3-D-Darstellung eines Gehirns und Tabletten
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Durchbruch in der Alzheimer-Forschung? Für den Biochemiker Christian Haass könnte das durch ein neu entwickeltes Medikament der Fall sein.

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Neues Alzheimer-Medikament in Tests vielversprechend

Ein neues Medikament könnte Alzheimer-Patienten Hoffnung machen. Studiendaten zufolge bremst das Mittel in einem frühen Stadium der Erkrankung den Abbau geistiger Fähigkeiten. Manche Experten bewerten die Ergebnisse zurückhaltend, andere euphorisch.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Immer wieder tauchen Meldungen zu neu entwickelten Alzheimer-Medikamenten auf, die Patienten, die an der häufigsten Demenzform leiden, wenn nicht Heilung, so zumindest einen Stillstand der Krankheit verschaffen sollen. Bisher konnten die Ankündigungen aber nicht halten, was sie versprachen.

Krankheit in frühem Stadium aufhalten

Jetzt haben der US-Konzern Biogen und sein japanischer Partner Eisai wieder ein neues Medikament gegen Alzheimer entwickelt. Laut Studiendaten soll das Mittel das Fortschreiten der Erkrankung in einem frühen Stadium der Krankheit abbremsen. Christian Haass, Leiter der Abteilung für neurodegenerative Erkrankungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), spricht im BR-Interview von "einem ganz großen Durchbruch" für die Alzheimer-Forschung. Andere Experten wie der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Peter Berlit, mahnen hingegen bei der Interpretation der Studienergebnisse zur Vorsicht.

Die Pathologie der Alzheimer-Patienten

Wer an Alzheimer leidet, verliert mit fortschreitender Erkrankung seine geistigen Fähigkeiten. Im Gehirn eines Alzheimer-Patienten zeigen sich sogenannte Plaques. Das sind Klumpen aus einem Eiweiß, das Wissenschaftler Beta-Amyloid nennen. Diese Plaques zerstören die Nervenzellen im Gehirn. Und laut dem Biochemiker Haass sind diese Eiweißklumpen auch der Auslöser der Alzheimer-Erkrankung.

Wie das neue Medikament funktioniert

Das neue Medikament funktioniert wie bei einer Impfung. "Man stellt künstliche Antikörper her gegen das [Beta-]Amyloid und impft mit denen", erklärt Experte Haass. Lecanemab heißt der von den beiden Unternehmen dafür entwickelte Antikörper. "Die gehen ins Gehirn und erkennen die Plaques und setzen sich auf die Plaques drauf. Und dann werden diese Plaques erkannt von Immunzellen im Gehirn [...] und diese Immunzellen des Gehirns fressen die Plaques dann regelrecht auf und fressen die weg", beschreibt Haass die Wirkungsweise des Medikaments. Allerdings könnten bereits abgestorbene Nervenzellen mit dieser Methode nicht repariert werden, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Möglich sei aber, den Patienten mittels des neuen Medikaments auf dem Stand zu halten, wie er zur Behandlung in die Klinik komme, so Haass.

Die Studie zum Alzheimer-Medikament

An der Studie nahmen laut Mitteilung des beteiligten Unternehmens Biogen 1.795 im Frühstadium an Alzheimer erkrankte Menschen teil. Eine Hälfte von ihnen bekam anderthalb Jahre lang zweimal im Monat Infusionen mit dem Antikörper, die andere im selben Zeitraum ein unwirksames Scheinmedikament.

Es zeigte sich, dass das Mittel zu einer deutlichen Reduzierung der Ablagerungen im Gehirn führt. Darüber hinaus verlangsamte sich der Abbau der geistigen Fähigkeiten. Insgesamt konnten die Studienautoren belegen, dass der verabreichte Antikörper Lecanemab bei Patienten in einem frühen Stadium einer Alzheimer-Erkrankung den Abbau der geistigen Fähigkeiten um 27 Prozent verlangsamte. Um die beiden Gruppen vergleichen zu können, hatten die Forscher die kognitiven und funktionellen Leistungen in folgenden sechs Bereichen geprüft: beim Gedächtnis, der Orientierung, in Bezug auf das Urteilsvermögen und der Problemlösung, bei Gemeinschaftsangelegenheiten, Zuhause und bei Hobbys sowie bei der Körperpflege.

Als Nebenwirkung können Ödeme im Gehirn auftreten

Durch bildgebende Verfahren konnten allerdings auch Nebenwirkungen bei den mit dem Antikörper behandelten Studienteilnehmern nachgewiesen werden. So kam es bei ihnen häufiger zu Ödemen im Gehirn, allerdings traten die Nebenwirkungen weniger oft auf "als in Studien zuvor mit vergleichbaren Wirkstoffen", kommentierte Linda Thienpont, Leiterin der Abteilung Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative, gegenüber der Deutschen Presseagentur das Ergebnis. Auch Christian Haass von der LMU beschwichtigt im BR-Interview: "Das sind eine Art Ödeme im Gehirn, die sich in den allermeisten Fällen von selbst zurückbilden".

Experten: positives Ergebnis - Statements vor Veröffentlichung der Studie

Dass mit dem neuen Medikament der Verfall der kognitiven Fähigkeiten von Alzheimer-Patienten im Frühstadium der Erkrankung um 27 Prozent gebremst werden konnte, bezeichnet der Münchner Biochemiker Haass als "klinisch gesehen absolut relevant." Über eine längere Dauer gesehen - bisher wurden die Patienten nur über einen Zeitraum von 18 Monaten beobachtet - könnte sich der Unterschied sogar noch vergrößern, so Haass. "Und deswegen glaube ich schon, dass wir hier zum ersten Mal einen klinischen Versuch haben, der uns schon deutliche Hoffnung machen kann", sagt er.

Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, mahnt hingegen zum jetzigen Zeitpunkt zur Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse. "Es handelt sich um die Teilpublikation einer abgeschlossenen Phase-3-Studie, die, soweit erkennbar, gut designt war, eine relativ große Teilnehmendenzahl hatte und abgeschlossen wurde. Auch wenn das alles in die richtige Richtung weist, möchten wir als Fachgesellschaft die Ergebnisse noch nicht bewerten oder kommentieren. Wir werden die offizielle Vollpublikation abwarten, mit Veröffentlichung aller Ergebnisse und Messwerte, um für Betroffene, Angehörige und Behandelnde eine seriöse Einordnung zu geben“, wird er in einer von der DGN veröffentlichten Mitteilung von Ende September 2022 zitiert.

Präparat in den USA zugelassen

Der an der Studie beteiligte US-Konzern Biogen hatte in seiner anlässlich der Studie veröffentlichten Mitteilung angekündigt, die Daten Ende November auf einem Alzheimer-Kongress vorzustellen und sie in einem medizinischen Fachmagazin zu veröffentlichen. Das ist mittlerweile erfolgt. Die Ergebnisse sind im "The New England Journal of Medicine" erschienen. Anfang Januar 2023 hat die US-Arzneimittelbehörde FDA für das Präparat eine beschleunigte Zulassung erteilt. Auch in Japan und Europa wollen Biogen und Eisai die Zulassung beantragen, heißt es.

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