Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Sweeping Promises, Brigid Mae Power und Dota

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's von Dota, Trak Trak, Sweeping Promises, bdrmm, Angelo De Augustine, JISR feat. Ramamani, Brigid Mae Power, Grian Chatten und Joanna Sternberg.

Von: Thomas Mehringer

Stand: 29.06.2023

Sweeping Promises | Bild: factory 92

Joanna Sternberg – I’ve Got Me

Joanna Sternberg hat im Netz ein paar sehr charmante Sätze zu ihrer Musik stehen: „Ihr müsst meine Musik nicht kaufen“, schreibt Joanna, „aber wenn ihr es tut, danke ich euch so sehr“. Neudeutsch nennt man das wohl „cuteness overload“. Joanna Sternberg ist eine nicht-binäre Künstler*in aus New York. Als ich die Musik von Joanna das erste Mal gehört habe, war ich sofort bei der Anti-Folk-Bewegung der Nuller Jahre, Sidewalk Cafe, Adam Green, Kimya Dawson, Jeffrey Lewis, um ein paar stilprägende Namen zu nennen. Joanna hätte super auf die Bühne des Sidewalk Cafes gepasst, welches es heute leider nicht mehr gibt. Ihr zweites Album “I’ve Got Me” erzählt von einer Person, die mit ihrer Schüchternheit die ganze Welt umarmen will. Zauberhaft. (7,5 von 10 Punkten)

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Joanna Sternberg - Stockholm Syndrome (Official Lyric Video) | Bild: Joanna Sternberg (via YouTube)

Joanna Sternberg - Stockholm Syndrome (Official Lyric Video)

Dota – Kalèko 2

Vor drei Jahren hat Dota Kehr ein Album veröffentlicht, auf dem sie mit ihrer Band die Großstadtlyrik von der Dichterin Mascha Kalèko vertonte. Kalèko schrieb in den Zwanzigern und Dreißigern in Berlin Gedichte über ihren Alltag, pointiert, auch mal traurig. 1938 flieht die Jüdin aus Berlin, aber die Stadt trägt sie immer im Herzen. 1975 ist sie in Zürich gestorben. Dota machen nun weiter mit dem Vertonen der grandios verdichteten Texte von Mascha Kalèko, diesmal mit dabei: Dirk von Lowtzow, Gisbert zu Knyphausen oder auch Funny Van Dannen. Instrumentiert wurde sehr leicht, sehr luftig. Wenn dieses Album eine Straße in Berlin wäre, dann wäre das wohl die Karl-Marx-Allee, sehr viel grün, sehr geradlinig, und nicht etwas versiegeltes, betoneskes wie der Breitscheidplatz. “Kalèko 2” bleibt ein ambitioniertes Projekt, das auch mit seiner Fortsetzung nicht langweilig wird - im Gegenteil - vieles von Mascha Kalèkos Texten ist auch heute noch erschreckend aktuell. (7,0 von 10 Punkten)

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DOTA & Black Sea Dahu - Vertonung des Gedichts "Die frühen Jahre" von Mascha Kaléko | Bild: Dota Kehr (via YouTube)

DOTA & Black Sea Dahu - Vertonung des Gedichts "Die frühen Jahre" von Mascha Kaléko

Trak Trak - Flexible

Sechs Menschen aus vier verschiedenen Ländern machen Future-Cumbia - in Nürnberg. Weil Franken und Cumbia - das passt. Trak Trak aus Nürnberg wollen die Cumbia aus Südamerika auf den hiesigen Dancefloor bringen. Das hat vor drei Jahren auf ihrem Debütalbum “Sur Sur” schon sehr gut funktioniert. Auch der Nachfolger liefert einige Dancefloor-Tracks ab. Vor allem kommt die Platte so daher, wie sie heißt: “Flexible”. Wir hören nämlich auch Reggaeton, Funk, Dub und leichte Psychedelic, Trak Trak sind da flexibel. Am spannendsten finde ich Tracks wie “Un Poco De Amor”, die eine unglaubliche Dynamik entwickeln oder auch “Limbo”, das nie an Intensität verliert. Am Anfang hat man keine Ahnung, wo man am Ende rauskommt, so vertraktrakt ist der Cumbia-Sound von Trak Trak. Am Samstag spielen sie live beim Südstadtfest in Nürnberg. Am 7. Juli spielen sie beim Waldstock-Festival an der Pegnitz, am 4. August in Aschaffenburg und am 5. August in München im Import/Export. (6,5 von 10 Punkten)

