Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Devendra Banhart, Loraine James und Roosevelt

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit Devendra Banhart, CHAI, yeule, Loraine James, Mouse on Mars, Laurel Halo, Will Butler & Sister Squares, A Million Mercies, Cleo Sol, Kiefer, Roosevelt, Doja Cat und The National.

Von: Ann Kathrin Mittelstraß

Stand: 21.09.2023

Devendra Banhart | Bild: Mexican Summer

Will Butler & Sister Squares - Will Butler & Sister Squares

Unfassbar wie sehr sich die Stimmen der Butler-Brüder ähneln! Ich hab auf dem neuen Album von Will Butler immer wieder das Gefühl, grade Arcade Fire zu hören, nur mit etwas weniger Pathos. Aber dafür ist dieser treibende Synth-Rock hier nicht weniger mitreißend. Will Butler ist letztes Jahr nach 20 Jahren aus Arcade Fire ausgestiegen - noch bevor die Anschuldigungen gegen seinen Bruder Win wegen sexuellen Fehlverhaltens gegenüber Fans an die Öffentlichkeit kamen. Für sein neues Solo-Album wollte er ursprünglich allein im Keller vor sich hin werkeln. Aber dann hat er doch immer wieder das Feedback seiner Tour-Band geschätzt: Sister Squares, wo praktischerweise auch gleich seine Frau und seine Schwägerin mit dabei sind. Am Ende haben sie das Album gemeinsam gemacht. It’s a family affair - wieder mal. Das Internet ist sich übrigens über die Singles schon einig: klingen wie das Arcade Fire-Reflektor Album von 2013. (7,9 von 10 Punkten)

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Will Butler + Sister Squares // LONG GRASS (Official Video) | Bild: Will Butler (via YouTube)

Will Butler + Sister Squares // LONG GRASS (Official Video)

Devendra Banhart – Fying Wig

Damit zu dem Mann, der in den frühen Nullerjahren die Freak Folk und New Weird America Bewegung mit angeführt hat: Devendra Banhart. Der amerikanisch-venezolanische Songwriter ist weiterhin auf Hippie-Trippie-Kurs, aber nicht mehr so folkig, sondern mehr mit Synthies. „Flying Wig“ ist sein 11. Album. Die fliegende Perücke bleibt ein Rätsel, das auch im Titeltrack leider nicht gelöst wird. Da tanzt er nur nackt und kopflos durch die Gegend und kommt zur Erkenntnis, dass die einzige Gewissheit die Liebe ist. Man merkt Devendra Banhart an, dass er ein Suchender ist, der seine konstante Traurigkeit durch Musik in etwas anderes verwandeln möchte. Und man folgt ihm gerne in diesen sphärisch-vernebelten Dark Pop mit sanfter Elektronik und psychedelischen Anklängen. Seine Produzentin und Tripsitterin auf dem Weg zum neuen Album war diesmal die Waliserin Cate Le Bon, die ihm geholfen hat, sein Gedankenchaos zu ordnen und in eigentümlich schöne Songs zu packen. (7,7 von 10 Punkten)

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Book of Bringhi | Bild: Devendra Banhart - Topic (via YouTube)

Book of Bringhi

CHAI – s/t

Jetzt nach Japan und zu CHAI. Die vier Musikerinnen Mana, Kana, Yuna und Yuuki bringen ihr viertes Album raus. Auf ihren ersten Alben waren CHAI noch sehr viel krawalliger unterwegs, das war eine Mischung aus Elektro-Pop und Punk. Zuletzt herrscht ein entspannterer Vibe bei ihnen. Den hört man auch auf dem neuen selbstbestitelten Album der vier Japanerinnen. Der Song „Para Para“ ist benannt nach einem Tanzstil, der in den späten 80ern/frühen 90ern in Japan unter Schulmädchen kursierte, da wurde eigentlich zu trashigem Eurodance getanzt. Das ersparen uns CHAI hier, bei ihnen hört man eher Disco raus. An anderer Stelle auch City Pop. Das ist eine Art japanischer Easy Listening Sound, der Ende der 70er in Tokio entstanden ist und dank TikTok und YouTube in den USA ziemlich populär ist. Also viele Einflüsse auf dem neuen CHAI Album. Das klingt wie ein buntes Wimmelbild mit zwischendrin kleinen Ruheinseln. (7,4 von 10 Punkten)

