Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Mitski, Chilly Gonzales und Corinne Bailey Rae

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit Mitski, Vagabon, Chilly Gonzales, Alan Palomo, Corinne Bailey Rae, Automat, Nation of language, Ash, Fehlfarben und Explosions in the sky.

Von: Angie Portmann

Stand: 07.09.2023

Chilly Gonzales | Bild: Anka

MITSKI - THE LAND IS INHOSPITABLE AND SO ARE WE

Wer Mitski mag, der muss flexibel sein. Ihr Spektrum reicht vom klassischen Indierock über euphorischen Synth-Pop bis zum aktuellen Folk-Pop. Dafür hat sich die Musikerin mit den amerikanisch-japanischen Wurzeln sogar ein Orchester und einen 17-köpfigen Chor ins Studio geholt. Lässt Country-Klänge genauso wie Ennio Morricone-Sequenzen durchschimmern. Das neue Album der 33-jährigen ist dann auch in Nashville, dem aktuellen Wohnort von Mitski, und in LA entstanden. Mit Melodien zum Niederknien. Und kurzen Momentaufnahmen, die zu hochemotionalen, sehr berührenden Bildern werden. Nach dem Tik Tok-Fame der letzten Jahre schnappt sich Mitski damit auch noch den gediegenen Mainstream. Mitski selbst sagt über die Platte, es sei ihr „most american album“. Ich sage: damit wird sie vermutlich auch ganz weit oben in den US-amerikanischen Charts landen. (8 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Mitski - Bug Like an Angel (Official Music Video) | Bild: MitskiVEVO (via YouTube)

Mitski - Bug Like an Angel (Official Music Video)

CHILLY GONZALES - FRENCH KISS

Zuletzt hab ich „Gonzo“ im Münchner Prinzregententheater gesehen, wie immer in Bademantel und Pantoffeln. Ein Entertainer par exzellence. Am Ende des Abends hatte er sich wieder völlig verausgabt und war total verschwitzt. Das Publikum hingerissen, ich auch. Beide Seiten offensichtlich musikalisch völlig ausgehungert nach endlos langen Pandemie-Monaten. “Music is back” war damals das Motto des Abends. Welche Musik ist für Chilly Gonzales dabei völlig irrelevant. Gonzo switcht mühelos von Klassik zu Jazz zu Elektronik zu Rap. So mühelos wie andere die Straße überqueren.

Der kanadische Pianist und Showman, der schon seit Jahren mit seiner deutschen Frau und seiner Tochter in Köln wohnt, ist aber nicht nur live für die ein oder andere Überraschung gut. Im vergangenen Jahr hat er z.B. mit dem Techno-Produzenten Richie Hawtin ein gemeinsames Album veröffentlicht. Oder ein Buch über „Enya“ geschrieben, Stichwort „guilty pleasures“. Auf seinem neuen Album „French kiss“ sprechsingt Gonzales jetzt mehr oder weniger auf französisch, reimt Baudelaire auf Bangalter, pommes des terre auf Robespierre. Und wird dabei unterstützt von etlichen französischen Musiker*innen wie Bonnie Banane oder dem Rapper Teki Latex.

Gonzo mag ein fabelhafter Pianist sein, seine Lust an skurrilen Wortwitzen und schrägen Songideen ist definitiv noch größer. Dazwischen dann aber auch immer wieder intime, ja romantische Piano-Passagen im Stil von „Solo Piano“ … und, apropos „guilty pleasures“ sogar ein Stück mit dem französischen Easy Listening-Helden Richard Clayderman. Gonzo schreckt vor nichts zurück … incredible strange, aber auch incredible unterhaltsam. (7,9 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Chilly Gonzales - Cut Dick (Official Video) | Bild: Chilly Gonzales (via YouTube)

Chilly Gonzales - Cut Dick (Official Video)