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traktrakband

Instagram-Beitrag von traktrakband | Bild: traktrakband (via Instagram)

bdrmm – I Don’t Know

Dieses Shoegaze-Quartett aus Hull, UK atmet den Geist von My Bloody Valentine, Radiohead und auch den der Post-Rocker Mogwai, die bdrmm auf ihrem Label Rock Action unter Vertrag genommen haben. Da passen bdrmm gut hin. Der Gitarren-Sound geht ins Sphärische, nach drei Minuten Entwicklung steigt dann auch mal teils zarter, ja fast weicher Gesang ein - oder auch nicht, wie beim Instrumental “Advertisement One”, bei dem man die ganze Zeit auf eine Stimme wartet. bdrmm sind mit ihrem zweiten Album “I Don’t Know” angekommen unter den Shoegaze-Größen wie A Place To Bury Strangers oder den Raveonettes, aber man merkt bei den ambitionierten Arrangements, es treibt sie raus, über die Grenzen des Genres hinaus. (6,5 von 10 Punkten)

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bdrmm   - Pulling Stitches (Official Video) | Bild: bdrmm (via YouTube)

bdrmm - Pulling Stitches (Official Video)

Angelo De Augustine – Toil & Trouble

Wenn man den Namen Angelo De Augustine zuletzt hörte, dann immer in Verbindung mit seinem Buddy Sufjan Stevens, mit dem er vor zwei Jahren ein Album veröffentlicht hat. Auf “A Beginner’s Mind” haben die Beiden ihre gemeinsamen Filmabende vertont. Danach ist es sehr ruhig geworden um De Augustine, aber okay, es war auch vor der Zusammenarbeit ruhig. De Augustine ist kein Mann der großen Schlagzeilen, seine Social Media-Aktivitäten sind, nunja, eigentlich nicht existent. Und auch seine Musik atmet die Luft eines introvertierten Mannes, der in seinem Leben viel Nick Drake und Simon & Garfunkel gehört hat. Auf seinem fünften Album “Toil & Trouble” beschäftigt er sich mit seinen inneren Dämonen. Die folky Songs haben das Zeug, dass er zukünftig nicht mehr nur im Zusammenhang mit Sufjan Stevens genannt wird, aber warum habe ich nur das Gefühl, dass ihm das gar nicht mal so recht ist. (7,0 von 10 Punkten)

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Angelo De Augustine - Toil and Trouble (Official Video) | Bild: AngeloDAugustineVEVO (via YouTube)

Angelo De Augustine - Toil and Trouble (Official Video)

Grian Chatten – Chaos For The Fly

Grian Chatten ist der Frontmann der Fontaines D.C., er tauscht Solo den Post-Punk gegen Soft-Punk ein. Keine Kompromisse, wenn es um die eigene Verletzlichkeit, die pure Emotion geht, dachte sich Chatten und überließ seine Songs nicht seiner so gefeierten Band aus Dublin. Stattdessen nimmt er mit dem Fontaines-Stammproduzenten Dan Carey ein persönliches, folky Album auf. Das bei der smoothen Orchestrierung oft überrascht. Aber der Punkt ist: Fast jeder Song auf “Chaos For The Fly” hätte auch ein Fontaines DC-Song sein können. Chatten hatte ja noch nie ein Faible für eingängige Refrains oder konventionelle Songstrukturen. Nur Songs wie “Bob’s Casino”, die mit Bläsern und einem Duett überraschen, sind da eine Ausnahme, aber eine sehr angenehme, sehr entspannte. Chatten gelingt nicht der große Solo-Wurf, aber manchmal muss ein sensibler Mann tun, was ein sensibler Mann tun muss. (7,0 von 10 Punkten)

