Ein Mann greift einer jungen Frau von hinten an die Schulter (Symbolbild).
Bildrechte: Mona Böhm / BR

Auch in der Öffentlichkeit kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen (Symbolbild)

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15-Jährige in Bahn verprügelt: Unterlassene Hilfeleistung?

Eine 15-jährige Schülerin aus Würzburg wird in der Straßenbahn angegriffen. Mehrere Fahrgäste beobachten den Vorfall, doch niemand greift ein. Ist unterlassene Hilfeleistung hier strafbar? Über Zivilcourage und wie man sich als Zeuge richtig verhält.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Sie stellen sie in der Straßenbahn zur Rede. Eine Mitschülerin und deren ältere Freundin. Die 15-Jährige kann nicht weg, doch die Bahn ist schließlich voller Menschen. Was soll also schon groß passieren? Dann schlägt das ältere Mädchen ihr ins Gesicht.

Der Vorfall ereignete sich Ende Januar in Würzburg. Hannah (Name redaktionell geändert) hatte in der Schule Streit mit einer Mitschülerin, es kam zur Eskalation. Auf dem Nachhauseweg sucht die Schülerin Hannah in der Straßenbahn auf, flankiert von einer älteren Freundin. Zunächst kommt es nur zur verbalen Auseinandersetzung. Doch als Hannah die Diskussion beenden möchte und in den hinteren Teil der Straßenbahn läuft, folgt ihr die ältere Jugendliche.

"Hilflos und allein": 15-Jährige in Würzburger Straßenbahn verprügelt

Laut Anzeigenbericht schlägt sie ihr mit der Faust ins Gesicht und zieht sie an den Haaren, sodass ihr Kopf gegen das Fenster der Straßenbahn schlägt. Sie habe angefangen aus der Nase zu bluten, so Hannah, sei dann mitten in der Straßenbahn zu Boden gegangen. Obwohl sich kurz nach 13 Uhr viele andere Fahrgäste in der Straßenbahn befanden, hätte niemand eingegriffen. "Man fühlt sich einfach hilflos und allein", so die Schülerin.

Unterlassene Hilfeleistung: Strafbarkeit nur schwer zu beurteilen

Die Auseinandersetzung dauerte mehrere Minuten, die Strecke von zwei Haltestellen. Erst zum Schluss zieht ein Mann die mutmaßliche Täterin von Hannah weg, erzählt sie. Der Rest der Umstehenden habe weggesehen, auf dem Handy herumgetippt oder hatte Kopfhörer auf.

Es sei sehr erschreckend, dass Menschen häufig einfach zuschauen, wenn jemand in Not ist, sagt Enrico Ball, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken. Das Problem: Zur Rechenschaft ziehen könne man die Zeugen eines solchen Vorfalls aber kaum.

Zwar muss laut Strafgesetzbuch bei "Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not" Hilfe geleistet werden. Wer beispielsweise bei einem medizinischen Notfall nicht einschreitet, kann mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr rechnen. Das gilt aber nur, wenn das Eingreifen zumutbar ist, sprich: der Eingreifende sich dabei nicht selbst erheblich in Gefahr bringt. Bei Gewalttaten wie im Fall der verprügelten 15-Jährigen könne man die Strafbarkeit nur schwer beurteilen, sagt Enrico Ball.

Sinnvoll Hilfe leisten: "Man muss sich nicht selbst in Gefahr bringen"

Die Polizei rät sogar explizit davon ab, sich bei Gewalttaten selbst in Gefahr zu bringen. Um sinnvoll Hilfe zu leisten, sei das aber meist gar nicht nötig, so der Polizeisprecher. Auf keinen Fall dürfe einfach weggeschaut werden.

Stattdessen sei es wichtig sofort die 110 zu wählen und das auch laut zu artikulieren. Oft würden Täter schon vom Opfer ablassen, wenn sie angesprochen werden, so Enrico Ball. Sinnvoll sei es außerdem, andere Umstehende anzusprechen und weitere Zeugen hinzuzuziehen. So könnten Mehrheiten erzeugt werden, die notfalls auch gemeinsam eingreifen können.

Nachdem eine Straftat verübt wurde, sei es wichtig, dem Opfer beizustehen und sich gegenüber der Polizei als Zeuge anzubieten oder zumindest seine Kontaktdaten zurückzulassen.

Sensationslust: Mitfilmen statt helfen

Tatsächlich kann es dafür durchaus sinnvoll sein, eine Straftat mitzufilmen, sagt Polizeisprecher Ball. Jedoch nur, um das Material der Polizei als Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Häufig findet man das Videomaterial stattdessen aber in sozialen Netzwerken wieder. Das Polizeipräsidium Unterfranken sieht das mehr als kritisch: Wenn jemand gegen seinen Willen gefilmt und das Material veröffentlicht wird, liege ganz klar eine Straftat vor, so Ball. Das Kunsturheberrecht und das Recht am eigenen Bild seien dann verletzt.

Auch Hannah erzählt, manche Leute hätten ihre Handys herausgezogen und mitgefilmt statt zu helfen. "Weil die Leute denken, so etwas ist normal heutzutage", sagt sie. "Das ist es aber nicht."

Gewalt unter Jugendlichen: "Der Umgang wird ruppiger"

Tatsächlich kommt es aber immer wieder zu Vorfällen wie diesen. Laut dem Polizeipräsidium Unterfranken merke man, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen der Umgang miteinander häufig ruppig oder beleidigend sei. "Der Hang dazu, körperliche Gewalt auszuüben, wird aus unserer Sicht größer", so Polizeisprecher Ball. Nicht immer sei leicht zu beurteilen, wann tatsächlich eine Grenze überschritten ist. Spätestens wenn es zur Gewalt kommt, dürfe aber nicht mehr weggeschaut werden.

Hannah kam letztlich mit einer geprellten Nase, Schwellungen und Schmerzen davon. Der Schock wird die 15-Jährige aber noch länger verfolgen. Sie gehe nur noch mit einer Freundin aus dem Haus, erzählt sie. Aus Angst davor, dass ihr die ältere Schülerin noch einmal auflauert. Die Ermittlungen gegen die mutmaßliche Täterin sind noch nicht abgeschlossen.

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