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CHAI - NEO KAWAII, K? - Official Music Video | Bild: CHAI official (via YouTube)

CHAI - NEO KAWAII, K? - Official Music Video

yeule - Softscars

Auch yeule bringt ein neues Album raus. Geboren in Singapur, lebt in London, eine nicht binäre Person, die seit ihrem letzten Album “Glitch Princess” von den Musikblogs als neue Avantgarde-HyperPop-Sensation gefeiert wird. „Softscars“ heißt ihr neues Album. Im Song „dazies“ schnurrt  am Anfang irgendwo eine Katze. Das ist eigentlich schon das unkonventionelleste an dem Song von Nat Cmiel, wie yeule richtig heißt. Im Vergleich zum fordernden Vorgängeralbum - auf dem auch ein 5-Stunden-Song war - klingt das nach überraschend zugänglichem Alternative-Rock aus den Nullerjahren mit grungigen Tönen. Der Hyperpop, also der überdrehte Pop mit weirden Sounds, wo’s auch mal glitcht und quietscht, ist auf dem neuen Album etwas in den Hintergrund getreten. Wobei es zwischen den ruhigen Songs mit den hübschen Melodien schon auch mal kunstvoll übersteuert. Yeule sieht übrigens aus wie aus einem Tumblr-Blog entsprungen, der sich mit Videospielen und Mangas befasst. Also wer mit so einer Ästhetik was anfangen kann, ist bei der Kunstfigur yeule richtig. (7,6 von 10 Punkten)

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yeule - 'softscars' (Official Audio) | Bild: yeule (via YouTube)

yeule - 'softscars' (Official Audio)

Loraine James – Gentle Confrontation

Wir bleiben in London, wo Loraine James aufgewachsen ist, im Norden der Stadt, in einem riesigen Hochhaus, mit einer Mutter, die alles von Metal über Calypso gehört hat. Loraine James selbst ist bei der elektronischen Musik gelandet. Auf ihrem neuen Album „Gentle Confrontation“ hören wir auf dem Song „2003“ etwa die Konfrontation mit dem Tod ihres Vaters, als sie sieben Jahre alt war. Es gibt einige Songs wie diesen, die wie Tagebucheinträge klingen. Stream of Consciousness Sprechgesang über avancierter Elektronik. An anderer Stelle hört man sie Kartenspielen mit den Großeltern. Das Geräusch des Kartenmischens wird zum interessanten Soundeffekt. Das ist Intelligent Dance Music, die berührt und aufregend ist mit ihren vielen Einflüssen von Ambient über Pop bis Drill’n’Bass. Und es gibt interessante Gäste zu hören, wie die katalanische Sängerin Marina Herlop, die ich fantastisch finde. Loraine James hat einen unheimlichen Output. Gentle Confrontation ist ihr 5. Album in 4 Jahren, es erscheint auf dem Londoner Hyperdub-Label. Einziger Kritikpunkt: mit 16 komplexen Tracks find ich es ein bisschen zu lang. (8,0 von 10 Punkten)

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Loraine James - Déjà Vu feat. RiTchie | Bild: Loraine James (via YouTube)

Loraine James - Déjà Vu feat. RiTchie

Laurel Halo - Atlas

Die nächste Musikerin hat sich auf 10 Tracks beschränkt: Laurel Halo. Ihre ersten Alben hat sie vor 10 Jahren auch bei Hyperdub veröffentlicht. Das Neueste erscheint jetzt auf ihrem eigenen Label, Awe, so wie englisch Ehrfurcht. Darauf ist zum Beispiel die sachte Piano-Ballade „Belleville“ feat. Cobey Sey. Der Brite sorgt hier für einen winzigen Moment stimmlicher Aufruhr auf dem ansonsten komplett instrumental gehaltenen neuen Album von Laurel Halo. Geboren ist sie in Ann Arbor, Michigan, hat länger in Berlin gelebt und ist von Jazz und Filmmusik genauso beeinflusst wie von Detroit Techno. Ihre bisherigen Alben waren immer elektronisch-experimentell, mal mehr, mal weniger sperrig. Das neue Album Atlas fällt da aber aus der Reihe. Es klingt wie eine leise Symphonie, die die Abenddämmerung musikalisch auslotet: mit Ambient-Flächen, mit Orchesterwogen und immer wieder diesem Klavier, über dem ein etwas dumpfer Schleier liegt. Ein Roadtrip ins Unterbewusstsein, nennt Laurel Halo das selbst. Ein Album, das man unbedingt am Stück hören sollte. Am besten in der Abenddämmerung. (8,2 von 10 Punkten)