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Grian Chatten - All Of The People (Official Music Video) | Bild: Grian Chatten (via YouTube)

Grian Chatten - All Of The People (Official Music Video)

Sweeping Promises – Shadow Me

Schon bei ihrem Debüt “Hunger For A Way Out” des Duos Sweeping Promises stand der Sound sehr im Vordergrund, er war sehr eigen, ungewohnt. Und so auch beim Nachfolger “Good Living Is Coming For You”. Das liegt daran, dass das Duo aus Boston eine Aufnahmetechnik patentieren lassen hat, die sogenannte “Single-Mic-Technique”. Außerdem wurde das Album auch in Mono abgemischt. Das gibt dem Post-Punk der Sweeping Promises einen ganz uniquen Sound. Soll aber nicht davon ablenken, dass sie auch einfach gute Songs und vor allem eine Haltung haben, wie man schon am Albumtitel “Good Living Is Coming For You” merkt. Vielleicht geht es uns allen ja doch gar nicht so schlecht, wie immer kolportiert, wenn die Vorzüge des Lebens uns doch irgendwann einholen? Für Freunde von Post-Punk und Power-Pop eine unverzichtbare Platte in diesem Sommer. (9,0 von 10 Punkten)

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Sweeping Promises - Good Living Is Coming for You (Official Video) | Bild: Sweeping Promises (via YouTube)

Sweeping Promises - Good Living Is Coming for You (Official Video)

Brigid Mae Power – Dream From The Deap Well

Irgendwo zwischen Hope Sandoval und Sandy Denny liegen die Songs von Brigid Mae Power aus Irland. Mit “Dream From The Deep Well” liefert sie wieder entrückte, tragische, aber auch wunderschöne Folksongs. Dazu covert sie Tim Buckley (“I’ve Must Have Been Blind”), spielt Songs, die die Dubliners populär gemacht haben und ihren allerbesten Momenten, klingt Brigid wie Joni. Welche Joni? Natürlich Joni Mitchell. Der größte Schlag in die Magengrube kommt vom Song “Ashling”, in Gedenken an Ashling Murphy, einer 23-jährigen Lehrerin und Folksängerin, die in Irland beim Joggen überfallen und getötet wurde. “Träume aus der Tiefe eines Brunnens” heißt der Albumtitel übersetzt, so tragisch traurig einige der Songs sind, damit kann man es sich schön gemütlich machen am Boden des Brunnens. (8,0 von 10 Punkten)

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Brigid Mae Power - I Must Have Been Blind (Official Video) | Bild: firerecords (via YouTube)

Brigid Mae Power - I Must Have Been Blind (Official Video)

JISR, Ramamani – Wah Wah

JISR ist ein Münchner Kollektiv um den marokkanischen Musiker Mohcine Ramdan, den man auch von der Express Brass Band oder Embryo kennt. Nun erscheint das Album “Wah Wah” von JISR zusammen mit dem Ramamani Projekt aus Indien und dem verstorbenen Gitarristen Roman Bunka. Inspiriert von einer Tour durch Südasien hören wir neben indischen Klängen auch arabischen Maqam, Gnawa aus Marokko und deutschem Jazz-Rock in der Tradition von Embryo. Alle Einflüsse vereint eine Sache unüberhörbar: der Groove. Was heißt noch gleich “Space is the place” auf indisch? (7,5 von 10 Punkten)

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„Wah Wah!“ JISR meets India | Bild: JISR // Brücke (via YouTube)

„Wah Wah!“ JISR meets India