Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von PJ Harvey, Gabriels und Anohni & The Johnsons

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's von PJ Harvey, Ahnoni & The Johnsons, Gabriels, Sepalot, Unloved, Little Dragon, V.A. The Songs Of Nick Drake, Tony Allen & Adrian Younge, African Headcharge, Alice Phoebe Lou und Galcher Lustwerk

Von: Ralf Summer

Stand: 06.07.2023

Gabriels - Single: Glory | Bild: Warner Music International

GABRIELS - Angels & Queens Pt 2

Er bleibt eine aufregende Stimme: Jacob Lusk – Sänger der schon gefeierten Gabriels, obwohl das eigentliche Debüt nun erst erscheint. „Angels & Queens Part 2“ heisst es und ist die Fortführung von „Angels & Queens Part 1“, eine Mini-LP, die das Gospel-Soul-Trio 2022 veröffentlichte. Und von Kendrick Lamar-Producer Sounwave aufgenommen wurde. Die Fans kennen also schon viele Lieder dieser Doppel-CD/Doppel-LP – wie The Blind, Taboo, To The Moon, Love and Hate in a Different Time, Glory und Mama. Eigentlich will man sich diesen künftigen Klassiker ganz vorne ins Regal stellen, wenn da nicht das Cover wäre. Nach dem Hören stellt sich die Frage: wie groß werden die Gabriels werden? (9,0 von 10 Punkten)

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Gabriels - Glory (Official Lyric Video) | Bild: Gabriels (via YouTube)

Gabriels - Glory (Official Lyric Video)

PJ HARVEY - I Inside The Old Year Dying

Irgendetwas klingt anders. Doch was? Liegt es daran, dass sie schon sieben Jahre kein Album mehr veröffentlicht hat? Auf „I Inside The Old Year Dying“ erkennt man sie nicht so schnell wie sonst. Warum? Polly Jean Harvey, die Grand Dame des englischen Indie-Sounds, wollte sich nach einer Schaffenskrise herausfordern und eine neue Stimme suchen. Der Weg dahin war lang: es war der englische Oscar-Regisseur Steve McQueen („Twelve Years A Slave“), der ihr die richtigen Ratschläge gab, um wieder kreativ zu werden. Erst verfasste sie Gedichte, die in zwei Bücher mündeten. Dann wagte sie sich übers Nachspielen von Lieblingssongs – z. B. von Nina Simone - wieder an eigene, neue Stücke. Ihre Produzenten, John Parish und Flood, legten beim Einsingen im Studio ein Veto ein, wenn PJ „normal“ sang. Sie sollte z. B. „älter“ singen, als sie ist. Oder mit verschlossenen Augen, ohne zu wissen, wo genau sich das Mikrophon befand. „Ich habe mich manchmal selbst nicht mehr erkannt“, sagt sie. „Es ist ein Album der Suche, des Tastens – beim Anhören bekomme ich das Gefühl von Liebe, Melancholie und Verlust – von Offenheit.“ Eine intensive Platte, eine interessante Erfahrung. Wir merken: Stimme hat etwas zutiefst Definierendes. Respekt vor allen KünstlerInnen, die solche Art von Identitäts-Spielchen wagen. Hat Größe. Hut ab vor PJ! (8,0 von 10 Punkten)

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PJ Harvey - I Inside the Old I Dying (Official Video) | Bild: PJ Harvey (via YouTube)

PJ Harvey - I Inside the Old I Dying (Official Video)

