Frau mit Entzündung am Arm.
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Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer chronischen Entzündung. Das kann die Lebensqualität sehr einschränken.

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Volkskrankheit chronische Entzündungen: Was dagegen helfen kann

Chronische Entzündungen sind nicht nur solche, die lange anhalten und durch Verletzungen oder Infektionen ausgelöst werden. Auch Erkrankungen wie Rheuma, Diabetes und Morbus Crohn fallen darunter. Über Ursachen, Symptome und was davor schützen kann.

Entzündungen assoziieren wohl die meisten Menschen mit Wunden oder Infektionen, die meist mehr oder weniger schnell wieder abklingen. Neben diesen akuten Entzündungen, gegen die sich unser Immunsystem wehren kann, sind für viele Menschen chronische Entzündungen ein Problem. Dazu gehören vor allem solche, die durch Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Morbus Crohn oder Multiple Sklerose ausgelöst werden. Auch bei Krebs, Alzheimer, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und der Lunge spielen chronische Entzündungen oft eine Rolle.

Georg Schett, Immunologe und Rheumatologe an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), und Dirk Haller, Leiter des Lehrstuhls für Ernährung und Immunologie an der Technischen Universität München (TUM), erklären, was es mit chronischen Entzündungen auf sich hat - über Ursachen, Symptome, warum die Diagnose manchmal schwierig ist und worauf Menschen mit und ohne chronische Entzündung achten sollten.

Was ist eine chronische Entzündung? Was passiert dabei im Körper und welche Erkrankungen fallen darunter?

Entzündungen sind zunächst etwas Positives. Unser Immunsystem wehrt sich mit den neutrophilen Granulozyten - den häufigsten Zellen im Blut, die zu den weißen Blutkörperchen gehören - gegen den "Eindringling". Meist sind es Viren oder Bakterien, aber auch chemische Substanzen und durch äußere Verletzungen gelangen Fremdkörper in unseren Körper. Sogar bei sogenannten mechanischen Traumata wie Knochenbrüchen oder anderen Gewebsverletzungen ist eine Entzündung für die Heilung notwendig.

Erst wenn die Abwehr nicht gelingt, also eine chronische Aktivierung der Immunzellen entsteht, wird die Entzündung ein Problem. "Die Zellen gehen dann immer in das betroffene Gewebe hinein und mit der Zeit, wenn die Entzündung ständig da ist, geht das Gewebe kaputt", erklärt der Immunologe Schett den Vorgang.

Das kann Organe wie das Herz, die Lunge, die Nieren oder Gelenke schädigen. Und auch zu chronischen Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen und Allergien führen. Die Liste der Erkrankungen, die mit bestimmten Entzündungsreaktionen einhergehen, ist entsprechend lang: Diabetes, Rheuma, Arthritis, Morbus Crohn gehören zum Beispiel dazu. Selbst bei Adipositas, der Fettleibigkeit, spielen chronische Entzündungen im Körper eine Rolle.

Wie viele Menschen in Deutschland sind davon in etwa betroffen?

Schett schätzt, dass etwa zehn Prozent der Menschen in Deutschland von einer chronischen Entzündung betroffen sind. Allein an Psoriasis, der Schuppenflechte, litten etwa drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland, sagt Schett.

Was sind die Ursachen für eine chronische Entzündung?

Chronische Entzündungen sind laut Schett entweder auf genetische Ursachen, Autoimmunerkrankungen oder chronische Infektionen zurückzuführen. Aber auch "unser industrialisierter Lebensstil, einschließlich wie wir uns ernähren", generiere in unserem Körper ein entzündliches Milieu, erläutert Ernährungsexperte Haller. Unser Immunsystem werde nicht mehr ausreichend trainiert, sagt er. Gene spielten zwar bei chronischen Entzündungen eine Rolle, aber weit weniger als gedacht. Das hätten Zwillingsstudien bewiesen, so der Wissenschaftler der TU.

Was sind die Symptome und warum ist die Diagnose oft so schwierig?

Die Allgemeinsymptome bei einer chronischen Entzündung seien: eine leicht erhöhte Temperatur, Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Gelenk- und Muskelschmerzen, erklärt Schett. Diese Symptome erinnerten sehr stark an eine Infektion. Daneben gebe es solche Symptome, die je nach Krankheitsbild aufträten. So etwa bei einer rheumatoiden Arthritis, "dann haben Sie Gelenkschwellungen. Und wenn Sie zum Beispiel eine chronische Entzündung im Bereich der Gefäße haben, kommt es eben zu Gefäßverstopfungen und zu Schlaganfällen."

Die chronische Entzündung "ist ein bisschen ein Chamäleon", sagt Entzündungs-Experte Schett. Für eine richtige Diagnose müsse man Bescheid wissen, um welche Erkrankung es sich handeln könnte. Er empfiehlt deshalb, sich bei Symptomen an spezialisierte Zentren zu wenden, um nicht fälschlicherweise mit Antibiotika behandelt zu werden, was nicht helfe, da es sich bei einer chronischen Entzündung eben nicht um eine Infektion handle, so Schett. "Sehr schlecht" sei auch eine Behandlung mit "überschießend viel Kortison", warnt der Erlanger Forscher. Das führe zu einer Infektionsneigung im Körper.

