Buck Meek – Haunted Mountain

Buck Meek kennen wir eigentlich als Gitarrist der gefeierten Indie-Band Big Thief. Jetzt erscheint mit Haunted Mountain sein mittlerweile drittes Solo-Album. Buck Meek ist ein Welten- und Berge-Bummler. Seine neuen Solo-Songs sind in den Bergen Griechenlands, Portugals, der Schweiz und in Kalifornien entstanden. Sein Sound ist dabei aber immer tief verwurzelt im Americana, mit dem er in Texas aufgewachsen ist. Das ist mitreißend gespielter Alternative-Country, der mal rumpelt, mal hübsch schunkelt, wo die Gitarren auch mal zerren und die Pedal Steele im Hintergrund schön vor sich hin “twangt”. Tolle Musiker, tolle Melodien. Man weiß allerdings wieder, warum bei seiner Hauptband Big Thief nicht er singt: Buck Meeks immer leicht schräger, windschiefer Gesang ist und bleibt sehr eigen. Aber: Menschen, die Bob Dylans als begnadeten Sänger verteidigen, werden das auch bei Buck Meek tun. (7,8 von 10 Punkten)

Hiss Golden Messenger – Jump for Joy

Hiss Golden Messenger aus Durham, North Carolina, ist die Band um Singer/Songwriter MC Taylor, der seit Mitte der Nullerjahre Blues- und Gospel getränkten Country-Folk veröffentlicht, der auch schon mal Grammy-nominiert war. Auf dem neuen Album hat sich MC Taylor ein Alter Ego ausgedacht, das an seiner Stelle über das Leben als Musiker und mittlerweile Vater sinniert. Offenbar hat ihm dieser Umweg zu etwas mehr Leichtigkeit verholfen. Das neue Album “Jump for Joy” hat einen warmen, sonnigen Grundton, der Titeltrack ist ein beschwingter Honky Tonk. Und wenn MC Taylor die Vokale zieht wie Dylan und die Backing Vocals von Amy Helm kommen, der Tochter von Levon Helm von The Band, fühlt man sich musikalisch gleich in vertrauten Gefilden. Nichts, was man so nicht schon mal gehört hätte. Aber ein grundsympathisches, gutes Album. (7,4 von 10 Punkten)

Resi Reiner – Weißt du, was ich mein?!

Damit nach Österreich zu Resi Reiner, geboren 1996 in Graz, wohnhaft in Wien. Früher Kinderschauspielerin, heute für mich die neue kindliche Kaiserin des Indie-Schlager. Sie ist bekennender Fan von Vicky Leandros und so schmerzhaft schön wie die das Leben liebt, in ihrem berühmten Schlager, so schmerzhaft schön zweifelt Resi Reiner daran auf ihrem Debütalbum „Weißt du, was ich mein?!“. Im Song “Dunkles Herz” umwehen leichte Synthies die zarte, kindliche Stimme, ganze sachte, um nichts kaputt zu machen in ihrem dunklen Herzen, in dem zu viel Liebe, Lethargie, Leidenschaft und Licht steckt. Die 4 großen L’s im Leben von Resi Reiner. Wobei die Lethargie in den Songs der Österreicherin am meisten ansteckt. Es ist eine süße Endzeitstimmung, die zuweilen herrscht, auf dem Album. Und man freut sich über den schlauen und schrägen Witz, der aus ihren Texten spricht. Zum Beispiel wenn sie ein Liebeslied an ihren Espressokocher schreibt - oder an anderer Stelle an ihr Antidepressivum Trittico, das sie schlafen lässt. Sie selbst nennt ihre Musik übrigens Indie-Schlager. Der musikalisch aber recht unschlagerhaft daherkommt mit einem luftigen, leicht verspielten Sound-Gerüst, für das u. a. Florian Sievers von Das Paradies verantwortlich ist. (7,9 von 10 Punkten)