ANOHNI & THE JOHNSONS -  My Back Was A Bridge For You To Cross      

Im Gegensatz zu seinem Solo-Album als Anohni, das elektronisch, klingt diese Platte nach Band-Sound – weniger exzentrisch, eher ausgeglichen, um eine Mitte kreisend. Manchmal gar nach 70er-Jahre, von Instrumentierung und Produktion her. „Ich habe viel an Marvin Gayes ´What´s Going On´ gedacht“, so Anohni, die früher Antony von Antony & The Johnsons war. Nach dreizehn Jahren Pause nun eine Platte, deren Songtexte in Punkto Umweltschutzgedanken z. T. an Marvin Gaye anknüpfen, der sich bereits vor 50 Jahren um die Zukunft des Planeten sorgte. Anohni spielt Klavier und singt, Soul-Produzent Jimmy Hogarth (Amy Winehouse, Tina Turner) steht an der Gitarre. Auf dem Cover von „My Back Was A Bridge For You To Cross“ sehen wir ein Foto der afro-amerikanischen Drag-Queen Marsha P. Johnson, eine der Figuren der Stonewall Riots in New York von 1969, die zum Christopher Street Day führten. Und deren Tod nie aufgeklärt werden konnte. „It Must Change“ und das opulent arrangierte „Why I Am Alive“ heissen die großen Folk- und Soul-Momente: Anohni Stimme rührt uns nach all den Jahren wie eh und je. Und „Can´t“ hat etwas von einer nach vorne gehenden Nummer von Paul Weller. Klasse Comeback. (8,5 von 10 Punkten)

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ANOHNI and the Johnsons - Why Am I Alive Now? (Official Video) | Bild: ANOHNI (via YouTube)

ANOHNI and the Johnsons - Why Am I Alive Now? (Official Video)

SEPALOT – neverlost

Verlorensein bzw. die ewige Suche – sie beschäftigt auch Sebastian Weiss. Er findet (Er-)Lösung in Musik. „Neverlost“ ist Teil 1 eines Doppel-Albums, dessen zweiter Teil erst noch entstehen wird. Weshalb die Live-Umsetzung dieser Platte warten lässt. Sepalot, früher Beatbastler von Bayerns bekanntester HipHop-Crew Blumentopf, hat ein international anmutendes Pop-Album mit fein austarierten, englisch gehaltenen Songs aufgenommen – und sich klasse Stimmen ins Studio geholt: Alex Prince (die Frankfurterin war die richtige Wahl für den Soul-Opener), Temple Haze (Berlin), sowie Malva, Fabian Füss und Angela Aux aus München. Auf “NevaLost” hören wir neben leichten HipHop-Beat-Anleihen auch Folk, Indie und Soul. Zusammen        gehalten wird die Platte von einer bestimmten Klang-Anmutung: der Sample-Ästhetik. “Ich mag, wenn es Sampling-Charakter hat, dass es Musik wie ein Mosaik ist, nichts Fotorealistisches, dann ergibt es ne Patina, Artefakte, die man sonst so gar nicht kreieren kann. Selbst wenn keine Samples drin sind, muss es meinen Ohren doch so klingen.” Ein zweiter roter Faden durch die Platte ist cineastisch angehauchter TripHop. Mit ruhigen und unaufgeregten Stimmen. “Ich wollte nichts Aufdringliches machen. Es war so, dass ich die Sänger immer wieder zurückgeholt hab, wenn zu viel Vibrato drin war: ´ne, ne, sing den Ton ganz glatt, mach keine Schnörkel rein´.” Das Album-Cover verrät es: hier finden Elemente zueinander, die auf den ersten Blick/erstes Hören, nicht zusammen gehören, aber in der Mischung doch ein höchst interessantes Bild/Ergebnis ergeben/erklingen lassen. Wo nur ist der/die RegisseurIn, der/die einen Soundtrack von einem Spitzentypen braucht? (7,5 von 10 Punkten)

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get higher | Bild: Sepalot - Topic (via YouTube)

get higher

UNLOVED – Killing Eve´r Ode To The Lovers

Das Soundtrack-Trio um David Holmes mit dem 60´s-Psych-Pop-Score der Serie „Killing Eve“ – von BBC America, läuft bei uns beim ZDF. Es geht um die Agentin Eve und die Auftragsmörderin Villanelle, die sich gegenseitig jagen und sich immer mehr füreinander faszinieren. Phoebe Waller-Bridge (Fleabag, Indiana Jones letzter Teil) hat die Serie adaptiert. Ein ebenso glückliches Händchen hatte man bei der Auswahl der Filmmusik-Lieferanten: die Wahl fiel auf den in USA lebenden nordirischen DJ-Produzenten David Holmes und sein Trio Unloved. Wir widmeten Holmes/Unloved eine ganze Stunde in der: ARD Audiothek - Pop&Rewind: Wie David Holmes vom House-DJ zum Hollywood-Komponist wurde
Sie erinnern hier mit ihrem cineastischen Ansatz an den ätherischen Twin Peaks Soundtrack – gespielt von den inzwischen aufgelöstenChromatics. Auf dem Album finden sich die Unloved-Songs der ersten vier Staffeln – inklusive „This Strange Effect“: im Original eine 1965er Psychedelic-Pop-Perle aus der Feder von Ray Davies, die es von den Kinks offiziell selbst nur als Live-Aufnahme gibt. Spooky! (7,5 von 10 Punkten)

