Sampha - Lahai

Es ist kaum zu glauben, dass das Londoner Multitalent Sampha morgen sein erst zweites Album veröffentlicht. Seit einer gefühlten Ewigkeit ist Sampha Lahai Sisay eine feste Größe in der britischen und internationalen Musikszene. Vielleicht erinnert sich noch wer an die frühen Kollaborationen mit SBTRKT oder Jessie Ware um 2010 rum. Angefangen hat Sampha eigentlich als Produzent. Bis heute sagt er, das Songschreiben sei gar nicht so sein Ding, da sei er eher reingerutscht. Aber wie gesagt: der Mann kann alles und vor allem seine markante, oft ins Falsett fallende Stimme ist sehr gefragt. Zuletzt prominent zu hören auf Kendrick Lamars Grammy-Album "Mr. Morale & The Big Steppers". Sechs Jahre hat es jetzt gedauert, bis Sampha sein neues Album “Lahai” fertig bekommen hat. Ging es auf dem Vorgängeralbum noch um den Verlust seiner Mutter, beschäftigt ihn auf dem Neuen seine Vaterschaft und in diesem Lichte die großen Fragen um die menschliche Existenz und die Liebe. Textlich spielt sich das alles eher abstrakt ab. Aber klanglich ist das unheimlich spannend - wie auf dem Opener Song “Stereo Colour Cloud”: Eine nervöse Synthie- oder Klaviermelodie hören wir hier und stolpernde Drums, die sich nicht zwischen Jazz und Jungle entscheiden wollen. Müssen sie auch gar nicht. Auf dem neuen Sampha-Album gibt es alles parallel: Soul, Gospel, Rap, Jazz und Elektronik. Sampha hat das Album mit langjährigen Kollegen und engen Freunden aufgenommen, darunter sind die kubanisch-französischen Schwestern Ibeyi, die amerikanisch-korenische Produzentin Yaeji und Sheila Maurice Grey von der Londoner Afrobeat-Combo Kokoroko. “Lahai” ist ein Album wie ein wimmelnder Klangteppich, aus dem aber immer die ziemlich einzigartige Stimme von Sampha heraussticht, an der man sich gerne festhält. Musik, die offenbar auch nicht zu sperrig ist für einen Auftritt bei Jan Böhmermann in der Sendung. (7,9 Punkte)

Hauschka - Philanthropy

Für seine Filmmusik zu “Im Westen Nichts Neues” hat der Düsseldorfer Volker Bertelmann dieses Jahr in Los Angeles den wichtigsten Preis der Filmbranche bekommen. Daher dürften jetzt sicher ein paar mehr Fans gespannt sein auf das neue Album, das er jetzt wieder unter seinem Künstlernamen Hauschka veröffentlicht: "Philanthropy". Ein Ausdruck seiner Gefühle gegenüber seinen Liebsten sei der Song "Loved Ones", sagt Hauschka. Wir hören hier Cello und ein Felt-Piano. Also ein Klavier, wo Filzstreifen zwischen die Hammerköpfe und die Saiten montiert werden, wodurch der Anschlag stark gedämpft wird, was den Klang besonders intim macht. Hauschka ist für sein - auch noch auf andere Arten - präpariertes Klavier bekannt, das auf dem neuen Album wieder die Hauptrolle spielt. Allerdings sind die anderen Stücke experimenteller, verspielter. Es kommen verschiedene Synthesizer zum Einsatz, mal vorsichtig vertrackte Rhythmen, dann wird das Album sogar tanzbar. Drums kommen bei einigen Tracks von Samuli Kosminen von der isländischen Band Múm. Ein Album, das auf seine Art viel zu eigenwillig ist, um als Filmmusik durchzugehen. Es ergibt Sinn, dass der Musiker seine Auftragsarbeiten für Filme als Volker Bertelmann veröffentlicht und seine eigene Musik als Hauschka. (7,8 Punkte)

Pip Blom - Bobbie

Damit zu unseren Nachbarn in die Niederlande: Aus Amsterdam kommt die Band, die heißt wie ihre Frontfrau: Pip Blom. Auf dem neuen Album “Bobbie” gibt es einen Song mit einem prominenten Feature-Gast: Alex Kapranos. Pip Blom waren mal Vorband für Franz Ferdinand, daher der kurze Draht zum FF-Frontmann und das Ergebnis: einer der besten Songs auf dem neuen Abum. Dieser funkige Stampfer „Is This Love“ sticht raus auf einem Album, das den früheren Slacker/Indie-Rock der Band hinter sich lassen wollte, um mit Drum Machines, Synthesizern und Computern einen “produzierteren” Sound zu schaffen, wie Frontfrau Pip Blom sagt. Sie hatte dabei zwei ihrer Lieblingsbands aus England im Kopf: Micachu and the Shapes und das Duo Sorry. Irgendwie ist es aber weiterhin Indie-Rock, nur halt jetzt mit Synthesizern und mehr Effekten, die den Sound leider ein wenig platter und teils sogar etwas nervig machen. Da war der angedreckte Slacker-Rock nur mit Gitarre vorher irgendwie charmanter. (7,0 Punkte)