Die Regierung – NUR

Die Regierung ist zurück. Die Band um Songschreiber Tilman Rossmy hat ihre Anfänge in den 80ern in Essen und wurde zum Vorbild der Hamburger Schule Bands. Nach der Auflösung Mitte der 90er ist Die Regierung seit einigen Jahren wieder aktiv und beim Hamburger Staatsakt-Label unter Vertrag. “NUR” heißt das mittlerweile vierte neue Album der Band. Darauf gibt’s Lebens- und Liebesweisheiten, vorgetragen in so einer Schnoddrigkeit und erfrischenden Ungerührtheit, dass man Tilman Rossmy sofort als Life-Coach engagieren möchte. Man hat nach dem Anhören des neuen Albums seiner Band “Die Regierung” den festen Vorsatz, das Leben ab jetzt wirklich mal ein bisschen gelassener anzugehen! Hilft ja nix! Siehe die Liebe - besungen gleich auf mehreren Songs: völlig unberechenbar. Also: alle mal locker machen und sich von diesem knochentrockenen, spröden Rock ein bisschen erden lassen. Am 20. September wird Die Regierung ihr neues Album “NUR” live in München vorstellen, im Unter Deck. (8,4 von 10 Punkten)

Jaimie Branch - Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((world war))

Vor ziemlich genau einem Jahr ist die amerikanische Jazz-Trompeterin Jaimie Branch mit nur 39 Jahren gestorben. Sie hatte auch außerhalb der eingeschworenen Jazz-Szene viele Fans, ähnlich wie viele ihrer Kolleg:innen beim progressiven Chicagoer Label International Anthem. Da erscheint jetzt auch wieder das neue Album. Heraussticht hier eine ungewöhnliche Cover-Version. „the mountain” hat Jaimie Branch ihre Neu-Interpretation des Songs “Comin’ Down” genannt - im Original ein Song von den Meat Puppets von 1994. Jaimie Branchs Trompete hat ihren Auftritt in der Mitte des Songs, sie klingt wie eine ferne Erinnerung. In der Hauptrolle diesmal: ihre Stimme und die ihres Bassisten Jason Ajemian. Laut ihm und der Band hätte Jaimie Branch für dieses Album noch größer gedacht als je zuvor. Sie hätte mehr Modulationen gewollt, mehr Gesang, mehr Noise. Es sollte gewaltig klingen und voller Leben. Und das tut es. Das Album war so gut wie fertig, als Jaimie Branch 2022 gestorben ist. Vor allem bei Energie geladenen Songs wie “take over the world” und “burning grey” ist es schmerzhaft, zu wissen, dass diese Songs nie wieder live aufgeführt werden, Jaimie Branch nie wieder in ihren Baggy-Hosen und Baseball-Cap oder Wollmütze auf der Bühne stehen wird. Das neue Album “Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((world war))” immerhin bleibt. (8,8 von 10 Punkten)

SPELLLING - SPELLLING & The Mystery School

Aus Kalifornien kommt Chrystia Cabral alias SPELLLING – die drei “L” sind Absicht. Von ihr gibt’s die neue Compilation “SPELLLING & The Mystery School” mit einigen ihrer älteren Songs, neu eingespielt mit ihrer Band und dezent verändert. Man merkt der Kalifornierin an, dass sie sich in den letzten Jahren musikalisch weiterentwickelt hat und das jetzt nochmal an ihren alten Songs demonstrieren wollte. Aber der Eindruck bleibt, dass hier ohnehin schon ambitionierte, experimentelle Pop-Songs nur nochmal eine Spur ambitionierter aufgenommen wurden. Die Original-Songs klingen da im Vergleich zuweilen etwas müheloser. Wobei es oft nur Nuancen sind, die anders klingen. Ob’s so ein Album braucht, sei dahingestellt. (7,4 von 10 Punkten)

Bebel Gilberto - João

Noch ein Album mit alten Songs in neuem Gewand: die Tochter singt die Songs des Vaters: Bebel Gilberto veröffentlicht mit „João” eine Hommage an ihren Vater, den Bossa-Nova-Pionier João Gilberto. Darauf sind Songs wie „Desafinado“, „Adeus América“ oder „Eu Vim da Bahia“ - ich kam aus Bahia. Anders als ihr Vater João Gilberto, der tatsächlich im brasilianischen Bundesstaat Bahia geboren ist, kam die Tochter in New York auf die Welt. Die 57-Jährige hat seit langem eine erfolgreiche Solo-Karriere. Aber traut sich jetzt mal wieder an die Songs des Vaters ran. Der ist 2019 im Alter von 88 Jahren gestorben. Bebel Gilberto geht dabei auf Nummer sicher und bleibt sehr nah am Vater. Sie singt zärtlich-samtig, mal sehnsuchtsvoll, mal vorsichtig beschwingt. Vielleicht alles ein bisschen brav. Wie Norah Jones - nur in Bossa Nova. (7,2 von 10 Punkten)