Warum die Diagnose bei einer chronischen Entzündung oft schwierig ist, erklärt der TU-Wissenschaftler Haller so: "Wenn man chronische Kopfschmerzen hat, kommt man nicht sofort darauf, dass das aus dem Darm kommen könnte." Bei der Zöliakie zum Beispiel, einer Glutenunverträglichkeit, die eine hauptsächlich den Dünndarm betreffende Autoimmunerkrankung ist, kann das aber durchaus sein. Denn nicht selten haben Menschen mit dieser Erkrankung chronische Kopfschmerzen, die sie nicht auf Anhieb mit der Darmerkrankung in Verbindung bringen.

Wie weit ist die Forschung bei der Behandlung?

In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren hat sich bei der Erforschung chronischer Entzündungen einiges getan. Man verstehe mittlerweile Entzündungen viel besser, "wie sie funktionieren" und könne auch "verschiedene Entzündungen unterscheiden", sagt Schett. Denn nicht jede Entzündung funktioniere gleich. Man könne viel selektiver Entzündungen hemmen. "Und das ist deswegen gut, weil man nicht eine generelle Immunsuppression macht, sondern viel spezifischer einzelne Bausteine der Entzündung hemmt und damit die Erkrankung bessert."

Viele Patienten mit chronischen Entzündungen könne man heute gut behandeln, sagt auch Forscher Haller. "Die neue Generation von Medikamenten, Biologika, also Antikörpertherapien, funktionieren sehr gut", erklärt er.

Ziel der Forschung ist, chronische Entzündungen nachhaltig zu heilen, quasi die Ursache zu beheben, wodurch sich das Immunsystem wieder "normalisiert". Auch hier kann Schett mit seinen Kollegen Erfolge verzeichnen: in der Behandlung von Systemischer Lupus erythematodes zum Beispiel, einer chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung, die nahezu alle Organsysteme betreffen kann. Mittels spezieller Zelltherapie ist es den Forschern gelungen, den "Reset-Knopf am Computer zu drücken", wie Schett es nennt. Gemeint ist damit: Die sogenannte CAR-T-Therapie, bei der den Patienten einmalig gentechnisch modifizierte T-Zellen gespritzt wurden. Diese führte zur Auflösung der Erkrankung.

Ähnliche Erfolge gibt es auch bei anderen Erkrankungen, insbesondere bei anderen Autoimmunerkrankungen und bei bestimmten Krebsarten wie beispielsweise Lymphdrüsenkrebs oder bestimmten Formen von Blutkrebs. Bei der rheumatoiden Arthritis, einer Erkrankung, die ebenfalls mit einer chronischen Entzündung einhergeht, ist es Forschern der FAU in Erlangen gelungen, die Krankheit durch eine spezielle Behandlungsmethode zu hemmen. Die Ergebnisse wurden jetzt in einer Studie (externer Link) veröffentlicht.

Wie kann ich mich vor Entzündungen schützen? Tipps zum Lebensstil

Zum Schutz vor chronischen Entzündungen rät Mediziner Schett zu einer gesunden Lebensführung, insbesondere zur Stressvermeidung, zum Nikotinverzicht und einer ausgewogenen Ernährung. Besonders eine ballaststoffreiche Ernährung sei entzündungshemmend und verbessere die Darmbarriere.

Auch Ernährungsexperte Haller rät zu einer ausgewogenen Ernährung. "Warum nehmen diese Erkrankungen zu?", fragt er. "Wir nehmen viel zu wenig Ballaststoffe zu uns. Wir essen insgesamt viel zu wenig Obst und Gemüse", äßen viel zu wenig "divers", also unterschiedliche Getreidesorten und unterschiedliches Obst und Gemüse, bewegen uns zudem zu wenig, ist sein Resümee. Dadurch verändere sich das mikrobielle Niveau in unserem Körper und das Risiko für "solche Erkrankungen" steige, sagt Haller und rät: Drei- bis viermal die Woche Sport zu treiben, so viel wie möglich Obst und Gemüse und ausreichend Ballaststoffe zu essen, so "divers wie möglich im Pflanzen- und Getreidebereich." Das lohne sich definitiv, erklärt Haller.

Und: "Essen Sie so wenig wie möglich hochprozessierte Lebensmittel." Weil, was man sicher wisse, ist, dass man sich an diesen industriell verarbeiteten Lebensmitteln meistens überesse. Das heißt: Man nimmt dadurch mehr Kalorien zu sich, als man eigentlich benötigt. Übergewicht ist schließlich einer der Faktoren, die chronische Entzündungen begünstigen. Der Ernährungsexperte Haller betont aber auch: "Im Moment gibt es keinen diätetischen Ratschlag, die Anfälligkeit für verschiedene entzündliche Erkrankungen zu vermeiden."

Im Video: CAR-T-Zell-Therapie - Neue Behandlungsmethode beim Systemischen Lupus

Lupus Krankheit
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Die Symptome der Autoimmunerkrankung "Systemischer Lupus Erythematodes" sind diffus. Forschern in Erlangen gelang eine Therapie.

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