ALAN PALOMO – WORLD OF HASSLE

Auf Chilly Gonzales folgt Alan Palomo – noch so ein schillernder Paradiesvogel. Lange Jahre Kopf des texanischen Chill-Wave-Projekts Neon Indian und jetzt mit seinem bürgerlichen Namen Alan Palomo unterwegs. „World Of Hassle“ heißt sein Solo-Debüt, eine herrlich glitzernde Synth-Pop-Platte, vollgestopft mit Peinlichkeiten aus den 80’s: penetranten Saxophon-Soli, cheesy Synthies, fragwürdigen Gitarrenriffs. Alles immer einen Ticken drüber und ein großer Spaß. Dabei zitiert Palomo durchaus ehrwürdige Vertreter dieser Epoche, lässt sowohl Prefab Sprout als auch Talk Talk in seinen Songs auftauchen. Buntes postironisches 80’s Kino. (7,8 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Alan Palomo - Meutrière (feat. Flore Benguigui) [Official Video] | Bild: Alan Palomo / Neon Indian (via YouTube)

Alan Palomo - Meutrière (feat. Flore Benguigui) [Official Video]

VAGABON - SORRY, I HAVEN'T CALLED

Vagabon, das ist Laetitia Tamko, in Kamerun geboren, aufgewachsen in New York und ausgebildete Software-Entwicklerin. Musikerinnen wie Vagabon und Mitski haben vor nicht allzu langer Zeit noch neue aufregende Indie-Entwürfe abgeliefert und wurden dafür euphorisch gefeiert. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Indie-Genre „unbearable white“ sei, unerträglich weiß, wie Vampire Weekend beklagt haben. Vagabon und Mitski, in Kamerun bzw. Japan geboren, waren da die Rettung und standen für einen Neuanfang des überholten Genres. Das war gestern. Auf ihrem morgen erscheinenden Album klingt Vagabon schon wieder ganz anders. „Do your worst“ z.B. ist strahlender Pop mit einem smoothen Drum’n’Bass-Beat, „Autobahn“ kommt mit einer versteckten Krautrock-Reminiszenz um die Ecke und „Lexicon“ ist ein ultra-entspannter Smash-Hit für die letzten lauen Spätsommernächte. Allein der letzte Song auf ihrem neuen Album, der Song „Anti Fuck“ erinnert noch an ihre Anfangszeiten.

Geschrieben und aufgenommen hat Vagabon ihr Album größtenteils während eines mehrmonatigen Aufenthalts in einem abgelegenen Dorf nördlich von Hamburg. Nach dem plötzlichen Tod eines sehr guten Freundes, dem Produzenten und Wissenschaftler Steve Sobs, hat Vagabon ihre Wohnung in New York aufgegeben und sich dorthin, ins norddeutsche Nirgendwo, zurückgezogen. Um zu trauern und um an einem neuen Album zu arbeiten. Das dann erstaunlicherweise ihr bisher positivstes wurde. Eine Platte voller abwechslungsreicher, schwebender Dance-Beats und unkomplizierter Lyrics. Für einen Nachmittag in der Hängematte, in Gedanken vielleicht schon auf dem Weg in den Club. Produziert hat die Platte Vagabon selbst zusammen mit Rostam Batmanglij, Gründungsmitglied von Vampire Weekend und u.a. Produzent von Haim und Clairo. Ein luftig-leichter Lifesaver. (8 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Vagabon - Can I Talk My Sh*t? (Official Music Video) | Bild: Vagabon (via YouTube)

Vagabon - Can I Talk My Sh*t? (Official Music Video)

CORINNE BAILEY RAY - BLACK RAINBOWS

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an “Put your records on“, den super eingängigen Soul-Pop-Radio-Hit von Corinne Bailey Rae. Der Song ist allerdings auch schon wieder 17 Jahre alt und hat mit „Black rainbows”, dem neuen Album der Britin, so gar nichts zu tun. „Black rainbows“ ist eine Platte, die sehr experimentell beginnt, mit „New York transit queen“ einen kurzen Schlenker Richtung Glam und Trash macht, aber auch sehr ambitionierten Soul-Jazz kann. Wie kam’s zu dieser Neuerfindung?

