Proton-M-Rakeite mit dem Forschungsmodul Nauka an Bord vor dem Start
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Mit jahrelanger Verspätung ist das Forschungsmodul an Bord einer Proton-M-Rakete ins All geflogen.

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Russisches Modul Nauka erreicht Internationalen Raumstation

Schon seit 2007 wollte Russland das Labormodul Nauka zur Internationalen Raumstation ISS schicken. Nun ist Nauka endlich dort angekommen. Beim Andocken an die ISS kam es jedoch zu einem kleinen Zwischenfall.

Nach achttägiger Reise hat das russische Forschungsmodul Nauka (Wissenschaft) die Internationale Raumstation ISS erreicht. Nach dem Andocken gab es jedoch einen kleinen Zwischenfall. Die Triebwerke des Moduls seien "versehentlich und unerwartet" angefeuert worden und hätten die ISS um 45 Grad aus ihrer regulären Flugbahn verschoben, teilte die US-Raumfahrtbehörde NASA per Twitter mit. Danach wurde ein für Freitag geplanter weiterer Raketenstart abgesagt. Durch einen Notfalleinsatz habe die ISS wieder in ihre reguläre Flugbahn zurückgebracht werden können. Die Besatzung sei zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen, und die ISS und alle Systeme an Bord funktionierten normal. Allerdings verlor die NASA für fast eine Stunde die Kontrolle über die Position der Station im All. In der Folge brach auch der Kontakt zur Crew für elf Minuten ab.

Das Forschungsmodul Nauka sollte eigentlich schon seit Jahren im All sein, doch ein Start wurde immer wieder verschoben. Am 21. Juli 2021 hob dann eine Trägerrakete vom Typ Proton-M pünktlich um 16.58 Uhr MESZ mit dem 13 Meter langen Labor vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in der Steppe der zentralasiatischen Republik Kasachstan ab. Am 29. Juli um 15:29 Uhr dockte Nauka an die ISS an.

Lange wurde in Moskau gerätselt, ob das fliegende Labor überhaupt jemals zum Einsatz kommt. Geplante Starttermine wurden immer wieder gestrichen, weil Probleme auftauchten oder Geld fehlte. Zuletzt hatte Russland seine künftige Beteiligung an der ISS infrage gestellt und sich bis heute nicht eindeutig positioniert, wie lange das Land seinen Teil der Raumstation betreiben will. Der Vertrag dazu läuft 2024 aus.

Zeichen für längere russische Nutzung der ISS

Europas langjähriger Raumfahrtchef Jan Wörner sieht den Start des Moduls als wichtiges Signal über den Tag hinaus: "Ich werte Nauka als klar positives Zeichen für eine längere Nutzung der ISS vonseiten Russlands", sagt der Ex-Leiter der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Die Spitzen der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos dürften jedenfalls aufatmen, wenn Nauka in der kommenden Woche die ISS erreicht hat. Kritiker monieren schon seit Jahren, dass die Technik des Labors längst überholt ist. Der Bau begann bereits 1995, das Modul wurde aber nur zu 70 Prozent fertig gestellt.

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Montage des Forschungsmoduls Nauka

Ursprünglich sollte das Forschungsmodul schon 2007 ins All fliegen. Nauka ist das Schwestermodul von Sarja, das 1998 als erstes Segment ins All gebracht worden war. Das letzte Mal hatte Russland 2010 ein neues Modul zur ISS geflogen. Nauka soll am russischen Segment angebracht werden. Für die Fertigstellung wird mit mehreren Außeneinsätzen russischer Kosmonauten gerechnet.

Als Mehrzweckmodul ist es vorrangig für die Forschung gedacht. Es soll aber auch als Mannschaftsquartier mit eigenem Lebenserhaltungssystem dienen. Nauka misst 13 mal 4,11 Meter bei einem Gewicht von mehr als 20 Tonnen. Außen sind große Solarpaneele und der Roboterarm European Robotic Arm (ERA) angebracht, der von der ESA stammt. An Bord können auch Sauerstoff und Wasser produziert werden. Die Raumfahrer bekommen mit Nauka zudem eine zusätzliche Toilette. Das könnte wichtig sein, wenn künftig wieder Weltraumtouristen die ISS besuchen sollten.

Russland meldet sich mit Nauka als Weltraumnation zurück

Unklar ist angesichts der doch betagten Technik, ob das Modul in einigen Jahren für die geplante neue russische Raumstation Ross genutzt werden könnte, zumal diese Station laut vorläufiger Planungen in einem gänzlich anderen Orbit fliegen soll. Doch Russland braucht gute Nachrichten. Die Raumfahrtnation dürfte sich durch die jüngsten Erfolge von China und der USA herausgefordert sehen und den Start von Nauka auch als Lebenszeichen verstehen.

In der Branche hatte man zuletzt nicht mehr den Eindruck, dass Russland bei der Erforschung des Weltalls vorne mitspielt. Mit der Mission dürfte sich für die bemannte russische Raumfahrt vieles entscheiden. Unter russischen Wissenschaftlern wuchs zuletzt der Unmut. "Wir waren in den vergangenen Jahrzehnten allgemein unzufrieden mit dem, was wir bei der Entwicklung und Erforschung des Weltraums geleistet haben", sagte im Frühjahr der Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften, Alexander Sergejew, der Staatsagentur Tass. "Dies liegt in erster Linie daran, dass es wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt." Staatschef Wladimir Putin forderte zuletzt mehr Tempo, damit Russland nicht von anderen Raumfahrtnationen abgehängt wird.

Auch Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin dürfte unter Druck stehen. Zuletzt wurde an der Fertigstellung des Moduls in drei Schichten gearbeitet. Rogosin dürfte sich dabei gerne den Erfolg ans Revers heften, ein seit 20 Jahren laufendes Projekt endlich abzuschließen. Offen ist, ob Moskau mit dem Start von Nauka nun doch bis mindestens 2028 an der ISS festhalten will, wie es sich bis zum Frühjahr angedeutet hatte.

Rogosin knüpfte noch vor wenigen Wochen eine Verlängerung über das bislang geplante Jahr 2024 hinaus an die Aufhebung von US-Sanktionen gegen russische Raumfahrtunternehmen. Davon war zumindest kurz vor dem Start des Labor-Moduls keine Rede mehr. Stattdessen erinnert Russland nun an glanzvolle Zeiten, etwa als Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins All geflogen war. Die Proton-Rakete trägt die Aufschrift "60 Jahre Erster Flug des Menschen in den Kosmos 1961-2021". Sie gilt mittlerweile aber als Auslaufmodell und soll mittelfristig von der Angara abgelöst werden.

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