WhatsApp-Sprachnachricht verbreitet Fakes zu Corona-Impfstoffen
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WhatsApp-Sprachnachricht verbreitet Fakes zu Corona-Impfstoffen

In einer Sprachnachricht verbreitet eine Frau Falschmeldungen über mögliche Corona-Impfstoffe - und nennt die Münchner LMU als Quelle. Die Universität spricht von "Fake-News", die zuständige Behörde von falschen Behauptungen. Ein #Faktenfuchs.

"Ich habe am Montag mit einem Virologen aus München, LMU, gesprochen." So beginnt eine rund zweiminütige Sprachnachricht, in der eine unbekannte Frau Stimmung gegen eine bestimmte Art von Corona-Impfstoffen macht, die derzeit erst getestet oder entwickelt werden. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), zuständig für die Genehmigung klinischer Impfstudien und damit für die Zulassung von Impfstoffen, spricht auf BR24-Anfrage davon, dass die "Grundannahme falsch" und entsprechend "auch sämtliche daraus resultierende Befürchtungen" in der Sprachnachricht falsch seien. Das Institut bezeichnet quasi alle geäußerten Behauptungen als "durch nichts belegt", die Äußerungen hätten "keine Logik" und seien schlichtweg "falsch".

Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München versichert auf Anfrage: "Unseres Wissens hat kein Virologe des LMU-Klinikums sich derart geäußert." Entsprechend ist unklar, ob ein Telefonat mit einem Virologen der Universität überhaupt stattfand. Ein Sprecher der LMU bezeichnet die Sprachnachricht als "Fake News".

Die Nachricht wird über WhatsApp verbreitet. Wie oft sie geteilt wurde, ist wegen nicht zugänglicher Daten von Seiten des Kurznachrichtendienstes nicht nachprüfbar.

"Man kann nicht gegen Corona impfen"

So wird in der Sprachnachricht spekuliert, "man kann nicht gegen Corona impfen", da das Virus aufgrund seiner Struktur in jedem Körper anders wirke. Diese Aussage ist falsch. Es gibt durchaus Impfungen, die DNA-basiert arbeiten und nach der SARS-Epedimie in den Jahren 2002/03 erfolgreich in vorklinischen Untersuchungen getestet wurden. (Quelle)

In Bezug auf das neuartige SARS-Cov-2 ist eine Impfung sehr wohl möglich, so eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Institutes. Es komme darauf an, "das richtige Antigen zu finden, auf das das Immunsystem reagieren" könne. Das sei "mit der Identifizierung des SPIKE-Proteins [siehe unten] gelungen."

Vereinfacht gesagt, soll bei einem genbasierten Impfstoff dem Körper beigebracht werden, selbst Antikörper herzustellen. Dafür gibt es drei unterschiedliche Formen: Vektorimpfstoffe sowie DNA- und mRNA-Impfstoffe. Details zu den unterschiedlichen Wirkungsweisen erklärt das Paul-Ehrlich-Institut hier.

Aktuell finden bereits klinische Tests mit diversen Impfstoffen an Menschen statt. Die grundsätzliche Möglichkeit, gegen das aktuelle Corona-Virus zu impfen, ist in der Wissenschaft unstrittig.

Corona: Viele Hoffnungen liegen auf DNA-, mRNA- und Vektorimpfstoffen

In der Nachricht thematisiert die Urheberin sogenannte DNA-Impfungen - diese griffen, so behauptet sie, "in unser Genom" ein. Das ist falsch. Zusammengefasst lässt sich sagen: Keiner der derzeit geplanten Impfstoffe greift direkt in das menschliche Genom ein, wie in der Sprachnachricht behauptet wird, oder wirkt "genverändernd".

Eine Sprecherin des Instituts erklärt auf BR24-Anfrage: "Nein – das trifft absolut nicht zu." Im Fall der aktuellen Impfstoffkandidaten wird ein Teil der Virus-Erbinformation dem Menschen injiziert. Genauer: Der Bauplan für das sogenannte SPIKE-Protein (S-Protein), also die "Stacheln" an der Außenhülle des Corona-Virus. Mit diesen Stacheln docken Viren an den menschlichen Zellen an, um in die Zellen einzudringen.

Durch die mRNA-Impfung lerne der Körper, diese Spike-Proteine zu bekämpfen, so eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts auf BR24-Anfrage. "Werden (nur diese) Proteine nach der Impfung von der Zelle gebildet, können Antikörper sie dort erkennen und für (bestimmte Abwehrzellen) des Immunsystems markieren. Es wird weder ein vollständiges Virus gebildet, das sich vermehren könnte, noch kann diese mRNA sich in die menschliche DNA einbauen", so die PEI-Sprecherin.

Genbasierte Impfstoffe: Noch nicht für Menschen zugelassen

In der Regel bestehen Impfungen aus inaktivierten Viren (Totimpfstoff) oder abgeschwächten Viren (attenuierte Impfstoffe) (Quelle und weitere Details).

Die Herstellung dieser Impfstoffe ist aufwändig, da die ansteckenden Viren in speziellen Laboren vervielfältigt werden und später in großen Mengen produziert werden müssen. Expertinnen und Experten rechnen mit einer entsprechend späten Markteinführung dieser Impfstoffe.

Genbasierte Impfstoffe sind schneller herstellbar und in großer Menge zu produzieren. Bislang gibt es jedoch keinen für Menschen zugelassenen genbasierten Impfstoff. Die größten Bedenken sind die mögliche Dosierung eines Impfstoffes und weitere Mutationen des Virus. Die Wirkweise genbasierter Stoffe ist bislang nur in tierischen Tests nachgewiesen.