Nun, Theaster Gates, ein Konzeptkünstler und Uni-Professor aus Chicago war es, der Corinne Bailey Rae dazu inspiriert hat. Er bzw. seine Sammlung. Zu sehen in der Stony Island Arts Bank in Chicago. Die Sammlung beschäftigt sich mit Themen des afroamerikanischen Alltags, Themen wie Identität und Weiblichkeit. Gates hat hier ein gigantisches Archiv der schwarzen Kunst, der schwarzen Geschichte zusammengetragen, das Corinne Bailey Rae sehr beeindruckt hat. Der Besuch der Stony Island Arts Bank hätte quasi ihr Leben, ihre Sichtweise auf die eigene Identität völlig verändert, meinte sie in einem Interview mit Channel 4 … „Black rainbows“ ist deshalb auch nicht nur ein Album geworden, sondern ein Projekt, das Musik, Visuals, Vorträge, Ausstellungen und Live-Auftritte umfasst. Ein Projekt, mit dem zu beschäftigen sich durchaus lohnt. Auch wenn es schmerzhaft sein kann. (7,9 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Corinne Bailey Rae - Peach Velvet Sky (Official Music Video) | Bild: CorinneBaileyRaeVEVO (via YouTube)

Corinne Bailey Rae - Peach Velvet Sky (Official Music Video)

AUTOMAT - HEAT

„Heat“ ist mittlerweile das fünfte Album der Berliner Allstar-Band Automat. Automat, das ist zum einen der Schlagzeuger Achim Färber, der u.a. auch schon für Philipp Boa getrommelt hat und aktuell mit der Münchner Rock-Combo Eisbrecher unterwegs ist. Dann Georg Zeitblom, der auch schon diverse Hörspiele vertont hat, die hier auf Bayern 2 zu hören waren und Max Loderbauer. Loderbauer wiederum passt perfekt zu diesem sehr dubbigen, weitgehend instrumentalen Projekt, ist er nicht zuletzt auch ein Teil des Moritz von Oswald Trios. Und als Kirsche oben drauf und viertes Bandmitglied hat man sich noch den Kanadier Deadbeat geangelt.

Automat haben sich zwar über die Jahre personell etwas verändert, die musikalische Ausrichtung ist aber mehr oder weniger gleichgeblieben. Der Album-Opener, ein Song mit der Argentinierin Barbie Williams, klingt nach slickem Downbeat, der auch schon in den 90‘s hätte erscheinen können und gerade wieder relativ hip ist. Das krautige „I was never here“ mit Gemma Ray könnte fast in einem David Lynch-Film auftauchen. Dazwischen wird’s dann auch immer wieder extrem dubbig und entwickelt eine angenehme Sogwirkung, vor allem wenn die beiden Reggae-Stimmen Prince Alla und R Zee Jackson zu hören sind. Nicht unbedingt eine homogene Platte, aber auch keine langweilige. (7,8 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Automat - Climb | Bild: Compost Records (via YouTube)

Automat - Climb

NATION OF LANGUAGE - STRANGE DISCIPLE

Ian Devaney, der Sänger von Nation of Language hat bei seinem Vater im Auto „Electricity“ von der 80s-Combo Orchestral Manoeuvres In The Dark gehört. Da wusste er, genau diesen Sound wollte er auch machen. Mission accomplished. Das New Yorker Trio Nation of Language hat sich auch für sein drittes Album wieder sehr an den 80’s orientiert, an New-Wave und Post Punk. Und diesmal sogar alles analog aufgenommen. Die Synthies pluckern fröhlich vor sich hin, dazwischen ein Hauch von Krautrock, die melancholischen Melodien wieder Lastwagen groß. Kein Wunder, dass ihre Europa-Tour gut läuft. Daheim in Brooklyn sind Nation of Language übrigens auch ausgesprochen gut vernetzt, Fabrizio Moretti von den Strokes hat schon für sie getrommelt. Und in dem Video zu dem eben gehörten Song „Too much, enough“ sind Adam Green und Kevin Morby zu sehen. Einen Innovationspreis bekommen sie trotzdem nicht von mir. (6,8 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Nation of Language - Sole Obsession [Official Music Video] | Bild: Nation of Language (via YouTube)

