Roter Benzinrasenmäher wird durch hohes Gras geschoben
Bildrechte: BR / Johanna Schlüter

Rasenmäher mäht hohes Gras

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Unkraut auf dem Friedhof – Schlamperei oder Fortschritt?

Krisenstimmung auf dem Friedhof: Im Frühjahr haben sich in einigen bayerischen Orten Friedhofsbesucher über ungemähtes Gras beschwert. Von einer "Katastrophe" war sogar die Rede. Man kann es allerdings auch als Gewinn sehen.

Über dieses Thema berichtet: BR-Heimatspiegel am .

"Auf dem Friedhof wuchert das Unkraut" und "wüst schimpfende Friedhofsbesucher": Unter anderem die Lokalzeitungen in Augsburg und Neu-Ulm hatten im Juni über mangelnde Pflege auf städtischen Friedhöfen berichtet. Die Ursachen: Im Frühling war es nass, das Gras ist üppig gewachsen und gleichzeitig gibt es zu wenig Personal in den Bauhöfen. Die Frage ist jedoch: Muss auf dem Friedhof alles wie geschleckt sein oder darf's an manchen Stellen auch ein bisschen schlampiger, sprich artenfreundlicher sein?

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Beschwerden, weil das Gras zu hoch ist

In Neu-Ulm haben viele Friedhofsbesucher und -besucherinnen bei der Leiterin des Grünflächenamtes, Iris Stieglitz, angerufen und sich beschwert. "Wir haben versucht, es zu erläutern", erklärt sie. Viel Regen, wenig Personal, da seien die Stadt-Mitarbeiter einfach mit dem Mähen nicht mehr nachgekommen. Einige Bürger hätten dennoch kein Verständnis für die Missstände gezeigt. "Mit dem müssen wir leben, wir können es nicht allen recht machen“, sagt Iris Stieglitz. Immerhin: Es gibt auch Besucher, die die Anlagen loben.

Konsens: Zwischen den Gräbern muss das Gras kurz sein

Auf der einen Seite die unterschiedlichen Wünsche der Friedhofsbesucher, auf der anderen Seite der Kostendruck, Personalengpässe und darüber hinaus noch der Anspruch, dass auf dem Friedhof auch Platz sein soll für Artenvielfalt. Das alles muss jedoch kein Widerspruch sein – denn: Weniger Personalaufwand könnte doch weniger mähen und mehr Artenvielfalt bedeuten?

Dieser Ansicht ist Barbara Füchtbauer vom evangelischen Verein "Schöpfung bewahren konkret“. Sie berät Kirchengemeinden, die ihren Friedhof ökologisch aufwerten wollen. Für sie ist ganz klar, dass man zwischen den Gräbern regelmäßig mähen muss. Artenvielfalt hin oder her. "Denn da wollen ja die Leute hin und ihr Grab bestellen.“

Auf den Leerflächen ist Platz für Artenvielfalt

Barbara Füchtbauers Vorschläge zielen auf diejenigen Rasenflächen, auf denen keine Leute laufen. "Oder auch Wegränder sind meistens sehr schöne Biotope, die man nicht andauernd mähen muss", schlägt Barbara Füchtbauer vor.

Nachdem immer mehr Verstorbene in Ruhe- oder Fried-Wäldern oder in platzsparenden Urnengräbern oder -wänden bestattet werden, werden auf vielen Friedhöfen die ungenutzten Flächen größer – Platz für hohes Gras. Dort können die im Gras wachsenden Kräuter blühen, den Insekten Nektar und Pollen liefern und später Samen bilden für beispielsweise körnerfressende Käfer und Vögel. So wird es auch in Neu-Ulm gemacht: Auf den ungenutzten Flächen wird das Gras nur ein bis zwei Mal im Jahr gemäht. Ein Teil bleibt sogar über den Winter stehen, als Überwinterungsquartier für Schmetterlingseier und andere Tiere.

Auch auf dem Friedhof: Mähen, nicht mulchen

Am besten sei es für Friedhöfe, wenn immer nur ein Teil der Langgras-Flächen gemäht werde, empfiehlt Barbara Füchtbauer vom Verein "Schöpfung bewahren konkret“. Dann könnten Insekten und andere Kleintiere auf die stehenbleibenden Flächen ausweichen. Es komme auch darauf an, wie man das Gras kürzt.

Wer die Artenvielfalt fördern will, darf nicht mulchen, also den Aufwuchs samt allem, was darin lebt, klein und matschig schlegeln. Denn beim Mulchen werden zum einen die Insekten, Spinnen und kleinen Frösche, die an den Pflanzen sitzen, mit zerkleinert. Und zum anderen sorgen die gemulchten Pflanzenteile, die in der Regel alle am Boden liegen bleiben, dafür, dass die Fläche nährstoffreich und damit artenarm bleibt. "Am allerbesten ist es, mit dem Balkenmäher zu mähen," lautet ein Tipp von Barbara Füchtbauer. Damit hätten die Tiere noch eine Chance, zu fliehen.

Biodiversität fördern ist kein Sparprogramm

Mähen mit dem Balkenmäher statt Mulchen mit dem Schlegelmulcher - da fängt die Artenvielfalt allerdings auch an, ins Geld zu gehen. Denn das Mähgut wegzufahren und zu entsorgen, kostet mehr Geld und Personalaufwand, als alles kurz und klein zu mulchen und liegen zu lassen, sagt Iris Stieglitz von der Stadt Neu-Ulm. Die Bauhöfe müssen dafür nicht selten auch neue Maschinen anschaffen.

Doch wenn man das Pflegekonzept mehrere Jahre durchhält, magern die Flächen aus und dann werden die Grasmassen immer weniger, während die Blumen eher mehr werden. Iris Stieglitz und ihr Team vom Grünflächenamt der Stadt Neu-Ulm haben kurz nach dem Artenschutzvolksbegehren vor vier Jahren angefangen, auch die Friedhofspflege auf mehr Biodiversität hin auszurichten.

Artenvielfalt auf dem Friedhof braucht Öffentlichkeitsarbeit

Viele Friedhofsbesucher haben Verständnis für Restflächen mit langem Gras und einzelne Heckensäume, an deren Rändern Unkraut wächst. "Wo keine Gräber sind, kann doch das Gras wachsen", sagen einige.

Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte man die Friedhofbesucher und -besucherinnen darüber informieren, weshalb manche Ecken vermeintlich schlampig aussehen. Barbara Füchtbauer vom Verein "Schöpfung bewahren konkret" liefert den Friedhofsträgern, die sie berät, deshalb vorgeschriebene Informationstexte für den Gemeindebrief. "Gleichzeitig, während die Wiese wächst und nicht gemäht wird und die Leute sich wundern, warum das so unordentlich aussieht, kommt dann der Artikel und erklärt, warum wir das so machen."

Außerdem stellt der Verein den Kirchengemeinden dann auch noch Hinweis-Schilder zur Verfügung, auf denen zum Beispiel steht "Hier blüht es für Biene und Co."

Die Öffentlichkeitsarbeit des Neu-Ulmer Grünflächenamtes auf dem Friedhof sei noch ausbaufähig, räumt Amtsleiterin Iris Stieglitz ein. Von Hinweisschildern direkt an den ungemähten Flächen hält sie allerdings wenig. "Ich bin nicht so dafür, auf einem Friedhof lehrpfadmäßig unterwegs zu sein."

Spätestens übernächstes Jahr sollen stattdessen an den Eingängen Übersichtstafeln angebracht werden, die erläutern, warum auf bestimmten Flächen das Gras stehen bleibt und an manchen Heckenrändern Brennnesseln wachsen.

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