Lost Girls - Selvutsletter

Es gibt ein Wiederhören mit der Norwegerin Jenny Hval. Letztes Jahr erst hat die Avantgarde-Musikerin und Romanautorin ein tolles Album rausgebracht. Jetzt hat sie das Projekt Lost Girls mit ihrem langjährigen Livemusiker Håvard Volden reaktiviert. 2021 kam das von der Kritik gefeierte Debüt, nun das zweite Album “Selvutsletter”. Ein norwegisches Wort, das die Band erfunden hat und das so viel bedeuten soll wie "Selbstauslöscher". Die Gitarrenmelodie auf dem Song “With the Other Hand” ist, laut Band, inspiriert von Leonard Cohen. Und Jenny Hval, die markante Stimme von Lost Girls, nimmt uns hier an die Hand und mit auf eine mysteriöse, nicht näher genannte Reise. Der Song ist überraschend catchy für Lost-Girls-Verhältnisse. Wie auch andere Songs auf dem Album “Selvutsletter” ziemlich poppig sind - trotz ihrer Jenny-Hval-typischen Eigenwilligkeit. Es gibt auch nur einen Neun-Minüter auf dem Album. Und selbst der bewegt sich in einem angenehm spacigen Ambient-Feld mit sowas wie Songstrukturen und Melodien. Der Beweis, dass experimentell nicht immer gleich sperrig sein muss. (7,9 Punkte)

Glen Hansard - All That Was East Is West of Me Now

Einige dürften ihn noch von dem irischen Indie-Musikfilm “Once” kennen, der 2006 in die Kinos kam. Die Geschichte eines Straßenmusikers, der sich in eine tschechische Immigrantin verliebt, die Pianistin ist. Der damals rothaarige Hauptdarsteller Glen Hansard - im echten Leben Frontmann der irischen Rockband The Frames -  ist, mittlerweile deutlich angegraut, jetzt zurück mit seinem fünften Solo-Album “All That Was East Is West of Me Now”. Ein Titel, der laut Hansard, aus der „plötzlichen Erkenntnis stammt, dass mehr dahinter als davor liegt“. An den Punkt kommen wir alle früher oder später - wenn wir nicht vorher abtreten. Hansard ist mit Anfang 50 zum ersten Mal Vater geworden, sein Leben hat sich also ziemlich verändert. Seine Musik bewegt sich dagegen weiterhin zwischen kraftvollem Alternative-Rock und leichtem Irish-Folk-Einschlag. Die Gefühle sind echt und intensiv, die Songs dazu leider nicht immer so stark. Aber das Album wird seine Fans finden. Spätestens nach dem Konzert am 8. November im Münchner Circus Krone. (7,1 Punkte)

Katie von Schleicher - A Little Touch of Schleicher in the Night

Irgendwie sind grade Harry Nilsson-Zitate sehr “in”. Lana del Rey verweist auf ihrem aktuellen Album auf den Songwriter, der in den 60ern und 70ern seine Hochzeit hatte. Und jetzt auch Katie von Schleicher aus Brooklyn. Ihr neues Album heißt: “A Little Touch of Schleicher in the Night” - in Anlehnung an Harry Nilssons “A Little Touch of Schmilsson in the Night”. Der Song “Montagnard People” kommt mit opulenten Streichern und Saxophon daher und lässt eine Zeit erahnen, in der auch ein Harry Nilsson noch erfolgreich und am Leben war. Dazu betrauert Katie von Schleicher im Text die Vergangenheit - ziemlich trocken - und versucht, sich an ihren Hintern mit 25 zu erinnern. Ihre Freundin Amy hat damals gesagt: wenn Nacktfotos - dann jetzt. Katie von Schleicher packt ihren etwas abseitigen Humor zu teils zuckersüßen Melodien und feinen Arrangements und man weiß immer nicht so ganz, ob man dieser Schönheit trauen kann, was “A Little Touch of Schleicher in the Night” zu einem interessanten Hörerlebnis macht. (7,7 Punkte)