Impfstoffe wohl ohne Auswirkung auf Genom

Deshalb basiert die aktuell kursierende Sprachnachricht auf der falschen Annahme, dass diese Impfstoffe in das menschliche Genom eingreifen. So behauptet die bislang der BR24-Redaktion unbekannte Urheberin, dass es durch diese Art der Impfungen "sehr wahrscheinlich" sei, dass geimpfte Menschen Autoimmunerkrankungen erlitten. Darunter seien, so die nächste Spekulation, Krankheiten wie Vitiligo, Darmerkrankungen, Rheuma oder Krebs. Diese Behauptung wird in der Sprachnachricht nicht belegt - außer durch den anfänglichen Verweis auf das vermeintliche Telefonat, das wiederum nicht nachprüfbar ist, da die Urheberin der Nachricht keinen Namen nennt. Bisher gibt es keine Studien, die diese Krankheitsbilder als "sehr wahrscheinlich" bezeichnen. Eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Institutes betont, dass "für die neuen Impfstoffe die klinischen Prüfungen jetzt" anliefen, jedoch geben "bisherige Daten keinen Hinweis auf entsprechende Nebenwirkungen."

"Nur theoretisches Risiko"

Die zuständige Behörde hält das Risiko der aktuell in Prüfung befindlichen Impfstoffe also eher für gering. In der Wissenschaft geht man jedoch von einem Restrisiko aus, das immer bestehen kann. So sagt der Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, man habe "lange Jahrzehnte damit verbracht, einem theoretischen Risiko nachzugehen". Jedoch hätten sich diese Risiken in "klinischen Prüfungen [Prüfung an Menschen, Anm. d. Autors] und am Tier eigentlich nie bewahrheitet." (Quelle)

Ähnlich äußert sich auch Uğur Şahin, Immunologe, Krebsforscher und Vorstandsvorsitzender des Biotechnologie-Unternehmens und Impfentwicklers BioNTech. Angesprochen auf das Risiko von mRNA- Impfstoffen sieht Şahin, dessen Firma selbst an einem Impfstoff arbeitet, keine gestiegene Gefahr: "mRNA-Impfstoffe werden seit über 20 Jahren erforscht, und gerade in den letzten fünf Jahren hat die Technologie einen besonderen Reifegrad erreicht, sodass wir mit geringen Dosierungen zum Teil sehr ausgeprägte Immunantworten induzieren können." Bisher hat BioNTech vor allem in der Krebsheilung und CureVac im Bereich der Tollwut-Impfung mit mRNA-Stoffen geforscht.

Prüfung vor Marktzulassung durch mehrere Behörden

Weiter wird in der kursierenden Sprachnachricht behauptet, dass es bei den diskutierten möglichen Corona-Impfstoffen zu "unabsehbaren Folgen" komme. Damit ein Impfstoff für den Menschen zugelassen wird, braucht es in der Regel vier bis sieben Jahre. Während einer Epidemie kann sich die Zulassungsdauer für klinische Studien verkürzen. Dennoch ist der Prozess vielschichtig und höchst vorsichtig. Alleine für die klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen sind genaue Regeln festgelegt (Quelle).

Für eine Marktzulassung sind weitere Prüfungen durch nationale (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM) und das PEI sowie europäische Behörden notwendig (European Medicines Agency, EMA). Sowohl die Institutionen als auch deren Prüfmechanismen sollen sicherstellen, dass Impfstoffe nicht "ohne unabsehbare Folgen" auf den Markt gelangen - anders als es in der Sprachnachricht dargestellt wird. Darüber hinaus ist, wie oben bereits erwähnt, die grundsätzliche Wirkweise von DNA-, mRNA- und Vektorimpfstoffen seit Jahren erfolgreich in der Testphase. Das Paul-Ehrlich-Institut verweist darauf, dass bei beschleunigten Verfahren mit erhöhtem Personaleinsatz gearbeitet werde, "ohne dass auf die notwendige Sorgfalt bei der Antragsprüfung verzichtet wird".

Spekulationen über Erpressung und Impflicht

Im Anschluss äußert die Urheberin der Meldung die Meinung, dass die möglichen Todesfälle, die durch eine zweite Corona-Welle ausgelöst werden könnten, genutzt würden, "damit sie uns erpressen". Wen die Urheberin mit "sie" meint, wird nicht genauer ausgeführt. Die Spekulationen über eine Erpressung durch eine nicht genauer benannte Gruppe, mit dem Ziel Impfungen durchzuführen, erinnern an bekannte Verschwörungsmythen rund um Corona.

Fazit:

Die derzeit auf WhatsApp kursierende Sprachnachricht reiht mehrere Falschbehauptungen aneinander. Die in der Sprachnachricht thematisierten Impfstoffe (Vektor-,DNA-, mRNA-Stoffe) wirken - nach aktuellem Stand der Wissenschaft - nicht auf das menschliche Genom ein.

Die Aussage, dass man allgemein gegen Coronaviren nicht impfen könne, ist nicht richtig. Bereits in der Vergangenheit wurden Impfungen gegen Coronaviren entwickelt und erfolgreich an Tieren getestet. Auch erste Tests in Bezug auf einen Impfstoff gegen das neuartige SARS-Cov-2 halten Experten für vielversprechend.

Auch die Behauptung, dass es durch diese Impfstoffe "sehr wahrscheinlich" zu Autoimmunerkrankungen komme, ist falsch.

Offen ist die Frage, ob die Urheberin tatsächlich "mit einem Virologen aus München, LMU" telefonierte, wie sie in der Sprachnachricht beteuert. Die Universität weist das von sich. Unabhängig davon, ob das Telefonat stattfand, sind die wiedergegebenen Behauptungen unzutreffend.

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