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Atlas | Bild: Laurel Halo - Topic (via YouTube)

Atlas

Mouse on Mars - Bilk

Die deutschen Soundtüftler Mouse on Mars präsentieren uns auf „Bilk“ 20 Jahre altes Material, das sie wieder ausgegraben leicht erneuert und editiert haben. Ich sag schon mal: Achtung: Kunst! Zum Beispiel gleich auf dem ersten Track. Ich als großer Enten-Fan komme hier voll auf meine Kosten. Ich glaube zumindest, ich höre hier immer zerhacktes Enten-Schnattern. Gemischt mit diversen anderen Naturgeräuschen wie Grillen, auch Babys hört man später und das Einwahlgeräusch eines Modems. Wie ein akustisches Suchbild klingt das Album Bilk von Mouse on Mars. All diese Sounds haben Andi Toma und Jan Werner 1994 rund um ihr Studio im Düsseldorfer Stadtteil Bilk aufgenommen, daher der Albumtitel. Zusammen mit allerlei Soundeffekten haben sie damit ein Stück beigetragen zu einem Ambient-Radioprojekt, das damals in Finnland ausgestrahlt wurde - und dann nie wieder. Jetzt, zum 30-jährigen Mouse on Mars Jubiläum, fangen sie mit Bilk an, ihr frühes Material nochmal zu sichten und zu überarbeiten. (keine Wertung)

The National – Laugh Track

Damit zum ersten von zwei Alben, die grade ohne große Ankündigung erschienen sind. Auf einmal war da ein neues Album von The National. Eine Art Schwesteralbum zum vor nicht mal einem halben Jahr erschienen “First Two Pages of Frankenstein”. Das neue heißt Laugh Track. Beim Song „Deep End“ wird sich in den Kommentarspalten im Netz am meisten darüber gefreut wird, dass die Drums zurück sind! Richtige Drums, gespielt von Bryan Devendorf. Auf dem letzten Album gab’s vor allem programmierte Drums aus dem Computer. Die haben zum Teil so sanft und hübsch gepluckert, dass man meinen konnte, der Geist von Gastsängerin Taylor Swift schwebt ein bisschen zu sehr über dem Album. Das Neue ist jetzt nicht soooo viel anders. Ich muss auch zugeben, ich war zuletzt etwas gesättigt von dem gesettelten Dad-Rock von The National. Deshalb sind mir beim ersten Hören auch vor allem die wieder etwas farblosen Songs aufgefallen. Aber es gibt doch ein paar starke, wo sie aus der Komfortzone ausbrechen, “Space Invader” etwa oder das letzte, knapp 8 Minuten Stück “Smoke Detector”, aufgenommen wie ein Jam beim Soundcheck mit improvisierten Lyrics von Matt Berninger. (7,5 von 10 Punkten)

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Deep End (Paul’s in Pieces) | Bild: The National - Topic (via YouTube)

Deep End (Paul’s in Pieces)

Cleo Sol - Heaven

Das zweite Album, das ziemlich überraschend erschienen ist, kommt von Cleo Sol, die man auch als Stimme der britischen Band SAULT kennt. Heaven heißt das Album. Die Themen darauf drehen sich um Beziehungen zu anderen Menschen. Liebe, Treue, Mutterschaft, Freundschaft. Diese Themen übersetzt Cleo Sol in delikaten RnB und Soul. Manchmal sind jazzige Noten zu hören, manchmal leicht funkige in der Produktion. Dafür war wieder einmal Dean Josiah Cover alias Inflo verantwortlich, der Mann, der das mysteriöse britische Kollektiv SAULT anführt. Dessen Stimme wiederum Cleo Sol ist, was ein offenes Geheimnis ist. Cleo Sol hat dafür, dass sie sehr öffentlichkeits- und Social Media-scheu ist, ein ganz schönes Standing in der britischen Musikszene. Inklusive ausverkaufter Show in der Londoner Royal Albert Hall dieses Jahr. Ihr Feature mit Little Simz dürfte vielleicht geholfen haben. (7,8 von 10 Punkten)