Teichmann + Soehne - Flows

Wir bleiben in Deutschland und kommen nach Regensburg, wo die Musikerfamilie Teichmann herkommt. Vater Uli hat ab den späten 70ern einige Jahre lang den Jazz-Club Kneiting betrieben, ist selbst Jazz-Musiker. Seine Söhne Andi und Hannes haben sich dagegen erstmal dem Punk zugewendet, später in der Indie-Band Beige GT gespielt, bevor sie dann in der Techno-Szene Berlins gelandet sind. Heute sind sie als Gebrüder Teichmann vor allem als DJs und Produzenten geschätzt. Jetzt, zum 80. Geburtstag von Vater Uli, und nach vielen gemeinsamen Auftritten über die Jahre, gibt es zum ersten Mal ein gemeinsames Album unter dem Namen Teichmann + Soehne. Auf “Flows” fließt alles ineinander: die Lebens- und Musikgeschichten der beiden Teichmann-Generationen, genauso wie die verschiedenen Stile und Klangästhetiken: die elektronischen der Söhne treffen auf die jazzigen ihres Multiinstrumentalisten-Vaters Uli. Er improvisiert auf Saxophon und Klarinette, Mandoline, Glockenspiel und Percussion. Das Album ist entstanden aus vielen Stunden Aufnahmen, die in den letzten zehn Jahren in Probesessions vor gemeinsamen Konzerten mitgeschnitten wurden. Auf dem Cover des Albums ist eine Fotocollage verschiedener Orte in Regensburg zu sehen. Sie stammt von Lu Teichmann, der Mutter von Andi und Hannes, die 2016 gestorben ist und der das Album gewidmet ist. Wer die Teichmänner live sehen will: Am Freitag, 8. Dezember spielen sie im Ostentor Kino in Regensburg. (7,9 Punkte)

Sun June – Bad Dream Jaguar

Die Band Sun June aus Texas dürfte bei uns noch nicht so bekannt sein. Was sich mit dem neuen Album „Bad Dream Jaguar“ hoffentlich ändert. Sun June sind eine Band, die es in gewisser Weise Ryan Gosling zu verdanken hat, dass es sie überhaupt gibt. Sängerin Laura Colwell und Stephen Salisbury haben sich kennengelernt, als beide als Cutter bei Terrence Malicks Film “Song to Song” gearbeitet haben, wo Ryan Gosling eine der Hauptrollen spielt - einen Musiker. Immer wenn sie grade Leerlauf hatten, haben sie sich die Akustikgitarre geschnappt, die Ryan Gosling im Produktionsbüro stehengelassen hatte, und haben rumgejammed. Das waren die Anfänge von Sun June. 2018 und 2021 kamen die ersten beiden Alben der Band raus, irgendwo zwischen diesen beiden Alben sind Laura Colwell und Stephen Salisbury dann ein Paar geworden, das zuletzt zwei Jahre lang eine Fernbeziehung führen musste, weil Stephen für einen Abschluss nach North Carolina gezogen ist. Das hat viele der Songs auf dem neuen Album beeinflusst. Zum Beispiel “Get Enough”, in dem Sehnsucht, Traurigkeit und unerfüllte Wünsche in einem symbolträchtigen Satz ganz am Anfang zusammenkommen: “I wish the Beatles would get back together” - Ich wünschte, die Beatles würden wieder zusammenkommen. Sun June sind eine dieser Bands, die das Rad nicht neu erfinden, aber doch irgendwas anders und besser machen als viele andere Bands, die sich in dieser Melange aus Indie-Folk-Rock mit leichtem Country-Einschlag bewegen. Vielleicht ist es die angenehm beiläufige, luftige Stimme von Sängerin Laura Colwell und die tollen Melodien. Die kleinen Szenen in den Songs, die atmosphärisch und textlich so schön bebildert werden. Wie die Autofahrt, wo sich die Sängerin die ganze Zeit fragt, wie der John-Prine-Song heißt, der gerade im Radio läuft. (8,0 Punkte)

Bombay Bicycle Club – My Big Day

Die britische, grundsympathische Band Bombay Bicycle Club liefert jetzt seit fast 15 Jahren verlässlich guten Indie-Rock ab. So verlässlich, dass sich die Spannung auf ein neues Album bei mir eigentlich in Grenzen gehalten hat. Aber dann haben mich die Londoner doch überrascht: und zwar diesmal mit einer ganzen Reihe von Feature-Gästen von Damon Albarn über Nilüfer Yanya bis hin zur Soul-Größe Chaka Khan. Allein dafür gibt’s neue Sympathie-Punkte. Und auch ohne Gäste funktioniert ihr vertrauter Indie-Sound weiter tadellos. (7,4 Punkte)

Crime & the City Solution - the killer

Damit zu einer Band, deren Anfänge im Australien der späten 70er Jahre liegen und im Umfeld von Nick Caves Band The Birthday Party: dort hat Simon Bonney seine Rockband Crime & The City Solution gegründet. Später, ab Mitte der 80er und nach dem Umzug nach London und dann Berlin, haben sogar Mitglieder von Birthday bei Crime & The City Solution gespielt. Die Band ist heute wieder aktiv und bringt jetzt ihr erstes Album seit mehr als zehn Jahren raus. The Killer. Elegischer als auf diesem Album kann Rock nicht klingen. Das neue Album dieser alten Band ist geprägt von Frontmann Simon Bonneys Arbeit für Hilfsprogramme im indopazifischen Raum, wo er viel Gewalt und Leid gesehen hat und das in schwermütigen, aber tröstlich erhabenen Songs verarbeitet. Crime & The City Solution sind auch live zu sehen in München am 5. Dezember im Muffatwerk. (7,3 Punkte)