Nation of Language - Sole Obsession [Official Music Video]

ASH - RACE THE NIGHT

Zeitreise die zweite, diesmal geht’s ins Münchner Atomic Cafe. 2015 ja leider von uns gegangen, davor aber beliebter Treffpunkt für alle Britpop- und Indie-Fans. Auch Tim Wheeler, Sänger der Band Ash war natürlich dort und fand’s toll. Vor allem als der DJ den Ash-Hit „Girl from Mars“ aus dem Jahr 1995 gespielt hat. Vielleicht findet sich ja auch deshalb auf dem neuen, achten Album der Nordiren mit „Usual places“ eine Hymne auf Orte wie das Atomic Café.

Ash klingen hier als kämen sie gerade frisch vom College und die Indie-Welt läge ihnen zu Füßen. Eigentlich möchte man meinen, dass die Hoch-Zeiten von Ash schon eine Weile hinter uns liegen, genauso wie die langen Nächte im Atomic Café. Wobei, wir leben ja bekanntlich in einer immer schneller rotierenden Zeitschleife. Und da am Ende des Monats, am 29. September das Atomic Café nach München zurückkehren soll, nicht als eigenständiger Club aber zumindest als Partyreihe in der Fat Cat, also dem ehemaligen Gasteig - wer weiß, vielleicht starten ja auch Ash nochmal voll durch. Genügend Indie-Hits, mal brachial rockend, mal brit poppend, hätten sie auf alle Fälle auf ihrem neuen Album. (7,6 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Ash - Race The Night (Official Video) | Bild: Ash (via YouTube)

Ash - Race The Night (Official Video)

FEHLFARBEN - HANDBUCH FÜR DIE WELT

Soviel Nostalgie, wenn das mal gut geht … da hebt doch gleich der alte Nörgler Peter Hein von den Fehlfarben die Hand und singt „Erinnerungen sind alles, was mir bleibt. Nicht jede Vergangenheit war eine bessere Zeit“. Da hat er natürlich, wie so oft, Recht. Trotzdem war es eine gute Idee „Handbuch für die Welt“, das Fehlfarben-Album aus dem Jahr 2007, wieder zu veröffentlichen, jetzt auch auf Vinyl. Scharf und schonungslos wird da unsere Gegenwart seziert, mit erstaunlich heutigen Seitenhieben auf Politik und Gesellschaft. Aber auch mit zeitlos-weitsichtigen, ja berührenden Songs wie „Am Ende das Meer“. (7,8 von 10 Punkten)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Am Ende das Meer | Bild: Fehlfarben - Topic (via YouTube)

Am Ende das Meer

EXPLOSIONS IN THE SKY - END

Die texanische Instrumentalband Explosions in the sky wird ja gern mit Postrock-Größen wie Mogwai oder Godspeed you black emperor verglichen. Nach sieben Jahren Albumpause, in der die Band nicht untätig war und u. a. an Filmscores gearbeitet hat, erscheint nun ein neues Album der Texaner. Orchestraler, unglaublich wuchtiger, manchmal aber auch wunderbar zarter Postrock. Das Album trägt den schlichten, für Fans leicht beunruhigenden Titel „End“. Laut Band wird hier aber nicht das Ende der Band angekündigt. Es geht vielmehr darum, dass jedes Ende auch als Anfang von etwas Neuem betrachtet werden kann. (7,7 von 10)

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Explosions in the Sky - "Loved Ones" | Bild: Explosions In The Sky (via YouTube)

Explosions in the Sky - "Loved Ones"