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Unloved - Dare or Truth (Killing Eve) | Bild: Unloved Official (via YouTube)

Unloved - Dare or Truth (Killing Eve)

V.A. The Endless Coloured Ways: The Songs Of Nick Drake

Es gab schon mal einen Drake – lange vor dem kanadischen Rapper: Nick Drake war einer der größten Songwriter. Selbst Bob Dylan, Joni Mitchell oder Bob Marley nannten den britischen Folkie als Inspiration. Am 19.6. wäre Drake 75 geworden. Hier huldigt ihm eine jüngere Generation an Fans wie die Fontaines D.C., Let´s Eat Grandma, John Parish & Aldous Harding, Ben Harper, Camille (Nouvelle Vague), Craig Armstrong, Emeli Sandé, Guy Garvey (Elbow), Skullcrusher, Joe Henry & Meshell Ndegeocello, Bombay Bicycle Club oder Aurora – die seinen bekanntesten Song „Pink Moon“ interpretiert. Insgesamt 25 Covers aus unterschiedlichen Genres – und doch schimmern Drakes einnehmende Originale durch. Wenn man den Tribute-Sampler am Stück hört, sind die Interpretationen so unterschiedlich, dass man gar nicht das Gefühl bekommt, alle Lieder wären von ein und der selben Person komponiert, sondern man höre gut kuratierte, gut gemischte Playlist mit Indie-Folk & Co von Heute. Welch´ Schande, dass Nick Drake 1974 nach nur drei Alben an einer Überdosis Anti-Depressiva starb - mit nur 26. Lohnende Pop-Geschichtsstunde! (7,0 von 10 Punkten)

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The Endless Coloured Ways: The Songs Of Nick Drake (Trailer) | Bild: Nick Drake (via YouTube)

The Endless Coloured Ways: The Songs Of Nick Drake (Trailer)

LITTLE DRAGON – Slugs of Love

Die Schweden um Sängerin Yukimi Nagano mit ihrem weltläufigen Mix aus Pop, Soul und Dance. Cool, elegant und unaufgeregt. Das Grammy-nominierte Quartett aus Göteburg hat diesmal Gäste dabei: Damon Albarn und US-Rapper JID. Seit 15 Jahren veröffentlichen Little Dragon Musik: mit ihren Alben landen sie regelmäßig in den US- und UK-Charts. Nagano hatte schon die Ehre, bei den Gorillaz, DJ Shadow oder Flying Lotus zu singen. Mit ihrem siebten Album sollten die Fans von A Tribe Called Quest und Alice Coltrane nochmal größer werden. „Slugs of Love“/„Schnecken der Liebe“ ist eine Platte geworden, die in Cafés rund um den Planeten laufen könnte. Sollte. Wird. (7,5 von 10 Punkten)

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Little Dragon - 'Slugs Of Love' (Official Video) | Bild: Little Dragon (via YouTube)

Little Dragon - 'Slugs Of Love' (Official Video)

