, draußen waren die Feinde, die Deutschen, die Täter. Wir haben alle Jiddisch gesprochen, das war meine Muttersprache. Und man muss sagen, dass in diesen Lagern zum letzten Mal in Europa so was wie ein jüdischen Schtetl entstanden war." Rachel Salamander, Zeitzeugin

Ausgerechnet Bayern, wo der Nationalsozialismus groß geworden war, wurde so zum Schauplatz einer Wiedergeburt jüdischen Lebens. Nicht nur in Föhrenwald, überall im Land entstanden jüdische Einrichtungen mit Synagogen, Talmudschulen, Kindergärten, Bibliotheken, Theatern, Sportvereinen – von Bad Kissingen bis Mittenwald. Das Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts hat vor ein paar Jahren das Projekt "After the Shoa" gestartet – ein Internet-Lexikon mit einer virtuellen Karte aller bekannten jüdischen Einrichtungen, die ab 1945 vor allem in Bayern entstanden. Es sind weit mehr als hundert.

Bildrechte: Juris Mardwig
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Ausstellung erinnert an das Lager Föhrenwald

Ein Militärprogramm für den Kampf um Palästina

Doch Bayern war nur Durchgangsstation. Die DPs bereiteten sich hier vor auf die Auswanderung. Ihr Ziel war vor allem Palästina. Deshalb schulten sie sich in Handwerk und Landwirtschaft und auch militärisch: In einem Nebenlager von Föhrenwald, dem ehemaligen Hitler-Jugend-Lager Hochland bei Königsdorf, wurde eine geheime Offiziersschule für die zukünftige israelische Armee eingerichtet. Kurz darauf startete in den jüdischen DP-Lagern der US-Zone eine Generalmobilmachung, erzählt der Nürnberger Historiker Jim Tobias:

"Das muss man sich mal vorstellen: Ein Staat, den es noch gar nicht gab, führt eine Wehrpflicht ein. D.h. junge Leute mussten sich stellen zum ,Volksdienst‘, wie man das nannte. Die Musterung war getarnt als medizinische Untersuchungen. Und letztlich ist es gelungen über 20.000 Soldaten in den DP-Camps zu rekrutieren." Jim Tobias, Historiker

Viele machten sich anschließend illegal von Bayern aus nach Palästina und viele mussten dort schon bald in den Krieg ziehen. Denn sofort nach der Gründung Israels am 14. Mai 1948 griffen die arabischen Nachbarländer den neuen Staat an.

Die DP-Lager leerten sich nun schnell, die meisten Bewohner gingen nach Israel.

Aus Föhrenwald wird Waldram

Föhrenwald war das Lager, das am längsten bestand – bis Februar 1957. Die katholische Kirche hatte das Areal ab Mitte der 1950er Jahre aufgekauft und umbenannt in Waldram. Die Straßen bekamen nun die Namen von Geistlichen, in die Häuser zogen katholische deutsche Familien ein. Die Erinnerung an die jüdische Geschichte wurde bewusst verdrängt, erzählt die langjährige Kreisheimatpflegerin Maria Mannes, die seit mehr als 60 Jahren in Waldram lebt: "Ich bin 1956 hierher gezogen und wusste überhaupt nicht, dass das vorher Föhrenwald hieß. Man wollte einfach einen totalen Neuanfang hier demonstrieren und es durften ja auch keine jüdischen Bewohner mehr hier bleiben. Als wir hierher gezogen sind, wohnten auf der anderen Seite noch Juden, eindrucksvoll mit Hut und langem Kaftan. Die mussten aber alle ausziehen."

Ein Badehaus als Erinnerungsort

Vor ein paar Jahren haben Maria Mannes und anderer engagierte Bürgerinnen und Bürger angefangen, die Geschichte ihres Ortes zu erforschen. Und sie haben es mit viel ehrenamtlicher Arbeit sogar geschafft, dass im ehemaligen Badehaus des Lagers Föhrenwald ein kleines, aber feines Museum eingerichtet worden ist – der Erinnerungsort Badehaus. Damit dieses spannende und bewegende Kapitel bayerisch-jüdischer Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. Dort wurde am heutigen Sonntag mit einem Festakt an die Gründung des DP-Lagers vor 75 Jahren erinnert. Außerdem wurde die Fotoausstellung "LebensBilder" mit Porträts aus dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald eröffnet.

Bildrechte: bei Justine Bittner
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Erinnerungsort Badehaus

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