Burna Boy – I Told Them

Damit nach Afrika und zu Afrobeats. Nicht zu verwechseln mit Afrobeat, dem Genre, das Fela Kuti in den späten 60ern mitbegründet hat. Afrobeats ist heute ein Oberbegriff für Pop aus Afrika, in dem die Beats rollen, in dem RnB und Dancehall steckt. Einer der weltweit größten Afrobeats Stars ist Burna Boy, der jetzt sein 7. Album “I Told Them” veröffentlicht. Damini Ogulu, wie er richtig heißt, kommt aus Nigeria, einem der Afrobeats-Zentren auf dem afrikanischen Kontinent. Er hat’s in den letzten Jahren zum globalen Superstar geschafft - u.a. durch geschickte Features mit bekannten Stars wie Ed Sheeran und Stormzy. Auf dem neuen Album gibt es weniger Gäste als sonst: Brit-Rapper Dave, 21 Savage und J.Cole sind mit von der Partie, zum Teil gibt’s weniger Afrobeats, sondern mehr klassischen HipHop mit 90er Samples. Ein Album, das seinen vorhersehbaren Weg im Mainstream wieder gehen wird - nach oben. (7,0 von 10 Punkten)

Be Your Own Pet - MOMMY

Vielleicht erinnert sich noch wer an Be Your Own Pet? Die Garage-Punk Band aus Nashville hatte eine kurze Karriere in den Nullerjahren, bevor sie sich aufgelöst hat. Jetzt ist sie zurück mit dem ersten Album seit 14 Jahren, „MOMMY“. Auf dem Song “Hand Grenade” singt bzw. schreit Sängerin Jemina Pearl Sätze wie „Ich bin kein Opfer /ich bin meine eigene Person. /Ich bin nicht verunglückt / ich befrei mich selbst”. Das ganze neue Album “Mommy” klingt wie ein ungestümer, wütender Befreiungsschlag. Und nebenbei Forderungskatalog für bezahlte Care-Arbeit und kostenlose Kinderbetreuung. Als Teenagerband auf dem Label von Thurston Moore waren Be Your Own Pet in den Nullerjahren rasant aufgestiegen, hatten dem Druck der Musikindustrie und dem Sexismus gegenüber Sängerin Jemina aber nicht standgehalten. Jetzt als Erwachsene gibt’s eine zweite Chance für die Band - von Jack White persönlich. Auf dessen Third Man Records Label erscheint das neue Album. Danke, Jack. (8,0 von 10 Punkten)

Becca Mancari – Left Hand

Die nächste Künstlerin lebt auch in Nashville, Tennessee, der Country-Hochburg. Vom Country hört man aber schon länger nicht mehr so viel im Synthie-Folk-Pop von Becca Mancari. Auf ihrem neuen Album gibt es einen Song, den sie zusammen mit ihrer Wahlfamilie geschrieben hat. So nennt die queere Songwriterin ihre gute Freundin Brittany Howard von den Alabama Shakes. An anderer Stelle hören wir ihre Nashville-Freundin Julien Baker Background Vocals singen. Leider zündet das neue Album “Left Hand” bei mir nicht so sehr wie das vorige Album, das ich sehr gern mochte. Musikalisch ist das Atmosphärische in diesem Synthie-Folk-Pop schön, aber zerfasert auf Albumlänge zuweilen ein bisschen. Und der Titeltrack: die tränenerstickte, halb gesprochene, halb gesungene Stream-of-Consciousness-Selbstbeichte und das Geloben, besser zu leben, hm. Hätte ich in der Form zumindest auch nicht gebraucht. (7,1 von 10 Punkten)

Public Possession – Chill Pill Vol. V Compilation

Zum Schluss noch die Empfehlung für eine neue Compilation: Das Münchner Label Public Possession veröffentlicht in seiner Chill Pill Reihe jedes Jahr Songs, die alle eines gemeinsam haben: sie sollen für den kleinen Urlaub im Kopf sorgen. Der kommt mal in Ambient-Stücken, mal in eher ausgelassenerer Form mit Beats daher. Wie z.B. beim DJ und Produzenten-Duo ddwy - aus vermutlich London. Die Künstler: innen, die auf dieser 5. Ausgabe der Compilation gefeatured werden, sind wieder eher im musikalischen Underground unterwegs. (7,5 von 10 Punkten)