Willi Urmann (75), ehemaliger Gewerkschafter IG Bau-Steine-Erden, steht vor einer Granitwand.
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Willi Urmann (75) ist ehemaliger Gewerkschafter der IG Bau-Steine-Erden

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1. Mai: Erinnerungen an den Super-Streik der Granitarbeiter

Am 1. Mai halten die Gewerkschaften verstärkt Kundgebungen ab und weisen auf besondere Arbeitskämpfe hin. Für den längsten Streik in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte haben vor über 30 Jahren die Granitarbeiter im Bayerischen Wald gesorgt.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Südbayern am .

Willi Urmann war Anfang der 1990er Jahre als Gewerkschaftssekretär der IG Bau-Steine-Erden an vorderster Front. Wir sprechen mit ihm in einem Steinbruch in Hauzenberg (Lkr. Passau), wo die Arbeiter damals auch Meißel und Presslufthammer niedergelegt hatten. "Als das begonnen hat, hätte ich mir nie im Leben denken können, dass dieser Streik über 300 Tage dauert", sagt der 75-Jährige und schaut auf die granitgraue Felsenwand. Erinnerungen kommen hoch.

  • Zum Artikel: "Kundgebungen und Kurzweil: Der 1. Mai in Bayern"

Streitpunkt Akkordlöhne

Es beginnt am 17. Juni 1991. Stillstand in 17 Betrieben zwischen Hauzenberg und Cham. Knapp 400 Beschäftigte legen die Arbeit nieder. Ein regionaler Konflikt mit einem großen Streitpunkt: Die relativ hohen Akkordlöhne, die die Steinbruch-Chefs um 20 bis 30 Prozent kürzen wollen. Willi Urmann - kurz vorher zum Gewerkschaftssekretär der IG Bau-Steine-Erden aufgestiegen - ist Mitglied der Tarifkommission, lotet die Stimmung aus, informiert die Belegschaften und verhandelt: "Es war nicht leicht für mich, weil ich wusste, was Streik bedeutet. Da hängt ja mehr dran. Die Familien, das Geld. Viele hatten Einbußen, weil die Streikunterstützung ja nicht der volle Lohn ist."

Unternehmer: "Katastrophe für Granitindustrie"

Über Monate bleiben die Fronten hart. Die Arbeitgeber argumentieren mit erschwerten Marktbedingungen: verstärkte Granitimporte aus dem Ausland, der Wegfall der Grenzlandförderung und der Präferenzregelung, in der bei öffentlichen Bauaufträgen eine Abnahmegarantie für heimischen Granit festgelegt war. Josef Kusser, Hauzenberger Unternehmer, im Herbst 1991 zum BR: "Der Streik ist für die Granitindustrie eine Katastrophe, weil wir die ganzen Kunden verlieren. Eine Katastrophe auch für die Arbeitnehmer, weil Arbeitsplätze verlorengehen werden." Gab es seitens der Gewerkschaft Verständnis für die Sicht der Arbeitgeber? Bei Urmann war es "dann zu Ende, als es 30 Prozent Lohnkürzung geheißen hat".

Gereizte Stimmung

Willi Urmann trifft sich mit Manfred Himpsl, ehemaliger Steinmetz und Gewerkschafter, in einem heute leerstehenden Wirtshaus in der Ortsmitte. "Das war das Streiklokal der Gruppe Hauzenberg. Draußen im Saal haben wir uns jeden Tag getroffen", erinnert sich Urmann. Die Wirtsleute hätten damals das Geschäft ihres Lebens gemacht. Es sei viel gegessen und getrunken worden. Die Stimmung, weiß Himpsl noch, sei trotzdem nicht immer gut gewesen. Auf Streikbrecher sei man nicht gut zu sprechen gewesen. Sogar Freundschaften hätten darunter gelitten. Der Superstreik – ein Stresstest in jeder Hinsicht.

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Granit-Streik 1991/1992: Ein Mann hält ein Streik-Schild in der Hand

Hauzenberger Firma lenkt ein

Und doch kommt es zur Einigung. Im Frühjahr 1992 ziehen sich die Streikposten zurück. Wendepunkt ist das Einlenken eines Hauzenberger Unternehmers. "Der Augenblick, wo ich gemerkt habe, es geht was weiter, war der Anruf der Firma Kusser im März 1992", sagt Willi Urmann. "Die wollten unbedingt wieder produzieren, sind aus dem Verband ausgetreten und haben einen Haustarif gemacht."

Das habe brutalen Druck auch auf andere Arbeitgeber ausgeübt und schließlich für einen Abschluss gesorgt, der dann im April unterschrieben worden sei. Ergebnis: Sieben Prozent mehr Lohn für die Stundenlöhner und eine wenn auch ziemlich kompliziert zu berechnende Lösung für die Akkordarbeiter. Für Manfred Himpsl kein guter Kompromiss: "Ich habe mir mehr erhofft. Aber am Schluss hat man's so schlucken müssen."

10 Monate, 43 Wochen, 301 Tage

Zehn Monate zog sich der Streik der Granitarbeiter hin. Ein Arbeitskampf, der 43 Wochen oder 301 Tage gedauert hat - und nicht ohne Folgen geblieben ist, findet Willi Urmann, der auch heute noch gewerkschaftlich engagiert ist. Die Belegschaften seien geschrumpft. Vor allem jüngere Arbeiter hätten die Steinbrüche verlassen. Und die Branche habe sich verändert – weg von der Massenherstellung, hin zur spezialisierten Produktion. Ob ihm bewusst ist, dass er bei einem historisch bedeutsamen Arbeitskampf dabei war? "Bewusst ist mir das schon, stolz drauf bin ich aber nicht", antwortet der 75-Jährige.

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