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Self | Bild: Cleo Sol - Topic (via YouTube)

Self

Kiefer – It‘ Ok, B U

Kiefer ist ein Pianist und Producer aus der Jazz- und Improvisations-Szene in Los Angeles. Auf seiner Wikipedia-Seite steht extra: nicht zu verwechseln mit Kiefer Sutherland. Aber der Schauspieler macht ja nebenbei Country-Musik und hier, beim anderen Kiefer, hören wir eindeutig einen Jazz-geschulten Pianisten. Und Produzenten. Sehr laid-back ist der Sound. Unter seinen mühelosen Klavierläufen liegen mal entspannte Kopfnicker Beats, mal Stolper-Beats, auch mal super schnelle Drums. Sehr lässiges Album von Kiefer, der für seine Zusammenarbeit mit Anderson .Paak übrigens schon einen Grammy bekommen hat. Das morgen erscheinende Album heißt “It’s Ok, B U”. (8,0 von 10 Punkten)

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Kiefer – "Doomed" (Official Visualizer) | Bild: Kiefer (via YouTube)

Kiefer – "Doomed" (Official Visualizer)

Roosevelt - Embrace

Auch der Kölner Dance-Pop Produzent und Sänger Marius Lauber, besser bekannt als Roosevelt, veröffentlicht ein neues Album, „Embrace“. Roosevelt gehört zu den wenigen deutschen Künstlern, die auch international funktionieren, deren Musik regelmäßig von US-Musikblogs wie Pitchfork oder Stereogum besprochen wird. Pitchfork hat seinen Sound 2016 beim ersten Album als “Cocktail aus Disco, French Touch, Ibiza House, Yacht Rock und Electro-Pop" beschrieben, der irgendwo auf einem Dancefloor im Mittelmeerraum läuft. Und das trifft auch immer noch zu, auch auf dem vierten Album “Embrace”. Bei der Single „Ordinary Love“ hab ich mich vor allem wegen der Sirenen vielleicht kurz an die Londoner Neo-Disco Band Jungle erinnert gefühlt, an deren erstes Album. Aber ansonsten geht’s mir leider wie immer: irgendwie klingt für mich jeder Song gleich. Aber dafür hat sich Roosevelt seinen eigenen charakteristischen Sound geschaffen und der ist schon gut. (7,4 von 10 Punkten)

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Rising | Bild: Roosevelt - Topic (via YouTube)

Rising

A Million Mercies - Unten im Süden - Westerngedichte & Weg zur Hölle

Damit noch in die bayerische Musikszene. Es gibt was Neues vom geschätzten Independent-Label Hausmusik und seinem Gründer Wolfgang Petters. Mit seinem Projekt A Million Mercies hat er jetzt Gedichte vertont. Und zwar vom Schriftsteller, DJ und Schauspieler Franz Dobler. Herausgekommen ist das Doppelalbum "Unten im Südem Westerngedichte & Weg zur Hölle. Während der Pandemie hat sich Wolfgang Petters jeden Samstag ein Franz Dobler Gedicht vorgenommen und in einen Song verwandelt. Das klingt oft nach Country, aber auch mal punkig oder New Wavig. Ein sympathisches Lo-Fi Projekt für alle, die ein Herz für Underdogs haben. Am Wochenende (22.-24.09.2024) gibt’s diese Gedichte auch live zu sehen und zu hören im Landsberger Stadttheater beim Machen Festival. (7,5)

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Weg zur Hölle | Bild: A Million Mercies - Topic (via YouTube)

Weg zur Hölle

Doja Cat - Scarlet

Von den Underdogs noch zu den Superstars. US-Rapperin Doja Cat bringt ihr neues, viertes Album „Scarlet“ raus. Die Plattenfirma hält es natürlich bis zum Veröffentlichungsdatum unter Verschluss. Ich kenn also auch nur die Singles. Aber die sind ziemlich gut. Erster Eindruck: tighter Rap und gute Samples. Auf dem Song „Paint the Town Red“ hören wir z.B. ein Sample von „Walk on By“ von Burt Bacharach/Dionne Warwick. (Keine Wertung)

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Demons | Bild: Doja Cat - Topic (via YouTube)

Demons