ALICE PHOEBE LOU – Shelter

Berlin International: 2012 zog die vielseitige Songwriterin von Südafrika nach Deutschland und verdiente sich in der Hauptstadt als Strassenmusikerin Geld. Sieerlebte üble Momente, aber es war immer wieder das Leuchten in den Augen der Stehenbleibenden und Zuhörenden, das sie weitermachen liess. Ihr fünftes Album „Shelter“ beginnt mit reichlich Slide-Guitar, die nach Fernweh und Verlust klingt: Alice hat ihr Zuhause in Berlin verloren. Die neun Lieder wurden in sieben Studios in fünf Ländern auf drei Kontinenten aufgenommen. „Manchmal fühlt es sich an, als ob ich fallen würde. In anderen Momenten bin ich vom Abgrund des schwarzen Lochs inspriert“, sagt die Autodidaktin: „meine Herangehensweise an Musik ist eine Superpower“. Höhepunkt: das mitreissende „Lose My Head“ – in dem es um die Bedeutung von Intimität mit anderen Menschen geht. Nach ein paar US-Gigs ist sie im Oktober in Deutschland unterwegs – u. a. am 27.10. im Münchner Technikum – bevor sie durch Europa reist. Feine Indie-Folk-Platte! (7,0 von 10 Punkten)

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Alice Phoebe Lou - Open My Door (live) | Bild: Alice Phoebe Lou (via YouTube)

Alice Phoebe Lou - Open My Door (live)

TONY ALLEN & ADRIAN YOUNGE – Tony Allen & Adrian Younge

Was für ein Groove! Was für ein Funk! Welch´ Eleganz! Kurz vor seinem Tod 2020 hat Afro-Beat-Pionier Tony Allen noch ein Album mit dem US-Jazzer Adrian Younge aufgenommen. Multi-Instrumentalist Younge, der mit A Tribe Called Quest-Produzent Ali  Shaheed Muhammad das Label „Jazz Is Dead“ gegründet hat, bringt die Platte nun heraus: eine weitere Perle ihrer Black Heritage-Serie.

Allen trommelte wieder einmal unnachahmlich: mit leichtem, federndem Rhythmus, dem man an keiner Stelle, dass er aus der Hüfte eines damals 78jährigen Schlagzeugers kamen. Younge baut nur wenig um den Afro-Beat herum, so dass wir posthum noch einmal in den vollen Genuss der Trommelkunst des Nigerianers kommen. (8,0 von 10 Punkten)

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Tony Allen JID018 - In the Studio with Tony Allen & Adrian Younge | Bild: Jazz Is Dead Official (via YouTube)

Tony Allen JID018 - In the Studio with Tony Allen & Adrian Younge

AFRICAN HEADCHARGE – A Trip To Bolgatonga

Auf Adrian Sherwood ist Verlass: der englische Dub-Pionier schafft es als Produzent immer wieder, aus unterschiedlichsten Playern der Black Music auch im fortgeschrittenen Alter nochmal des Beste herauszuholen. So auch hier: African Head Charge, die seit 40 Jahren Afro und Dub verschmelzen und früher von Musiker-Größen wie Skip McDonald und Doug Wimbish begleitet wurden, kehren nach zwölf Jahren wieder zu ihrem früheren Label On-U zurück und Labelboss Sherwood sitzt an den Reglern. AHC-Gründer Bonjo Noah brachte viele Sounds aus seiner Heimat Ghana mit, wo er inzwischen wieder lebt. „Ich treffe ständig aus Ghana und versuche so viel wie möglich von ihnen zu lernen und das alles zusammenzufügen - wie beim Kochen.“ Wir hören viel Percussion, Gruppengesang, Blues-Bläser, funky Orgeln und wilden Wah Wah. Westafrikanische Vielfalt. Zusammen gehalten von den Bässen Sherwoods. Ist er der Rick Rubin des Dub? (7,5 von 10 Punkten)

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African Head Charge - Passing Clouds | Bild: On-U Sound (via YouTube)

African Head Charge - Passing Clouds

GALCHER LUSTWERK – Lustwerk II

Kann Deep House lässiger sein? Der afro-amerikanische DJ-Produzent, der seinen ersten Namen wie „Culture“ ausspricht, ist ein Meister des Minimalismus. Seine zurückgenommene Stimmung, seine ruhig tuckernden Beats, seine unterkühlte Art zu sprechsingen (nur auf einigen Tracks, ansonsten instrumental) erzeugt einen coolen Zauber. „Lustwerk II“ ist eine klasse Warm Up-EP des New Yorkers. (9,0 von 10 Punkten)

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Galcher Lustwerk - Outside The Club (Vocal Version) [Official Audio] | Bild: Ghostly International (via YouTube)

Galcher Lustwerk - Outside The Club (Vocal Version) [Official Audio]